,,Der Mensch hat keine andere Waffe als die Musik…“

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Ein besonderes und sehr gut besuchtes Konzert mit Psalmen-Vertonungen in der Synagoge in Hermannstadt

Ausgabe Nr. 2870

Gryllus Daniel, Marta Sebestyén und Gryllus Vilmos (v. l. n. r.).
Foto: Werner FINK

„Tizenöt zsoltár“ (15 Psalmen) lautete der Titel des Konzerts, das am 3. Juni in der Synagoge in Hermannstadt stattgefunden hat. Gerade als das Konzert beginnen sollte, regnete es draußen wie schon lange nicht mehr. Ob jemand den Weg ins Konzert gefunden hatte? Beim Betreten der Synagoge stellte sich heraus: Drinnen war es voll und es herrschte eine schöne Atmosphäre. Musikliebhaber verschiedener Konfessionen und Ethnien waren gekommen. Márta Sebestyén und die Brüder Dániel und Vilmos Gryllus aus Ungarn, alle drei Kossuth-Preisträger, hatten sich vorgenommen, zwischen dem 2. und 8. Juni die Vorstellung in sieben Gotteshäusern verschiedener Konfessionen in sieben Ortschaften in Siebenbürgen aufzuführen. In Hermannstadt war die Wahl nun auf die Synagoge gefallen.

Das Buch der Psalmen ist eine Sammlung von Gebeten und Liedern aus dem Alten Testament, bestehend aus 150 Teilen. Die Psalmen sind gesungene Gedichte, denn in der Bibel kann man an den Anfängen vieler Psalmverse lesen, zu welcher Melodie sie gesungen werden sollten. Leider sind diese Melodien nicht auf Notenblättern erhalten geblieben, da es in der Antike noch keine Notenschrift gab. Die Psalmen haben viele Dichter zu Paraphrasen oder in ihrem Geist geschriebenen Gedichten inspiriert.

Gryllus Dániel und Gryllus Vilmos, zwei Gründungsmitglieder der Gruppe „Kaláka“, und Márta Sebestyén, die weltweit vor allem als Volksliedsängerin bekannt ist, brachten 1997 ein gemeinsames Album mit dem Titel „Tizenöt Zsoltár“ (15 Psalme) heraus. Auf diesem Album sind Psalmparaphrasen enthalten, die aus der Bibel ausgewählt und von Zoltán Sumonyi in Versform gebracht wurden. Dann wurden auch Konzertfilme produziert, und die Lieder wurden häufig in Kirchen und Konzertsälen aufgeführt, zuletzt im vergangenen Jahr in Brüssel. Die Lieder, in denen auch Motive aus verschiedenen Volksmusiken zu finden sind, hat Gryllus Dániel geschrieben. Einige der Lieder haben inzwischen ihren Weg sogar in kirchliche Gesangsbücher gefunden.

Nun, was als Inspiration diente? In Tiszadob wurde regelmäßig ein ökumenisches Sommerlager organisiert, wo biblische Themen besprochen wurden. Jedes Mal war das Hauptthema eine biblische Figur. „Ich hatte eine Liederreihe aufgrund von Apostel Paulus und so kam ich hinzu. Als es um den Apostel Paulus ging, wurde ich eingeladen“, sagte Dániel Gryllus. „Dann ging ich mehrmals hin und der Pfarrer, der für denjenigen Kreis zuständig war, schlug vor: was wäre wenn wir solche Lieder schreiben würden, die wir zusammen singen könnten. Und in der Woche als von König David die Rede war, gingen wir mit meinem Dichter-Freund Zoltán Sumonyi hin und schrieben so diese Psalmen, vor allem die ersten.“ 1997 wurde ein Album veröffentlicht, es entstand eine Verfilmung, dann gab es eine Fortsetzung mit einem weiteren Album und einen weiterer Konzertfilm, wobei man in Tunesien, u. a. an Orten wie der el-Ghriba-Synagoge, der ältesten erhaltenen Synagoge in Nordafrika, filmte oder in Syrien.

