Für Leib und Seele erfahrbar gemacht

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Ausgabe Nr. 2357
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Michelsberg feierte interkulturellen Siebenbürger Reformationstag

 

Zum Abschluss des Jahresprogramms 2013 unter dem Motto „Entdecke die Seele Siebenbürgens“ feierte die Michelsberger Kirchengemeinde dieses Jahr ein interkulturelles Reformationsfest, das unter dem Stern des Miteinanders der verschiedenen in Siebenbürgen beheimateten Identitäten stand. In vier Etappen wurden Einheimischen und Gästen die verschiedenen Geschichten, Traditionen, Bräuche und Künste der hier gemeinsam lebenden Kulturen vorgestellt und für Leib und Seele erfahrbar gemacht.

 

Als sich am Donnerstag der vergangenen Woche um Punkt 16 Uhr (mit dem Läuten der Glocke) das Tor zur Treppe hinauf zur Michelsberger Burg für die Besucherschar öffnete, fühlte man sich schon ein wenig zurückversetzt ins Jahr 1517. Wie damals Martin Luther hinauf zur Wartburg, erklommen auch die – zumindest „kleinen“ – Gäste der Michelsberger Reformationsfeierlichkeiten den steilen Aufstieg zur Burg auf dem Eselsrücken. In der Burgkapelle begrüßte Pfarrer Stefan Cosoroabă die Besucher zur ersten Etappe, die mit der Finissage der Ausstellung „Traditionen der Mărginimea Sibiului“ der Rumänischen Identität gewidmet war. Auf Initiative des Schweizer Archäologen Laurent Chrzanovsky, dessen Frau Daniela selbst aus Siebenbürgen stammt, stellten Mitarbeiter der Swiss Web Academy mit Unterstützung von Museen aus Klausenburg und Bukarest, wo die Exposition bereits gastierte, und des Hermannstädter Astra-Museums alte und neue Fotografien aus 18 umliegenden Dörfern zusammen, die die Geschichte der Rumänen im Hermannstädter Umland erzählen. Die Bilder von typischen Alltagssituationen aus Lebensbereichen wie Landwirtschaft, Dorfkultur, Glaube, Tradition und Handwerk zeigen auf verschiedenen Plakaten und ergänzt mit Begleittexten, wie es die rumänische Bevölkerungsgruppe verstand, ihr Leben und ihre Erwerbsmöglichkeiten auf die natürlichen Bedingungen in und am Rande der Karpaten anzupassen. Ein besonderer, zusätzlicher Informationsdienst stand den Nutzern von Smartphones zur Verfügung, die durch Scannen eines auf jedem Schaubild abgebildeten QR-Codes sofort auf die entsprechende Seite der dieser Ausstellung zugrunde liegenden Internetdokumentation bereits vor Ort an weitere Details zu jedem Thema gelangen konnten. Die Exposition soll anschließend auf ihre letzte Station in die Heimat ihres Initiators nach Genf umziehen. Alle Bilder, Texte und eine digitale Bibliothek mit Schriften zu und aus dem Hermannstädter Umland stehen Interessenten jedoch dauerhaft auf der Homepage des Projektes unter www.margini measibiului.com zur Verfügung.

Gegen 17 Uhr versammelten sich die Kirchengemeinde und viele auswärtige Teilnehmer in der Dorfkirche, wo nach einem aufwärmenden Empfang mit Kaffee, Tee und traditionellem Hanklich mit einem evangelischen Gottesdienst in siebenbürgisch-sächsischer Mundart die Identität der Sachsen als Teil der vielfältigen Völkergemeinschaft unserer Region repräsentiert wurde. Wie Kirche ganz im lutheranischen Sinne „nah am Volke“ aussieht und sich vor allem anhört, verstand Pfarrer Michael Reger aus Kerz gegenüber den rund 100 alten und jungen Besuchern sehr anschaulich zum Ausdruck zu bringen. „Man muss dem Volk auf’s Maul schauen“, zitierte er den Reformator in seiner Predigt und betonte in diesem Zussammenhang die Pflege und Weitergabe der Mundart als eine wichtige Weise der Erhaltung von Traditionen und Identifikation mit der jeweiligen ethnischen Herkunft. Die Vielfalt zu wahren, indem man so bleibe wie man ist, und gleichzeitig Toleranz für das Anderssein zu üben, stelle auch heute, knapp 500 Jahre nach der Reformation, die Herausforderung für die Gesellschaft – nicht nur in Siebenbürgen, sondern weltweit – dar.

Im Anschluss las die Roma-Autorin Luminiţa Mihai Cioabă  aus ihrer zuletzt und in vier Sprachen erschienenen Antologie „Gedichte von gestern und heute“ vor und verzauberte die vielen, auch diese Etappe der Michelsberger Reformationsfeierlichkeiten begleitenden Zuhörer im bis auf den letzten Platz gefüllten Gemeinderaum vor allem mit leidenschaftlich vorgetragenen Herbstgedichten in ihrer Muttersprache Romani.  Über deren im Vergleich zum Rumänischen und Deutschen sehr bildliche und poetische Ausdrucksweise erfuhren die Teilnehmer ebenfalls einiges. Vorgestellt hatte die international bekannte Autorin, die neben drei Gedichtbänden auch zwei Filme über die bewegte Geschichte ihres Volkes veröffentlicht hat, die HZ-Chefredakteurin Beatrice Ungar, die auch einige Gedichte in der von ihr gezeichneten deutschen Fassung vorlas.

Den kulinarischen Schlusspunkt des diesjährigen, unter dem Motto der Toleranz und des Miteinanders stehenden Reformationsfestes setzten die Ungarn, die in typischen Trachten unter der Leitung von Attila Nagy ein deftiges, im holzbefeuerten Kessel zubereitetes Gulasch servierten. Bei einem Glas Weißwein ließen die Michelsberger ihr gelungenes, multiethnisches Fest ausklingen und Leuchtlaternen in den Himmel aufsteigen.

Dominik GRONEN

Foto 1: Wie seinerzeit der Reformator Martin Luther hinauf zur Wartburg ritt, versucht eine Dame aus Österreich, auf dem Rücken eines von Kindern aus Prislop betreuten Eseln den Aufstieg zur Michelsberger Burg zu erleben. Leider erwies sich der Esel als störrisch. Spaß hatten aber alle daran.              

Foto 2: Nagy Attila Vater und Sohn und ihr Helfer Both Jozsef  kochten auf dem Pfarrhof wie es sich gehört im Kessel auf Holzfeuer einen deftigen und pikanten Gulasch, mit dem alle Anwesenden zum Abschluss belohnt wurden. Dazu gab es Eingelegtes und für Eingeweihte sogar scharfe Paprika…

Fotos: Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft.