Denk ich an Hermannstadt…

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Erinnerungen an meine Heimatstadt / Von Peter BETSY

Ausgabe Nr. 2561

Auf dem Foto ist der ehemalige Kindergarten in der Fleischergasse Nr. 23 zu sehen, und das Haus daneben, Nr. 25 (mit dem rosa Erdgeschoss, vor dem das schwarze Auto steht – vis a vis von der Nationalbank) war das Elternhaus des Verfassers.                                  
Foto: Beatrice UNGAR

Denk ich an Hermannstadt…..so wandern meine Gedanken an den Geburtsort, wo meine Wiege stand und ich die glücklichen, geschützten Kinderjahre in der Geborgenheit einer Großfamilie in der Fleischergasse/Mitropoliei verbrachte, und im Nachbarhaus, bei der geliebten und geschätzten „Lenchentante“, den Kindergarten besuchte. Sie begleitete meine ersten Schritte der Stationen meines Lebens. Mein Spielplatz lag zwischen der großen orthodoxen Kathedrale und dann entlang des Hauses mit den steinernen Jungfrauen“/Karyatiden – „les ballades romantiques“ – und der niedlichen reformierten Kirche vorbei, bis zum Huetplatz zur evangelischen Stadtpfarrkirche. Schon damals gab es ein christlich-ökumenisches Glaubensbekenntnis und ein friedliches pluriethnisches Miteinander.

 

Denk ich an Hermannstadt….so erinnere ich mich mit Nostalgie an die schönen Jahre meiner langjährigen „Präsens“ in den Schuleinrichtungen meiner Heimatstadt. Im Ursulinenkloster war der Schulanfang mit Andenken an die Lehrerinnen Frau Opfermann, Frau Ungar und Frau Göllner, die mir die ersten lebenswichtigen Lehren auf meinen Lebensweg eintrichterten. Tief eingewurzelte Emotionen sind bis heute noch geblieben. Auf meinem Weg zur Ursulinen-Klosterkirche begleitete mich die Straßenbahn, welche entlang der Bahngasse hinunterratterte. Der Schulweg aus der Fleischergasse führte dann später über den blumenprächtigen Park am Großen Ring an der eleganten barocken römisch-katholischen Kirche vorbei zur nächsten Station der Erziehung und Bereicherung meines Allgemeinwissens, im renommierten Gymnasium „Gheorghe Lazăr“. Die Dachaugen der Patrizierhäuser am Großen Ring verfolgten meinen Reifeprozess.

In den 60er Jahren liegen auch die nostalgischen Erinnerungen an die Tanzstunden mit Frau Herta Breckner und der „Blasia“ unter Leitung von Professor Richard Schuller („Schuki“).

Denk ich an Hermannstadt…so ist das die glückliche Stunde der Neugründung im Jahre 1969 in Hermannstadt der Fakultät für Philologie und Geschichte, die ich als Germanistikstudent besuchte. Herr Professor Georg Scherg, unser „Literatur -Papst“ und Herr Professor Gerhard Konnerth, einer unserer Studium-Väter und mein „Dürrenmatt-Spezialist“, haben in meinem Andenken tiefe Spuren hinterlassen. Unser Motto lautete: „Wir waren die Ersten“. Auch der Literaturkreis mit Begegnungen bekannter Lyriker und Nachwuchsdichtern ist mit schönen Erinnerungen verbunden.

Es waren die interessanten Gespräche mit Herrn Wolf von Aichelburg über wichtige Momente und Neuerscheinungen in der Weltliteratur. Unvergessen geblieben ist auch die Begegnung mit Günter Grass, der 1969 in Hermannstadt eine Station seiner Lesereise in Rumänien machte.

Denk ich an Hermannstadt… so bin ich froh und sehr dankbar für die vielen Kunst- und Kulturhöhepunkte, die ich miterleben durfte. Hermannstadt wurde 2007, als bedeutendes Kunst- und Kulturzentrum, als „Schatzkästlein“ Siebenbürgens, zur Kulturhauptstadt Europas gewählt. Heutzutage habe ich ein glückliches Gefühl und bin stolz, dass meine Geburtsstadt europaweit bekannt geworden ist.

