Zweite Premiere der neuen Spielzeit am ,,Radu Stanca“-Nationaltheater
Ausgabe Nr. 2928

Die sieben Darstellenden (v. l. n. r.): Daniel Plier, Gyan Ros, Olga Török, Viorel Rață, Emőke Boldizsár, Patrick Imbrescu und Serenela Mureșan. Foto: Vlad DUMITRU
Der 11. September 2001 ist ein Datum, das bei vielen Menschen negative Gedanken hervorruft, denkt man an das Attentat auf die Türme des World Trade Center in New York, welches die Welt veränderte. Der 11. September 2025 war in Hermannstadt Premierentag im „Radu Stanca”-Nationaltheater, „Union Place“, ein Theaterstück von Elise Wilk, wurde erstmals aufgeführt, in der Regie von Cristian Ban, mit Schauspielerinnen und Schauspielern der deutschen und der rumänischen Abteilung. Hermannstadt erlebte die Erstaufführung dieses Stücks in Rumänien. Die Dramaturgin Elise Wilk hatte die erste Fassung 2022 auf Einladung des Schauspielhaus Salzburg geschrieben. Wie sie im HZ-Interview erklärte, sollte es „ein Theaterstück über europäische Gemeinsamkeiten und Unterschiede” sein.
Das Stück wurde als Koproduktion zwischen dem Schauspielhaus Salzburg, dem Escher Theater in Luxemburg und dem Nationaltheater Temeswar mit einer Besetzung aus drei Ländern von Alexandru Weinberger-Bara inszeniert, gespielt wurde – wie auch in Hermannstadt – in drei Sprachen: deutsch, rumänisch und englisch. Der Titel „Union Place” sei, so Wilk, ein Vorschlag von Robert Pienz, dem damaligen Intendanten aus Salzburg gewesen, der feststellte: „In jeder europäischen Großstadt gibt es einen Platz der Einheit. Die Handlung des Stücks könnte sich in drei verschiedenen Städten an diesem Platz der Einheit abspielen”.
Die Vorstellung begann um 19 Uhr und schon lange Zeit vor Premierenbeginn fand sich eine große Anzahl Theaterenthusiasten vor dem Theatergebäude an der Unteren Promenade ein und man konnte die Vorfreude auf das Stück förmlich mit Händen greifen. Nach der Sommerpause waren die Besucher neugierig auf das Theaterstück. Als die Vorstellung begann, war der Zuschauerraum bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch der Balkon.

Szenenfoto mit Patrick Imbrescu, Emőke Boldizsár und Daniel Plier (v. l. n. r.). Foto: Vlad DUMITRU
Der erste Eindruck war das Bühnenbild, großartig angelegt in V-Form mit zwei Stühlen und einem Sofa, aber mit Türen in der Bühnenfront. Das wirkte sich positiv auf die Akustik aus. Das Ensemble bestand aus Olga Török (Sophie), Gyan Ros (Darius), Viorel Rață (Rudi), Serenela Mureșan (Mariana), Emőke Boldizsár (Daniela), Daniel Plier (Walter) und Patrick Imbrescu (Alex). Das Stück umfasst drei Erzählstränge zu unterschiedlichen Zeiten, gespielt wird in rumänisch, deutsch und englisch. Die Übersetzungen laufen sehr gut sichtbar auf einem Bildschirm über der Bühne mit. Manche Überraschung erwartet den Zuschauer und man spürte die Lust der Regie an der Inszenierung.
