Ausgabe Nr. 2881
Ein Tag voller Besuche in Siebenbürgen mit Hildrun Schneider

Hildrun Schneider.
Foto: Finya LUSTINA
Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als Hildrun Schneider und ich uns auf den Weg machen. Unser Ziel: die Dörfer rund um Kerz, südöstlich von Hermannstadt. Hildrun Schneider, Referentin für Kontakt zu den Mitgliedern der deutschen Gemeinschaft im Kirchenbezirk Hermannstadt, hat das Auto vollgepackt mit Taschen. Kleidung, Handtücher oder andere nützliche Spenden, die sie bei ihren Besuchen an bedürftige Menschen verteilt, finden auf der Rückbank Platz.
Während wir entlang der imposanten Karpaten fahren, erzählt mir Hildrun ihre Geschichte. Seit etwa drei Jahren ist sie beim Siebenbürgenforum angestellt und besucht als Referentin für Kontakt zu den Mitgliedern vor allem Hilfsbedürftige, nachdem sie zuvor 36 Jahre in Deutschland gelebt hatte. Damals ist sie als junges Mädchen im Alter von knapp 17 Jahren aus Hermannstadt ausgewandert. „Es war keine leichte Entscheidung, nach Siebenbürgen zurückzukehren“, gibt sie zu. Die Sehnsucht nach ihrer Heimat und das Gefühl, in diesem Beruf eine Berufung gefunden zu haben, haben sie letztendlich überzeugt. „Manchmal bietet einem das Leben Überraschungen, mit denen man gar nicht rechnet“, sagt sie mit einem Lächeln, während sie den Blick auf die Berge richtet.
In Kerz angekommen, frage ich sie, woher sie überhaupt weiß, welche Menschen Hilfe benötigen. Sie erzählt mir von der Saxonia-Stiftung, die ein Verzeichnis der hilfsbedürftigen Siebenbürger Sachsen und Landler hat. „Das sind Mitglieder der evangelischen Kirche, Mitglieder eines Deutschen Forums, aber manche Leute sind weder Mitglied bei der Kirche noch beim Forum und dann fallen sie durch dieses Raster und tauchen gar nicht in diesem Verzeichnis auf. Dann ist es gar nicht so leicht, solche Leute ausfindig zu machen.“ Außerdem ändere sich die Liste ständig; manchmal sterben Menschen oder ziehen vom Dorf in die Stadt und sind somit nicht mehr in Hildruns Zuständigkeitsbereich. Auch junge Menschen kämen manchmal hinzu, doch die meisten Leute, die sie besucht, seien älter, zwischen 60 und 80 Jahre alt, erklärt sie.
In Kerz suchen wir das Haus von Frau Maricică, einer älteren Rumänin, deren siebenbürgisch-sächsischer Mann vor längerer Zeit verstorben ist. Das Haus zu finden, erweist sich als kleine Herausforderung – die Häuser in den Dörfern haben oft zwei Hausnummern. Schließlich stehen wir in einem kleinen, schattigen Hof, in dem Weinreben und blühende Pflanzen gedeihen. Ein kleiner Hund begrüßt uns schwanzwedelnd.
Maricică öffnet uns die Tür und bittet uns in ihr bescheidenes Heim. Der Raum ist klein, ein umfunktioniertes Sofa dient als Bett, daneben ein Tisch mit zwei Stühlen, die sie uns direkt anbietet. An den Wänden hängen Familienfotos und Magnete, die von einem langen Leben erzählen. Wir überreichen ihr die Kleidung, die Hildrun mitgebracht hat, und sie bedankt sich herzlich. Ihre Gastfreundschaft ist überwältigend: Sie wärmt Kipferl auf und schenkt uns etwas zu trinken ein. Sie bietet uns immer wieder die Schüssel mit den Kipferln an, während sie uns erzählt, dass eine gute Freundin von ihr kürzlich verstorben ist. Hildrun hört geduldig zu, bietet Trost und Mitgefühl. Es ist spürbar, wie gut es Maricică tut, einfach jemandem da zu haben, der sich interessiert. Als wir gehen, drückt sie uns riesige Tomaten aus ihrem Garten in die Hände. Obwohl sie selbst so wenig hat, möchte sie uns dennoch etwas mitgeben. Es ist ein ergreifender Moment, der die Herzlichkeit dieser Frau zeigt.
Unser nächster Besuch ist ebenfalls in Kerz, bei Frau W. Ihre Tochter empfängt uns und führt uns in das Wohnzimmer, das gleichzeitig als Schlafzimmer dient. Frau W. liegt im Bett, neben ihr ein Eimer voller Medikamente, sie wirkt zerbrechlich. Trotz ihrer körperlichen Schwäche, strahlt sie eine beeindruckende Lebendigkeit aus. Hildrun spricht sie auf Sächsisch an, worüber sie sich sichtlich freut. Ihr Mann ist ebenfalls anwesend und es entsteht ein lebhaftes Gespräch. Am Ende des Besuches fragt Hildrun, ob sie der Familie noch etwas Gutes tun kann, ob sie etwas Bestimmtes brauchen. Die Tochter winkt ab und alle bedanken sich lediglich erneut für den Besuch, der auch bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Bevor wir weiterfahren, klingelt Hildruns Handy. Eine traurige Nachricht erreicht uns: Ein älterer Mann, den sie regelmäßig besucht hat, ist verstorben. Hildrun ist sichtlich betroffen und muss sich erst einmal sammeln. „Ich habe Bezug zu den Leuten, ich besuche sie, ich kenne sie“, sagt sie ergriffen. In diesem Moment wird mir klar, dass diese Menschen nicht nur ein Teil Hildruns Arbeit sind, sondern ihr auch etwas bedeuten. Nach ein paar Minuten fahren wir weiter in den Krautwinkel, eine Strecke, die durch unberührte Natur führt. Die Karpaten thronen am Horizont, und für einen Moment sind wir beide sprachlos angesichts der Schönheit Siebenbürgens.