Die bekannte Hermannstädter Musiktradition wurde auch in unserem Elternhaus durch die väterliche Beteiligung im bekannten Gesangverein „Hermania“, in der „Blasia“ und im geschätzten „Bachchor“ gepflegt. Der Besuch der wöchentlichen Symphoniekonzerte wurde zum Erlebnis. In tiefer Erinnerung ist mir ein Konzert mit dem Geigenvirtuosen Ion Voicu und Henry Selbing, dem einarmigen „Maestro“ am Dirigentenpult, geblieben.

Nicht in Vergessenheit geraten sind auch die Hörerlebnisse der Orgelkonzerte, Motetten und das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, gesungen vom Bachchor unter dem Dirigentenstab des beliebten Musikvirtuosen Franz Xaver Dressler in der evangelischen Stadtpfarrkirche. Klänge in solchen Dimensionen hinterließen bei mir einen tiefen Eindruck.

Als Jugendlicher lebte ich in den 60er Jahren im Zeitalter der Beatles und Rolling Stones, aber auch der Hermannstädter „Solaris“- Musikband mit Ricky, Paul und Mucki.

Die Hermannstädter Theaterszene mit vielen bekannten und interessanten Aufführungen des Staatstheaters sind mit schönen Andenken verbunden. Unvergessen bleibt die „Faust I“ – Aufführung mit Christian Maurer in der Rolle des Mephisto.

Denk ich an Hermannstadt….dann tauchen aus dem Nebel Bilder der historischen Altstadt, Schutzzone mittelalterlicher Architektur und eine wahre Sammlung von Schmuckstücken der Gotik, des Barocks und der Renaissance, hervor. Meine Wege führten an der im byzantinischen Stil gebauten orthodoxen Kathedrale, eine fast exotische Überraschung im Bild der alten siebenbürgischen Burg, vorbei in Richtung Johanniskirche und dann durch den gemütlichen Stadtpark mit dem traditionsreichen ASTRA- Gebäude bis auf die bekannte Bretter-Promenade.

Hermannstadt war früher die wohlhabendste, einflussreichste der sieben transsylvanischen Festungen.

An die einstige Hochburg der Sachsen erinnert noch die Stadtmauer mit dem Armbruster-, Töpfer- und Zimmermannsturm in der Harteneck-Gasse sowie der Dicke Turm, heute Thalia-Saal (einst Stadttheater, heute Sitz der Hermannstädter Staatsphilharmonie). Eine Zeitreise in die Altstadt führt uns auch über den Großen Ring mit dem Brukenthalmuseum, der wertvollen Gemäldegalerie italienischer und flämischer Malerei. Sie wurde Auslöser für mein späteres Interesse an den großen europäischen Malschulen. Große Bewunderung galt auch der Kunstgalerie im Nebengebäude, dem bekannten Blauen Stadthaus. Dieser Kunstdurst wurde dann später durch Besuche in den Münchner Pinakotheken gestillt.

Auf dem Großen Ring erinnern die Patrizierhäuser, wie das Hallerhaus, mit den bunten Fassaden an den berühmten Häuserschreck, ein siebenbürgischer Hundertwasser der Jahrhunderthälfte. Der Durchgang beim Ratturm macht die Verbindung zum Kleinen Ring mit der Lügenbrücke und dem Schatzkästlein, bekannt auch als Bildermotive bei den Hermannstädter Malern Hans Hermann und Trude Schullerus. Geschichte und Geschichten von Hermannstadt, früher auch „Klein-Wien“ genannt, erzählen auch der Huetplatz mit der evangelischen Stadtpfarrkirche und dem stolzen Teutsch-Denkmal davor.

Das vollkommen entkernte Gebäude der Bolta Rece 11. Dezember 2017
Foto: Beatrice UNGAR

Will man das historische Stadtzentrum kennen lernen, muss man nur die Heltauergasse entlang gehen. Gleich am Anfang kann man das traditionsreiche und älteste Hotel, den „Römischen Kaiser“ bewundern. Hier sind im Laufe der Geschichte schon viele bekannte Persönlichkeiten ein- und ausgegangen. An die k. und k.-Zeit erinnerte einmal auch die Infanterie-Kaserne auf dem Hermannsplatz (später auch 90er Kaserne genannt).