Die drei unterschiedlichen Erzählstränge scheinen zu Anfang nichts miteinander zu tun zu haben, trotzdem bekam man als Zuschauer das Gefühl, mehr zu wissen. Dargestellt werden drei Familiengeschichten an drei unterschiedlichen Plätzen in Europa – Luxemburg, Hermannstadt und Wien -, erstreckt über 3 Generationen. Am Wiener Flughafen treffen sich Sophie und der attraktive aber jüngere Darius, daraus wird eine Affäre mit Folgen, Sophie hatte aber schon eine Leihmutterschaft in Kiew in Auftrag gegeben, wie konnte sie die jetzige Situation vor ihrem Mann geheim halten? In Luxemburg spielt die Geschichte um den wohlhabenden und etwas selbstgerechten Studienrat Walter mit seiner Frau Daniela, einer Sängerin aus Rumänien, und Danielas Sohn Alex, den die Mutter lange nicht gesehen hatte und der in Rumänien straffällig geworden war und nun Geld brauchte, um sich freizukaufen. In Hermannstadt treffen sich Mariana und Rudi nach langen Jahren wieder, in den 1980-er Jahren vereint in einer Teenager-Liebe. Rudi flüchtete vor 1989 aus Rumänien, Mariana blieb im Land und ihr widerfuhren dramatische Erlebnisse. Damit waren die unterschiedlichen Handlungsorte zu Orten der Einheit geworden, an denen nichts war, wie es scheint. Je länger das Stück dauerte, desto mehr schafften es die Schauspieler, mit einem hohen Maß an Authentizität und Spielfreude dem Publikum die Bruchstellen der gesellschaftlichen Normen und die Unterschiede in der Lebenswirklichkeit über die Grenzen hinweg darzustellen. Von Geburt an geltende Normen in den jeweiligen Ländern beherrschen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Der Kinderwunsch der Frau wird in unterschiedlichen Gesellschaftsformen, hier das traditionelle rumänische Bild einer Familie, da der davon abweichende Wunsch unverheiratet zu sein, angesprochen. Es ist ein patriarchalisches Muster, das sich im Luxemburger Erzählstrang eingeschlichen hat, Walter und Daniela leben zusammen nach dem Motto: der Mann herrscht, die Frau folgt. Der verlorene Sohn Alex bringt bei seinem Besuch sein Problem zur Sprache und Walter fragt: „Was kostet mich die Lösung?” Elise Wilk gelingt es, die Oberflächlichkeit der Konsumgesellschaft (Luxemburg), die drohenden Verwerfungen durch Krieg (Leihmutterschaft in Kiew) und die Störung einer Beziehung durch lange Jahre der Trennung (Rudi und Mariana) darzustellen. Sie lässt sprachliche Barrieren als irrelevant und gesellschaftliche Normen, mit denen man aufwächst, als dominierendes Element erscheinen. Die Protagonisten der Erzählstränge wirken wie Suchende, Verirrte, im inneren Kampf sich erschöpfende Figuren: Anständige Menschen, gefangen in einer paradoxen Welt, in einer Welt des scheinbaren „Wohlbefindens“, in einem Kampf um das Wohlbefinden. Dieses Stück erinnert an den „Steppenwolf“ von Hermann Hesse, in dem der Protagonist Harry Haller niemals mit sich und seinem Leben zufrieden war und sich nicht an seine Umgebung anpassen konnte. Elise Wilk schafft in ihrem Bühnenstück gemeinsam mit den grandiosen Schauspielern des „Radu Stanca”-Nationaltheaters mit ihren kurzen prägnanten Einsätzen in den Szenen sowie ein hohes Mass an Spielkunst, die beim Zuschauer eine Spannung erzeugte die seines gleichen sucht, zu zeigen. Die gesuchte Harmonie, die den drei Erzählsträngen innewohnt, stellt sich aber nicht ein, kein „Union Place“! Die Unterschiede der Lebenswirklichkeiten sind zu groß. Die Suche nach dem Lebensglück, über alle Barrieren hinweg ist nur schwer zu realisieren. Eine meisterhaftes Stück, eine fulminante Inszenierung und diese Schauspielkunst machten diesen 11. September 2025 zu einem Abend, der noch lange nachwirken wird.
Die Zuschauer waren nach der zweistündigen Vorstellung so begeistert, dass sie über 10 Minuten lang den Schauspielern, dem Regisseur Cristian Ban, Elise Wilk und allen Beteiligten Stehapplaus und Ovationen darbrachten. Bravo!
Lothar SCHELENZ