Ein Plädoyer fürs Anderssein

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Bühnenpremiere des Stückes „Bookpink“ von Caren Jeß in Hermannstadt

Ausgabe Nr. 2721

Das Stück „Bookpink” von Caren Jeß wurde am Sonntag, vor Publikum, von der deutschen Abteilung des Hermannstädter Radu Stanca-Nationaltheaters aufgeführt. Unser Bild: Der Temeswarer Yannick Becker (hier als weiße Taube) ist ein Neuzugang an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters.          Foto: Cynthia PINTER

„Zwischen den einzelnen Szenen verläuft kein roter Faden.
Es gibt keine übergreifende protagonistische Instanz.
Die Reihenfolge der Szenen ist abänderlich.“ Mit diesen Bemerkungen beginnt Autorin Caren Jeß ihr „Dramatisches Kompendium” „Bookpink”, das nun von der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters in Hermannstadt in zweiter Weltpremiere (nach der Uraufführung 2019 in Graz) aufgeführt wurde. Am Sonntag, dem 9. Mai, erfreute sich das Publikum zum ersten Mal nach langer Zeit wieder, Theater live auf der Bühne zu erleben. Geboten wurde das postdramatische Theaterstück „Bookpink“, in der Regie von Alexandru Weinberger-Bara und eines kreativen Kollektivs.

(V. l. n. r.): Szenenfoto mit Daniel Plier, Yannick Becker, Daniel Bucher und Ali Deac. Foto: Cynthia PINTER

 

Die Fabel hat als literarische Form lange nicht ausgedient. Nicht solange sich Menschen Tiernamen direkt ins Gesicht sagen oder sich den Vogel zeigen. Und genau diese oft zu wenig beachteten Vögel sind die Hauptfiguren in Caren Jeß‘ Theaterstück „Bookpink“.

Bookpink (plattdeutsch für Buchfink) und seine gefiederten Freunde sind nicht auf den Schnabel gefallen. Sie müssen alle – es sind 36 Stück, ein paar Pflanzen mit eingeschlossen – im Überlebenskampf Federn lassen. Manchmal wortwörtlich, wie der Dreckspfau, der – von der Mutter im dunklen Wald verlassen – durch einen Unfall mit Schmodder verklebte Federn hat und nicht mal ein Rad schlagen kann. Er ist voll verdreckt, so dass keiner seine Schönheit sieht, und der Spatz, der Spast, macht ihn blöd an.

Ein anderer Vogel, die Sumpfmeise Veroniko widersagt der männlichen Körperpflege, beziehungsweise der Beinenthaarung und geht auf dem Weg zum Individualismus im Sumpf unter.

Dann sind da die gutgläubigen Vögel, die zum „Kokon der Vernunft“ pilgern und sich Antworten auf ihre Alltagsfragen erhoffen. Doch die bleiben unbeantwortet, genau wie der Wunsch des Bussards, sich „die Mäuse zu holen“.

Szenenfoto mit Fabiola Petri (links) und Emöke Boldizsár. Foto: Cynthia PINTER

Die schrägen Vögel in „Bookpink“ haben – so hat man als Zuschauer oft den Eindruck – selber einen Vogel. Wie die Pute, der Energetiker und Möchtegern-Guru, dem das Bauchgefühl sagt: mit dem Halbedelstein Serpentinit soll der eigene Stall ausgekleidet werden. Hahn und Huhn (auf der Bühne in Hermannstadt sind das ,,Huhn und Huhn“) führen das Projekt ohne viel zu gackern aus. Doch die Entscheidung erweist sich als fatal, denn in dem Stein steckt Asbest und das ist letal für das Geflügel.

Dann ist da noch die Krähenmutter (eine Anspielung auf Rabenmutter), die ihren Sohn vernachlässigt und andauernd beschimpft. Der Sohn hat eine einzige Freude: zwei hinter einer Plexiglas-Vitrine tanzenden Flamingos. Letztere sind es  irgendwann leid, sich ewig im Kreis zu drehen und werden eines Abends flügge.

Als letztes kommt die weiße Taube mit ins Spiel, die von der Bühne aus die Zuschauer in einem Theatersaal beobachtet. Die weiße Taube träumt von barocken Opern, „von weißem Puder, der der Sängerin bei jeder unwirschen Bewegung aus den Federn springt, vom roten Lippenstift, den auch die Männer tragen, von Bühnenbildern mit blumenumrankten Balkonen, Springbrunnen und Pferdeköpfen aus weißer Keramik.” Sie gehöre so wenig in den Theatersaal, „wie ein Schaumbad ins Planschbecken“. Dann kommt der Herbst und die Perspektiven sind nicht rosig: „Vom Barock träume ich im Winter nie“.

Diese letzte Szene findet im Originalstück von Caren Jeß auf einem Campingplatz statt. Auf der Hermannstädter Bühne fühlte sich das Publikum durch die Ortsänderung jedoch direkt angesprochen.

Für die Schauspieler der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters bot der Text eine abwechslungsreiche Rollenverteilung. Abwechselnd schlüpften sie in die Rolle des Erzählers, bzw. der Erzählerin. Urkomisch waren Johanna Adam und Emöke Boldizsar in der Rolle der Hühner, dramatisch Daniel Bucher als Dreckspfau, bemitleidenswert Daniel Plier als Krähensohn, glaubwürdig Ali Deac als Pute, sehr intensiv Anca Cipariu als Krähenmutter, künstlerisch begabt Fabiola Petri als Sumpfmeise, und sehr originell Yannick Becker als weiße Taube. Es gab zwar keine Federkostüme (außer einem Paar weißer Flügel), aber die drei riesigen Bildschirme, auf denen live das Geschehen auf der Bühne gefilmt wurde – die Schauspieler spielten abwechselnd die Rolle der Kameramänner – gaben stets Antwort auf die Frage, welcher Vogel nun auf der Bühne war. Für Video Design war Dan Basu zuständig. Ein paar mehrstöckige Gerüste vervollständigten das Bühnenbild, das von Előd Golicza gebaut wurde.

In „Bookpink“ werden menschliche Abgründe, soziale Konstellationen und aktuelle Debatten mit viel Humor und subtilem Wortwitz, sowie Situationskomik dargestellt. Themen wie Massenmanipulation (Pute und Hühner), Emanzipation und Gender (Sumpfmeise) oder Kindesmisshandlung (Krähe) werden federleicht angesprochen. „Bookpink“ ist ein absolut sehenswertes Plädoyer für das Anderssein.

Cynthia PINTER

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.