Denk ich an Hermannstadt ….dann werden auch Erinnerungen an die Jahre meiner ersten Liebesabenteuer wieder wach. Es waren die Spaziergänge durch den Erlenpark mit seinem Springbrunnen und dem Pavillon, wo sonntags und an Feiertagen die Blaskapelle spielte. Abends haben mich die Klänge von der „Bolta Rece“ („Kalte Laube“) zum Tanz eingeladen. An Sommertagen führten meine Wege dann weiter zur Schreyer-Mühle, unserem musikalischen Badetreffpunkt.

Denk ich an Hermannstadt… so denk ich an die Zeit wo nach 24 Jahren ein neuer Abschnitt in meiner Beziehung zu Hermannstadt entstand. Um dem Ort meiner Lehrertätigkeit zu folgen, musste ich meine Heimatstadt verlassen und in die Ferne, nach Motru (Oltenien/Walachei) ziehen, um dort die deutsche Sprache zu predigen. Aber auch hier habe ich mir an meinem neuen Wohnsitz ein Hermannstädter Universum als eine Heimat-Insel aufgebaut.

Bilder von Trude Schullerus mit dem Großen und Kleinen Ring und von Hans Hermann mit der Lügenbrücke und der evangelischen Stadtpfarrkirche schmückten die Wände und Bücher mit Widmungen des Andenkens an die Schriftsteller Wolf von Aichelburg und Georg Scherg waren „die Schätze“ meiner Bibliothek.

Ich war so stark mit Hermannstadt verwurzelt, dass sogar meine kirchliche Trauung dort in der evangelischen Stadtpfarrkirche stattgefunden hat.

Auch in der Ferne nützte ich jede Gelegenheit, Hermannstadt so oft wie möglich zu besuchen, um geliebte Orte der Nostalgie wieder zu sehen und liebe Freunde aufzusuchen. Bei jedem Hermannstadt-Aufenthalt wurde Herr Professor Gerhard Konnerth im Hippodrom–Stadtteil oder Herr Georg Scherg im Strand-Stadtteil besucht und interessante Erinnerungsgespräche aus den Jahren der Akademie geführt.

Denk ich an Hermannstadt…..so denk ich an das Jahr 1992 meiner späten Ausreise nach Deutschland. Durch die massive Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland lichteten sich die Reihen der Verwandten, Bekannten, Schulkameraden und Freunde und vieles versank ins nebelhafte und wurde für mich immer fremder. Ich musste dem „Zeitgeist“ folgen und auch an die Zukunft meiner Kinder denken und verließ daher als Spätaussiedler meine Heimat. Die Nostalgie des Heimatgefühls ging aber nie verloren.

Das große Glück habe ich anfangs in Füssen im Allgäu, meiner „Wahlheimat“, gefunden. Es wurde zu meinem Zuhause aber Hermannstadt blieb weiterhin meine nie vergessene wahre Heimat. Die Stadt am Zibin am Rande der Karpaten, im Südosten Europas habe ich nur mit der Stadt am Lech an der Grenze der österreichischen Alpen gewechselt.

Meine mittelalterliche Heimat in Siebenbürgen wurde nun zur mittelalterlichen „Wahlheimat“ an der romantischen Straße. Wohin ich auch ging, holte mich Hermannstadt mit all seinen stark eingewurzelten Erinnerungen und Emotionen ein, weil ich mein Herz in Hermannstadt verloren habe. Nun lebe ich in Augsburg aber suche immer wieder die herzlichen Begegnungen auf dem Huet-Platz und die Hermannstädter Treffen in Dinkelsbühl auf, um Erinnerungsgespräche zu führen.

In meinen Träumen tauchen immer wieder Szenen lebendig auf, aus der „badefreundlichen Jugend“ in der Schreyer-Mühle und bunte Bilder vom Generalloch und der Pempflinger Stiege.

Peter BETSY

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Allgemein.