Bereits vor 16 Jahren wurde das Konzert einmal wie jetzt in sieben Gotteshäusern verschiedener Konfessionen in Siebenbürgen aufgeführt. Die drei Musiker hatten übrigens auch das Hermannstädter Publikum schon erlebt, nur in anderen Aufstellungen, darunter als das Ensemble Kaláka, das dieses Jahr 55 Jahre seit dem Bestehen feiert.

In diesem Jahr wurde übrigens Márta Sebestyén für ihre 50-jährigen Aktivität mit dem Tanzhaus-Preis ausgezeichnet. In die Nähe der Tanzhäuser kam sie bereits 1974 über Sebö Feri und Halmos Béla, zwei Begründer der Tanzhausbewegung. Sebestyén erzählt: „Damals war ich noch ein Mädchen im Gymnasium und in dem Sommer bekam ich den Preis ‚Népművészet ifjú Mestere‘ (Junger Meister der Volkskunst).

„Seit ich ein kleines Mädchen war, lebte ich in der Faszination der Volkslieder”, erinnerte sich Sebestyén. „Seit ich 12 war und mir zum ersten Mal das Lied einer Tschango-Frau von einer Platte, die ich auf einem Wettbewerb gewonnen hatte, anhörte, suchte ich besessen nach jener Stimme”.

Heute noch erinnert sie sich daran, wie sie die „Gummistiefel in die Hand nahm”, um in Siebenbürgen Volkslieder von den Leuten vor Ort zu lernen, wobei infolge der Empfehlung des Ethnografen und Volksliedsammlers, „Kallós Zoli bácsi” (Onkel Kallós Zoli), sich „alle Tore öffneten”. Singen lernte sie bereits in der Familie, ihre Mutter war Gesangs- und Musiklehrerin, eine Schülerin des ungarischen Komponisten und Musikethnologen Zoltán Kodály. Auch wenn ihre Mutter nicht mit der Stimme einer Volksliedsängerin sang, hatte auch sie als Studentin Volkslieder sammeln müssen. „Ich hörte immer meine Mutter zuhause singen, und es war selbstverständlich, dass sie sang, dass wir sangen”, erinnerte sich Sebestyén. „Ich dachte, dass das auch bei anderen so ist. Es war eine Enttäuschung, als es sich herausstellte, dass bei anderen zuhause gar nicht gesungen wurde.” Vor allem, da die Familienmitglieder mütterlicherseits, reformierte Kantorlehrer, Pfarrer waren, „lag es in der Luft”. „Das Singen, die Gemeinschaft, die Freude, zusammen zu singen, das brachte ich mit mir. Darin entdeckte ich meinen Weg, ich musste nicht überlegen, was ich werden möchte, wenn ich groß bin.”

Zusammengezählt wurde, dass Sebestyén bislang in 27 Sprachen gesungen hat. „Im Ensemble Vujicsics, das dieses Jahr ebenfalls 50 Jahre feiert, singe ich seit 40-45 Jahren, serbische, kroatische, bosnische, mazedonische Lieder, ich kann aber auch rumänische Lieder anstimmen oder griechisch singen, aber auch irische Volkslieder. Also ich habe schon in sehr vielen Sprachen gesungen, sogar auf Sanskrit in einem Film”, erzählte Sebestyén.

Im Laufe der Jahre machte sie auch in einem baskischen Ensemble mit. „Mit den Basken gab es eine mehrjährige Beziehung. Sie haben gesagt, in meiner Stimme befinde sich die Sehnsucht des baskischen Volkes nach Freiheit, bei ihnen gebe es keine Frau mit dieser Stimme. Da die Kirche den Frauen dort das öffentliche Singen verbot, gibt es deshalb keine Aufnahmen, wo Frauen singen, überall, auch in den Pyrenäen musste ich anhand von Männerstimmen entschlüsseln, wie man diese baskischen Lieder singen muss”, sagte sie.

Sebestyén übernahm auch die Rolle von Réka in der Originalbesetzung der bei den Ungarn beliebten Rockoper „István, a király” (Stephan, der König), die 1983 uraufgeführt wurde. „Genau vor 40 Jahren wurde ich in Ungarn die Sängerin des Jahres für die Rolle von Réka, was seltsam war: In der Popmusik wurde ich zur Sängerin des Jahres gekürt”, meinte Sebestyén, die ja eher in der Volksmusikszene daheim ist.

