Aus Anton Kobergers Werkstatt

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Ausgabe Nr. 2854

Raritäten aus den Beständen der Bibliothek von Samuel von Brukenthal (IV)


Der für die Bibliothek des Barons Samuel von Brukenthal zuständige Kurator Alexandru-Ilie Muntean (2. v. r.) bei der Vorstellung der ersten Inkunabel.
Foto: Beatrice UNGAR

Liebe Bibliophile, oder „Amateurs”, wie die Buchliebhaber im 18. Jahrhundert genannt wurden, das Brukenthalmuseum hat dieses Jahr eine Ausstellungsreihe mit dem Titel Brukenthal-Inkunabeln gestartet. Im Rahmen dieses Ausstellungsprojekts werden im zweiten Stock des Brukenthalpalais nacheinander mehrere solcher Ausgaben von Büchern ausgestellt, die in der Frühzeit des Buchdrucks in Europa, gedruckt wurden. Für diejenigen, die mit dem Begriff vielleicht nicht vertraut sind: Inkunabel kommt vom lateinischen incunabulum, was „Wiege” bedeutet. Daraus lässt sich ableiten, dass Inkunabeln jene Bücher sind, die in der frühen, „Wiege”-Zeit der Einführung des Buchdrucks in Europa gedruckt wurden. Mit anderen Worten, es handelt sich um die ersten Bücher, die auf dem europäischen Kontinent gedruckt wurden. Im Großen und Ganzen handelt es sich um die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. In der vierten Folge der Reihe „Raritäten aus den Beständen der Bibliothek von Samuel von Brukenthal” stellt der für die Bibliothek zuständige Kurator Alexandru-Ilie Muntean diese Sonderveranstaltung des Brukenthalmuseums ausführlich vor.

Mit Blick auf den Gründer der Bibliothek haben wir bei der Auswahl das erste Exemplar für diese Ausstellung aus Samuel von Brukenthals ursprünglicher Sammlung ausgewählt. Angesichts der Bedeutung der Bibel in der Geschichte der Menschheit fiel die Entscheidung, mit Samuel von Brukenthals frühester Bibel zu beginnen, relativ leicht. Es handelt sich dabei um eine lateinische Bibel, eine „Biblia latina, die im November 1478 von Anton Koberger (1440-1513) in Nürnberg gedruckt wurde, die vierte von ihm gedruckte lateinische Bibel.

Im Allgemeinen ist bei alten Büchern und insbesondere bei Inkunabeln jeder Band auf seine Weise und aus verschiedenen Gründen etwas Besonderes und Einzigartiges, und diese Kobergersche Ausgabe der lateinischen Bibel, insbesondere dieses in der Brukenthal-Bibliothek aufbewahrte Exemplar, hebt sich unter mehreren Gesichtspunkten ab.

Zunächst einmal handelt es sich, wie gesagt, um die älteste Bibel, die Samuel von Brukenthal von den mehr als 30 Ausgaben der Heiligen Schrift besaß, die er im Laufe der Jahre erworben und erhalten hatte.

Anton Koberger ist weit davon entfernt, in der Personal-Landschaft der europäischen Drucker in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Ausnahme zu bilden, und gehört zu den wichtigsten, produktivsten und einflussreichsten Druckern der Geschichte. Er war vor allem in Nürnberg tätig, einem Zentrum der deutschen künstlerischen, literarischen und technischen Renaissance im 15. Jahrhundert, und zeichnete sich unter anderem durch die große Zahl von Drucken aus, die aus seinen Werkstätten stammen: 15 Ausgaben der lateinischen Bibel und insgesamt mehr als 230 Ausgaben in etwa vier Jahrzehnten Drucktätigkeit. Dies ist eine Tätigkeit, die über die Grenzen der freien und kaiserlichen Stadt Nürnberg hinausging, da Koberger zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Karriere 24 Druckereien in verschiedenen Städten Mittel- und Westeuropas unterhielt.

Fünfzehn dieser Druckereien standen allein in Nürnberg. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man die damaligen Bedingungen, Strukturen und Besonderheiten der europäischen Wirtschaft und des Marktes berücksichtigt.

Diese Kobergersche lateinische Bibel hat ein relativ großes Format (42 x 29 cm) und ist ausgestattet mit einem mit Leder bezogenen Holzeinband, der mit Rautenbordüren, Blumenmotiven usw. verziert ist. Der Band zählt 468 nummerierte Seiten, die mit zahlreichen, meist rot und blau gefärbten Zierinitialen in verschiedenen Größen verziert sind. Der Text ist pro Seite jeweils auf zwei Spalten zu je 51 Zeilen gedruckt.