In Martinsberg besuchen wir Gustav. Als wir ankommen, sitzt er mit drei Hunden unter einer Weide vor seinem Haus. Die Szene wirkt fast idyllisch, doch Gustav hat mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen. „Ich versuche ihm meistens Lebensmittel mitzubringen“, erzählt mir Hildrun. Heute hat sie ein paar Grundnahrungsmittel und Handtücher dabei. Gustis ehrliches Lächeln zeigt, wie sehr er sich über diese kleine Geste freut. Er wirkt sehr offen und scheint sich auch für mich und meine Arbeit zu interessieren. Bevor wir abfahren, bringe ich ihm noch ein Kissen, das Hildrun für ihn im Auto hatte. Sein strahlendes Lächeln bleibt mir im Gedächtnis.
In Gürteln empfängt uns Honnes. Er zeigt uns seine Scheune, die langsam verfällt. Er spricht von den hohen Kosten für eine Reparatur, und Hildrun hört ihm geduldig zu, bietet Ratschläge an und zeigt Verständnis. Ich empfinde Honnes als einen gesprächigen und freundlichen Mann, mit dem das Schicksal es einfach nicht gut gemeint hat. „Hier ist nichts, du kannst nirgendwo hingehen und mit niemandem reden“, gesteht er offen, was einmal mehr zeigt, wie wichtig für ihn die Besuche von Hildrun sind. Zum Abschied bedankt er sich, dass wir da waren und wünscht uns alles Gute.
Ein paar Straßen weiter treffen wir auf Helmut und seinen rumänischen Freund von gegenüber. Die beiden begegnen ihrer schwierigen Situation mit Humor, was den Besuch trotz der Umstände leicht und angenehm macht. Es wird viel gelacht, was nicht nur für Hildrun und mich eine willkommene Auflockerung des bisherigen Tages ist. Schon bevor wir gehen, fragt Helmut, wann Hildrun das nächste Mal vorbeikommt.
Als Nächstes halten wir in Tarteln bei Frau und Herrn B. und ihrer körperlich eingeschränkten Tochter Kathi. Wir erfahren, dass Kathi momentan nicht da ist, weil sie wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert werden musste. Trotz dieser Umstände wirken die beiden relativ zufrieden und freuen sich einfach, dass alles gut gegangen ist und Kathi bald wieder da sein wird. Sie empfangen uns mit offenen Armen, bieten uns Getränke an und setzen sich mit uns an den Tisch. Es ist ein herzlicher und lebhafter Austausch, der einmal mehr die tiefe Gastfreundschaft dieser Menschen zeigt.
Unser vorletzter Halt ist in Braller bei Hans. Im Gegensatz zu den anderen Begegnungen ist er zunächst nicht sehr gesprächig und eher zurückhaltend. Nach einer Weile taut Hans jedoch etwas auf. Er bietet uns Weintrauben aus seinem Garten an und pflückt uns welche zum Mitnehmen. Mit dieser herzlichen Geste in Gedanken schauen wir noch beim Kurator und dessen Familie vorbei, die sich freuen, dass wir auch an sie gedacht haben. Schließlich verlassen wir Braller und machen uns auf den Weg zurück nach Hermannstadt.
Auf dem Rückweg schweife ich in Gedanken ab. Die untergehende Sonne taucht die Landschaft in ein warmes Licht und die Natur rund um die Karpaten ist atemberaubend schön. „Wie du siehst, gibt es wirklich diese totale Armut“, sagt Hildrun, während wir an Schafen und Kühen vorbeifahren. Trotz aller Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen diese Menschen gegenüberstehen, haben sie sich ihre Herzlichkeit und Freundlichkeit bewahrt. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie aus ihrer Situation das Beste machen und trotz allem anderen Menschen weiterhin mit ausgeprägter Gastfreundschaft und Offenheit begegnen. „Eigentlich ist das Schöne an meiner Arbeit, dass ich Leute besuche, bei denen ich den Eindruck habe, allein durch meinen Besuch mache ich ihnen eine Freude“, sagt Hildrun, als es langsam anfängt, zu dämmern. „Du hast das Gefühl, nachher geht es ihnen besser als vorher, oder sie hatten zumindest eine Abwechslung in ihrem Alltag.“
Dieser Tag mit Hildrun Schneider hat mir gezeigt, wie viel Wert kleine Gesten haben können und wie wichtig es ist, für andere da zu sein und ein offenes Ohr zu haben. In einer Welt, die oft von Hektik und Egoismus geprägt ist, ist Hildruns Arbeit ein leuchtendes Beispiel für Menschlichkeit und Mitgefühl.
Finya LUSTINA
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