Requiem auf die Kirchenburg

Teile diesen Artikel

Ausgabe Nr. 2471
 

Die Inschrift auf dem Bild ist eine der insgesamt drei an dem in die Jahre gekommenen, wenn auch relativ neuen" Kirchturm in Streitfort/Mercheasa im Repser Ländchen. Sie klingt über die Jahre wie eine Mahnung und zeugt zugleich von der Vergänglichkeit menschlicher Werke und Vorsätze: 'Den Meister kann das Werk nur loben;/Doch aller Segen kommt von Oben'. /Beschütze Vater Kirch und Thurm,/Vor Feuer und im Wettersturm;/Gib, daß wir deinen Willen thun,/So wird dein Segen auf uns ruhn! Erbaut vom Jahre 1848-1858." Wie lange der Turm noch stehen wird, weiß niemand. Der Schriftsteller und Filmemacher Frieder Schuller hatte 1976 eine Art Requiem auf die Kirchenburg in Rohrbach/Rodbav verfasst. Jene Kirche steht noch, zusammengestürzt ist der Kirchturm in Rothbach/Rotbav. Aus diesem Anlass verfasste er ein neues Gedicht. Beide Texte können Sie unten lesen:

 

rothbach zur neige

ein kirchturm hatte keine lust mehr

der größte im dorf zu sein

hatte genug gesehen

war müde vom geradestehen

so ging er in die knie

ging in sich vor dem straßenlärm

und stürzte aufs kirchendach

das wie ein altes segel zerriss

unter dem das gebälk sich erbrach

und die turmuhr ihre letzte stunde

unten im kirchenschiff zerschlug

doch der glocken angstschrei

im geröll verstummte

zersprungen zerbrochen zerfleddert

geistern fetzen von chorälen über die ruinen

schleichen aus dem holz

und zinn und blei und kupfer

aus den im schutt vebeulten orgelpfeifen

huschen töne voller erinnerung

an orgelklänge die einmal auf der empore

ein wegweiser für das gemeindelied waren

der abendwind nimmt sich

des trümmerhaufens an

und tritt den blasebalg auf seine weise

erzählt was alle wissen möchten

aber immer nur erahnen

eine verbogene orgelpfeife

stellt ihr liebeslied ins netz

hier stand die kirchenburg

und die sie nicht verlassen wollten

zogen weiter

 

rohrbach zur neige

nicht ohne eginald

zögernd schlägt heute wie morgen

vom speckturm die vorletzte stunde

zögernd bindet der tod seinen blauen schurz um

und überlässt den astern für

dies handvoll deutsche sterben das geschäft

wo utopien verschachert werden

und farbfotos den holzwurm fliehen und riß

 

von gänsen empfangen

kommt trotzdem jeder am kirchhof an

begrüßt von wolken der gestorbenen

die vor aller augen wohnen

hinter den gärten am hang

und der unentschlossene unten am brunnen

trinkt ihre sprache

die apfelzweige werfen ihr weiß

an die vernagelten fenster der schule

in der auch gelacht wurde mit tränen

und von der ulme rieseln schatten

wie ein reigen der mädchen von gestern

doch in der ausgeräumten stube hält

eine möbelmustertulpe an der hochzeitsnacht fest

des uhrwerks gewichte fielen ins heu

die verbliebenen beugen sich über der

hausaufgabe noch einmal ein abschiedsbrief

nur schwalben richten sich ihren fernseher

unter dem dachbalken ein

die herde kommt und spielt ihr büffelklavier

bis der abend seinen zuschauerdienst

in siebenbürgen streicht

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.