„Agnetheln, unser aller Zuhause“

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Streiflichter von einem gemeinsamen Fest im Städtchen am Harbach
Ausgabe Nr. 2542

 

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Zum 27. Sachsentreffen in Hermannstadt gab es reichlich Veranstaltungen auch in den umliegenden Dörfern. Vergangenen Dienstagnachmittag wurde auch in Agnetheln gefeiert. Am Nachmittag ging es mit einem Umzug vor allem der ehemaligen Agnethler aber auch Rosler durch die Stadt los. Im Zentrum wurde der Zug von Vizebürgermeister Costel Murgoci empfangen, der das Fest als ein Ereignis bezeichnete, das „die Vergangenheit in die Gegenwart bringt“, eine Vergangenheit, die man weder vergessen könne noch vergessen dürfe. Weiter ging es auf den Schulhof, wo Helga Lutsch, die Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Agnetheln, daran erinnerte, dass vor 150 Jahren, am 25. August 1867, im festlichen Rahmen der Grundstein der Schule, die heute den Namen des Sachsenbischofs Georg Daniel Teutsch trägt, gelegt wurde.

 

Der Umzug ging vor dem Kulturhaus los, wobei die Blaskapelle „Original Karpaten-Express“ der Siebenbürger Blasmusik Stuttgart e.V. unter der Leitung von Reinhardt Konyen gemeinsam mit dem Blasorchester von Reinhardt Reißner die Stimmung anheizten. Die Roselner Trachten tragenden Mitglieder der Bergvagabunden, der Tanzgruppe der HOG Roseln, winkten heiter den am Wegrand Stehenden. Im Zentrum wurde der Zug mit Brot und Salz empfangen. „Wir freuen uns, dass Sie die Jugendlichen mitgebracht haben. Sie verdienen es, die Orte kennenzulernen, wo ihre Eltern die Wurzeln haben, zu erfahren, was sie für die Agnethler Gemeinschaft bedeuten, so dass sie spüren können, dass sie auch ein Teil dieses Ortes sind, der mit Stolz die Prägung der Sachsen trägt“, sagte Costel Murgoci. „Agnetheln ist unser aller Zuhause“, unterstrich der Bürgermeister.

Dariana Pîrvu aus Agnetheln las den „Brief an meine Nachbarn”, in dem sie sich an die Menschen aus der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft erinnert, die sie in ihrem Leben beeindruckt und inspiriert haben. Die ersten Schritte habe sie in den Lederschuhen getan, die von Herrn Markeli, dem Schuster in der ehemalige Konrad Schmidt Gasse gefertigt worden sind, die ersten Klaviertöne spielen lernte sie von Frau Theil, die ersten Buchstaben mit Lehrerin Henning und dann mit Lehrer Ernst Gyöngyösi. Den Agnethlern gewiss gut bekannte Namen.

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Im Schulhof trat die vor kurzem auf dem Weg nach Rumänien gegründete Agnethler Singgruppe unter der Leitung von Marianne Brenner auf. „Im Frühtau in Deutschland ging’s los, fallera, das Ziel: alter heimatlicher Schoß, fallera“ hieß es im Lied „Im Frühtau auf Fahrt“, dem Lied, das die Singgruppe aus vollem Hals zweisprachig zum besten gab. Es waren von Doris Hutter zum Sachsentreffen geschriebene Verse zur Melodie des Liedes „Im Frühtau zu Berge“. Mit dem „Nagelschmidt“ und anderen schönen siebenbürgischen Tänzen begeisterten die Rosler Bergvagabunden, die Jugendlichen der „Cununa“, der rumänischen Volkstanzgruppe des Kulturhauses in Agnetheln unter der Leitung von Ioan Sîrbu, mit rumänischer Folklore. Ioana Bogdan trug rumänische Volkslieder vor. Die beiden Blasorchester spielten aus ihrem Repertoire und sorgten anschließend dafür, dass die Tanzbeine auf Klängen von deutscher Musik gehörig geschwungen werden. Reinhardt Reißners Mutter soll übrigens aus Agnetheln stammen und seine Frau lernte er in Siebenbürgen kennen.

Das Fest in Agnetheln wurde mit dem 150. Jubiläum der Schule verbunden, die gegenwärtig den Namen des Sachsenbischofs Georg Daniel Teutsch trägt. Im Dezember sind es übrigens 200 Jahre her, seit er geboren ist. 1863 sollen die Agnethler Georg Daniel Teutsch zu ihrem Pfarrer gewählt haben. „Wir verdanken Georg Daniel Teutsch die Schule, auf deren Stufen wir heute stehen und die seinen Namen trägt“, erinnerte Helga Lutsch. „Am 25. August 1867, ein Sonntag, fast auf den Tag genau vor 150 Jahren wurde im festlichen Rahmen der Grundstein der Schule gelegt, 1868 wurde sie fertiggestellt, 1869 sind hier die ersten Kinder zur Schule gegangen. Georg Daniel Teutsch kam zur feierlichen Eröffnung aus Hermannstadt.“ 1867 wurde Teutsch zum Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen gewählt.