In einem Schaukasten im zweiten Stock des Brukenthalpalais bis zum 7. März d. J. zu bewundern: Die Kobergersche lateinische Bibel von 1478. Foto: Beatrice UNGAR

Außerdem gehört diese Bibel zu einer größeren Familie von Ausgaben und Varianten der Heiligen Schrift, die allgemein als die „Vulgata des Hieronymus bezeichnet wird. Die „Biblia Sacra Vulgatae editionis war die Standardbezeichnung für jene lateinischen (katholischen) Bibeln, die auf dem Text der Übersetzungen des heiligen Hieronymus (4. Jh. n. Chr.) von antiken griechischen, hebräischen und aramäischen Bibeltexten beruhten. Der Text der „Vulgata des Hieronymus diente als Grundlage für eine große Anzahl von Bibeln, die im Laufe mehrerer Jahrhunderte in Europa, insbesondere in Mittel- und Westeuropa, erschienen.

Obwohl es sich bei der „Vulgata des Hieronymus um eine Bibel handelte, die eher in katholischen Kreisen verwendet wurde, und trotz der Tatsache, dass Samuel von Brukenthal ein gläubiger Lutheraner war, scheute er sich nicht, seine Bibliothek mit Ausgaben der Heiligen Schrift zu bereichern, die von anderen Konfessionen bevorzugt wurden. So besaß er zum Beispiel eine etwas neuere Vulgata-Bibel, die 1638 in Köln in einer schönen kleinen 12er-Ausgabe erschien: die „Biblia Sacra Vulgata editionis Sixti Quini et Clementis VIII, die ebenfalls eine interessante Geschichte hat und über die sich die rumänischsprachige Öffentlichkeit in der letzten Ausgabe 2023 der Hermannstädter Kulturzeitschrift Euphorion informieren kann.

Diese vierte Kobergersche Ausgabe der lateinischen Bibel enthält neben dem eigentlichen Bibeltext des Alten und Neuen Testaments auch die Anmerkungen von Menardus Monachus. Dieser Menardus war ein Mönch, der vermutlich im 15. Jahrhundert in der Mitte des heutigen Deutschlands, in Eisenach, lebte; deshalb wird er auch Menardus Eisnacensis genannt.

Seine Bibelkommentare wurden in viele lateinische Bibeln aufgenommen, die in den 1470er Jahren in verschiedenen europäischen Städten gedruckt wurden, z. B. lateinische Bibeln mit Kommentaren dieses Menardus, die in Basel gedruckt wurden (1474), Koberger verwendete dessen Texte ausgiebig (1475, 1477, 1478, 1479), Johann Zainer (gest. um 1523) nahm sie in seine Ulmer Bibel auf (1480) usw.

Ab den 1480er Jahren genossen dann die Bibelkommentare des Nikolaus von Lyra die Gunst des Publikums und der Buchdrucker und verdrängten allmählich die von Menardus ein.

Die vorliegende Ausgabe der „Biblia latina ist nicht nur für die Geschichte der Bibelübersetzung oder die Geschichte der Bibliothek Samuel von Brukenthals etwas Besonderes. Über diese Aspekte hinaus war sie selbst eine, sagen wir, besondere Präsenz auf dem Buchmarkt des späten 15. Jahrhunderts. Sie gehörte nämlich zu einer „neuen, modernen Reihe von Bibeln, die einige technische Merkmale aufwiesen, die der Leser heute als selbstverständlich ansieht, wenn er an ein Buch denkt. Ich beziehe mich auf die Paginierung und den Index.

Der alltägliche, aber zugleich wichtige Index, war damals – wie gesagt, in der Frühzeit des Buchdrucks – nicht in allen Büchern zu finden. Auch eine Paginierung gab es nicht bei allen Büchern, die in den ersten Jahren des Druckwesens in Europa gedruckt wurden, obwohl um das Jahr 1500 herum immer mehr Bücher auch diese Merkmale aufwiesen. Diese Koberger-Bibel hatte sowohl einen Index, der ganz am Anfang des Bandes stand, als auch eine Paginierung durch Nummerierung der Registerblätter (nicht der Seiten). Das erleichterte dem Leser die Orientierung im Buch, was ich am eigenen Leib erfahren habe, als ich das Hohelied der Liebe finden wollte, wo ich auch diese Bibel zunächst aufgeschlagen hatte.

Was die Herkunft des Exemplars aus der Brukenthal-Bibliothek anbelangt, so scheint die Ausgabe einst Teil der Bibliothek des Klosters Louka in Znaim (heute Tschechische Republik) gewesen zu sein, wie aus der Inschrift „Pro Conuentu Znoymensi Frum Min: strict: obser, die auf der Registerkarte Nr. 1 erscheint, geschlossen werden kann. Da die Ausgabe nicht im alphabetischen Katalog von C. F. S. Hahnemann und J. M. Soterius (von Sachsenheim) von 1780 aufgeführt ist, sondern in dem nach dem Tod des Barons erstellten Katalog der Bibliothek Brukenthals erwähnt wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Kobergersche Bibel irgendwann zwischen 1784 (Aufhebung des Klosters Louka) und den frühen 1790er Jahren in den Besitz Brukenthals gelangte. Seitdem wird sie in der Inkunabelsammlung der Bibliothek von Brukenthal aufbewahrt und ist nun bis zum 7. März 2024 im Brukenthalpalais auf dem Großen Platz zu sehen.

 

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