Wer den Oscar-preisgekrönten Film „The English Patient” (1996) gesehen hat, erinnert sich womöglich noch an das Lied „Szerelem, szerelem”, das gleich zu Beginn des Films ertönt. Gesungen wird es übrigens von Márta Sebestyén.

Im Laufe der Zeit konzertierte Sebestyén u. a. mit dem Ensemble Muzsikás, oft auch in Deutschland. „In Deutschland trafen wir oft Siebenbürger Sachsen, die in der Ceaușescu-Zeit von hier ausgewandert sind”, erinnerte sich Sebestyén. „Sie haben immer während den Konzerten geweint, und dann brachten sie uns einen Kissenbezug, auf dem ‚Siebenbürgen, süße Heimat‘ gestickt war.“ Auf Konzerten in Deutschland trug sie eine Schürze der siebenbürgisch-sächsischen Volkstracht, auf der zu lesen war: „Katharina Schuller 1905. Sie hatte sie als Geschenk von Zoltán Kallós bekommen.

Márta Sebestyén musste sich übrigens öfters schon in Situationen behaupten, die sich ein Volksliedsänger nicht einmal vorstellen könnte: „Ich habe vor Königin Elizabeth II. gesungen und die gesamte ungarische Kultur mit einem Heiligen Stephanslied vertreten. Danach erhielt ich von Prinz Charles, dem jetzigen König Charles III., einen schönen Dankesbrief“, erinnerte sie sich. „Ich habe aber auch schon vor dem japanischen Kaiserpaar, am spanischen Königshof und an zahlreichen derartigen Orten gesungen. Das Schicksal des Ungarntums in einem einzigen Lied zusammenzufassen und das würdig zu übergeben, ist tatsächlich eine kulturdiplomatische Aufgabe.

Die Tanzhaus-Methode, ein ungarisches Modell zur Überlieferung von immateriellem Kulturerbe, aber auch die Kodály-Methode wurden übrigens in das UNESCO-Register guter Praxisbeispiele aufgenommen. Davor noch wurde aber 2010 Márta Sebestyén mit dem Titel „UNESCO-Künstler für den Frieden ausgezeichnet.

Sebestyén erinnerte sich auch an die schönen Orte, an denen zusammen mit den Gryllus-Brüdern für die Konzertfilme u. a. auch in Syrien gefilmt wurde. „Wie gut es war, dass wir dahingekommen sind. Kurz nachdem wir daheim angekommen sind, brach dann der Krieg aus”, meinte sie.

Alles, was man bislang für die Kinder aufgehoben habe, sei nun in ernsthafter Gefahr, in moralischer Hinsicht, aber auch physisch, so die Kirchen, als auch die geistige Welt der Menschen. Der kulturelle Hintergrund sei nötig, dass jemand selbstbewusst in der Welt bestehen bleibe.

„Meine Schwiegertochter kommt aus Transkarpatien (Kárpátalja) und der Mensch verspürt über die eigenen Familienmitglieder, was dort vor sich geht. Es bricht das Herz des Menschen. Mit der selben Energie könnte man auch Dinge bauen. Was für ein guter Ort die Welt sein könnte”, meinte Sebestyén. „Das viele Geld müsste man nicht für Waffen sondern für das Wohl der Menschheit ausgeben. Der Mensch fühlt sich machtlos, und hat keine andere Waffe als die Musik und die Lieder”.

Die Spenden seitens der Konzertbesucher kamen übrigens der jüdischen Gemeinde Hermannstadt, zugute, die das von dem Ungarischen Kulturverein HID organisierte Konzert beherbergte.

Auf ihrer Siebenbürgentournee traten die drei Musiker in 7 Kichen verschiedener Konfessionen, in 7 Städten jeweils um sieben Uhr abends auf: in Arad in der lutherisch-evangelischen Kirche, in Hermannstadt in der Synagoge, in Odorhellen/Odorheiu Secuiesc in der unitarischen Kirche, in Csiksomlyo/Șumuleu Ciuc in der Franziskanerkirche, in Neumarkt am Mieresch in der reformierten Kirche, in Gherla in der armenisch-katholischen Kirche und in Sathmar in der griechisch-katholischen Kirche.

Werner FINK

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.