„Das Fest wurde sowohl von rumänischer als auch von deutscher Seite gut vorbereitet. In Deutschland lebt man überall verstreut und dass man hier zusammenfindet, das ist ja schon ein großes Wunder“, sagte Helga Lutsch. Hier sei nun Vieles geschehen, viele Freundschaften seien geschlossen worden. Einen Tag zuvor sei man mit der Wusch von Harbachsdorf/Cornățel bis Holzmengen und zurück gefahren. Für diesen Spaß hätten die Freunde der Schmalspurbahn „Prietenii Mocăniței“ die Lokomotive aus einer anderen Gegend bringen müssen. „Diese Leute sollte man unterstützen, sie bekommen viel zu wenig Unterstützung“, sagte Lutsch. „Wir versuchen jetzt etwas auf die Beine zu stellen auf höherer Ebene und wir hoffen, dass dies gelingt und eventuell Sponsorengelder beschaffen, damit sie eine Lokomotive und Waggons kaufen können, sowie einen Schuppen, wo sie den Zug abstellen können“.

Helga Lutsch trug übrigens die Agnethler Bürgerinnentracht, die auf das Mittelalter zurückgehe und die viele Jahre nicht getragen worden sei. Die Tracht sei für das Oktoberfest 1999 in München wiederbelebt worden. Man hege nun die Absicht, spätestens 2019 wieder daran teilzunehmen.

Dabei war auch Gertrud Sturm geborene Müller. Ihr Großvater Hans Ehrmann und Wilhelm Andree hatten einst eine Lederfabrik in Agnetheln aufgebaut. Hans Ehrmann soll dann im Gefängnis gestorben sein. Gertruds Vater Friedrich Müller war der Direktor der Spiritusfabrik, ebenfalls ein Familienunternehmen. Agnetheln sehe heute scheinbar nicht ganz so aus, wie sie es aus der Jugend kannte. An der Hauptgasse im Zentrum sollen einst Privathäuser gestanden haben. Und da hinten soll auch der Großvater sein Unternehmen betrieben haben. „Das Fest in Hermannstadt war zum Weinen schön”, sagte Gertrud zum Sachsentreffen in Hermannstadt. „Für uns Siebenbürger Sachsen war es ein Erlebnis. Das man so etwas organisisiert, das hätten wir nicht für möglich gehalten.”

Aus Deutschland mitgekommen war auch Günther Brenner der das letzte Mal Agnetheln vor der Wende besucht hatte. Brenner gehört zu den ersten Siebenbürger Sachsen die nach dem Krieg wegen Familienzusammenführung ausgewandert sind. Sein Vater war erst in russischer und dann in amerikanischer Kriegsgefangenschaft geraten und war dann in Österreich verblieben. In Agnetheln kannte man ihn als den „Brenner Gün“, den Tormann im Kleinfeldhandball. Damals wollen von Agnetheln vier Kleinfeldhandballer bei der Armeemannschaft gewesen sein. Der Wagner Kurt, der Kapitän der rumänischen Nationalmannschaft empfahl ihn. Brenner durfte sich zum Roten Stern in Bukarest melden. Nach einem politischen Verhör, wo festgestellt wurde, dass der Vater nicht heimkommt, wurde ihm Spielverbot erteilt.

Das 1952 eingereichte Gesuch zur Ausreise wurde erst zehn Jahre später genehmigt. Erst dann konnte man zum Vater nach Österreich ziehen. Da er der älteste war, galt er als Vaterersatz der Familie. Inzwischen hatte er in Agnetheln geheiratet und seine Tochter war geboren, die dieses Mal auch dabei war. Von Beruf war Brenner Schreiner. Diesen Beruf übte er mit typisch sächsischem Fleiß später auch in Deutschland aus.

Ulrike Dietzko geborene Rehner, hatte 1977 als Urzel am Urzellauf teilgenommen. Dass ein Mädchen unter dem schreckenerregenden Gewand steckte, hatte man merken müssen, denn die Peitsche konnte sie nicht knallen lassen. Ulrike ist etwa 1985 ausgereist. Nach längerer Zeit, in der sie nicht mehr in Siebenbürgen war, hat sie sich vorgenommen, jährlich in ihre Heimat zu reisen.

Werner FINK

 

Foto 1: Helga Lutsch in der Agnethler Bürgerinnentracht.    

 

Foto 2: Reinhardt Reißner dirigiert das gemeinsame Ständchen seiner Blaskapelle und der von Reinhard Konyen geleiteten Kapelle Original Karpaten-Express“ aus Stuttgart auf dem Platz vor dem Rathaus.

Fotos: der Verfasser

              

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft.