Uns persönlich reicht es langsam

Teile diesen Artikel

Es ist amtlich: Toni Erdmann” goes Hollywood
Ausgabe Nr. 2544

 

toni-erdmann

Von modernen Meisterwerken der Filmkunst aus aller Welt und wie sie die US-amerikanischen Studios kopieren – um mit der überarbeiteten” Version auch in unseren Kinos Box-Office-Rekorde zu erzielen; davon handelt der nachfolgende Beitrag im Allgemeinen und im Besonderen geht es um den mit dem europäischen Filmpreis 2017 geehrten Film von Maren Ade, Toni Erdmann“.

 

Am vergangenen Wochenende zeigte das Film-Festival „mai aproape“ in Bacău den deutschen Filmhit des letzten Jahres, der großteils in Rumänien gedreht wurde: „Toni Erdmann”. Im Arta-Kino in Hermannstadt ist er schon im Oktober 2016 gezeigt worden. Nun plant Hollywood ein Remake des Festivalerfolges. Skepsis gegenüber dem Vorhaben wird nicht grundlos laut.

Ein riesiges bulgarisches Fellmonster auf dem Unirii-Platz, verklemmte Unternehmensberater auf einer Nacktparty und ein pensionierter Musiklehrer mit Perücke und falschen Zähnen – das alles lässt noch nicht auf ein vielschichtiges Beziehungsdrama schließen. Aber: Begeisterte Kritikerstimmen und großer Publikumserfolg. Hat man „Toni Erdmann” gesehen, kann man verstehen, warum das Comedy-Drama der Regisseurin Maren Ade im letzten Jahr den europäischen Filmpreis gewonnen hat.

Peter Simonischek, eher bekannt in Theaterkreisen, verkörpert auf rührende Weise den gealterten Spaßvogel Winfried Conradi, der seine sozialen Unzulänglichkeiten mit Albernheiten zu überdecken versucht. Als sein Hund stirbt, beschließt er kurzum, seine Tochter Ines zu besuchen und wieder eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Diese ist bei einem großen Consulting-Unternehmen angestellt. Zum Schutz in der harten Businesswelt hat sich Ines eine Fassade aufgebaut, durch die aber Frustration und Unsicherheit scheinen. Sandra Hüller spielt mit Bravour einen komplexen Charakter, der mit sich selbst zu kämpfen hat und über den unangemeldeten Besuch des Vaters zunächst nicht sonderlich erfreut ist. Als Winfried beginnt, sich vor Ines‘ Freunden und Geschäftspartnern als sein Alter Ego Toni Erdmann auszugeben, kommt es zu vielen Peinlichkeiten.

Der Film funktioniert auf zahlreichen Ebenen. Dem Zusammenspiel von Vater und Tochter, die sich entfremdet haben, liegt eine unterschwellige Tragik inne. Was selbst die Beteiligten überraschte, die glaubten, ein Drama zu drehen, ist die geniale Komik, die in vielen Szenen hervorsticht. Auch konstruiert der Film ein kritisches Bild vom Leben in einer Business-Blase. Dass dabei eine Länge von drei Stunden erreicht wird, fällt kaum auf. Jede Kürzung hätte die Dynamik verletzt.

Als erster deutscher Film seit acht Jahren schaffte es „Toni Erdmann” 2016 in die Auswahl für die Goldene Palme in Cannes, erregte international große Aufmerksamkeit und wurde auf zahlreichen Filmfestivals und in Kinos auf der ganzen Welt gezeigt.

Erhält ein nicht-amerikanischer Film derart positive Resonanz ist Hollywood oft nicht mehr weit. Erfolgreiche ausländische Produktionen für das amerikanische Publikum zu kopieren, ist für die Studios im vergangenen Jahrzehnt ein lukratives Geschäft gewesen. Auf-Nummer-sicher-Gehen heißt die Devise. Warum ein Risiko mit einer neuen Geschichte eingehen, wenn man einfach die Rechte an einer kaufen kann, die sich bereits bewährt hat? Von asiatischen Action- und Horrorfilmen bis zu skandinavischen Thrillern wird alles abgegrast. Selbst vor Klassikern, wie „Der Himmel über Berlin” (Wenders, 1987) oder „Dîner des Cons” (Veber, 1998) wurde nicht halt gemacht, um die Stories zu etwas zu verbraten, das nur noch oberflächlich an die Originale erinnert.

Frustrierend daran ist nur, dass die Hollywood-Studios auf dem internationalen Markt die Monopolstellung innehaben. Es ist logisch: Sie sind Wirtschaftsunternehmen, die industriell gefertigte Produkte anbieten. Und gigantische Marketing-Abteilungen haben. Die 53 in Rumänien am meisten gesehenen Kinofilme 2016 kamen zu 100 Prozent aus den USA. Im einzigen Kino in Hermannstadt laufen diese Woche vier Filme, alle aus den USA. Vielleicht hätte das hiesige Publikum auch Interesse daran, Filme aus anderen Ländern zu sehen. Das Angebot stimmt aber nicht.

Arthouse-Kinos sind rar und nicht jeder hat die Chance, Filmfestivals zu besuchen, um Werke abseits des US-amerikanischen Mainstream zu sehen. Und besonders traurig ist dann, dass weichgespülte Remakes der dominanten US-Studios selbst in Europa ein größeres Publikum erreichen, als ihre oft deutlich sehenswerteren Vorlagen.

Im Februar diesen Jahres gab Variety bekannt: Nun soll „Toni Erdmann” dasselbe widerfahren. Uns persönlich reicht es langsam. Und nicht nur uns: „Ist das ‚Toni Erdmann‘-Remake eine schlechte Idee…oder eine wirklich schlechte Idee?” kommentierte beispielsweise The Guardian das Vorhaben. Das ist nachvollziehbar. Warum? Ich unterstelle Hollywood einen Hang zu Pathos. Auch Subtilität gilt nicht allgemein als eine Stärke seiner Produktionen. „Toni Erdmann“ ist aber wegen ebendieser Eigenschaften, seiner Feinsinnigkeit und Komplexität so großartig. Es gibt keine einfachen Lösungen und ewig andauernden Happy-Ends in zwischenmenschlichen Beziehungen. Es gibt einen ständigen Kampf und vorsichtigen Optimismus. Die Unbeholfenheit im Umgang von Ines und Winfried miteinander ist grandios dargestellt. Ich bezweifle, dass man es schaffen wird, diesen Ton zu treffen. Sentimentale Reden zu melodramatischer Musik passen da nicht rein. Sicher, die Geschichte kann in ein klassisch-amerikanisches Narrativ übertragen werden, der Film würde aber dabei alles verlieren, was ihn ausmacht.

Emeli GLASER

 

Szenenfoto aus dem Film „Toni Erdmann“.

Foto: IMDB

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Film.