,,Die Arbeit geht nicht aus“

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Blick auf die Tätigkeiten im Friedrich Teutsch-Kultur- und Begegnungszentrum

Ausgabe Nr. 2655

 

Elisabeth Deckers (rechts) und die Museumsleiterin Heidrun König verpacken eine Fahne aus der evangelischen Kirche in Haschagen.Foto: Beatrice UNGAR

Möchten Sie wissen, wann Ihre Urgroßmutter geboren ist, oder wie weit die väterliche Linie zurückreicht? Fragen Sie im Teutsch-Haus in Hermannstadt nach, und wenn die Kirchenbücher Ihres Heimatortes dort aufbewahrt werden, kann man Ihnen Auskunft geben. Erstaunlich viele Menschen, gerade die, die nicht mehr in Rumänien leben, möchten etwas über ihre Familie wissen.

Oder sind Sie ein an der Historie Interessierter, der schriftliche Quellen zu einem Sachverhalt – sagen wir, im 19. Jahrhundert – sucht, auch da kann unter Umständen das Teutsch-Haus weiterhelfen.

 

Viele Hermannstädter und andere Menschen, die nach Hermannstadt reisen und dort durch die Stadt gehen, kennen das große, ockergelbe Gebäude an der Fleischergasse/Str. Mitropoliei, am Rande des Astra-Parks und unweit der orthodoxen Kathedrale. Ein Schild verrät, dass dieses Gebäude das Teutsch-Haus ist, mit dem Erasmus-Büchercafé im Erdgeschoss und dem Landeskirchlichen Museum im 1. Stock.

Doch das ist noch längst nicht alles, was hier geschieht. Im Hintergrund passieren noch ganz andere wichtige Dinge: Die Bewahrung der Geschichte. Im beeindruckend großen Archiv lagert das Schrifttum der Siebenbürger Sachsen, das zum Teil mehrere Jahrhunderte zurückreicht. Dazu kommen Nachlässe von jüngst verstorbenen Personen, die für die Geschichte der Siebenbürger Sachsen eine Bedeutung haben.

Was passiert mit diesen Schätzen? Sie werden gesichtet, fachgerecht aufbewahrt und so dokumentiert, dass sie von den Forschern genutzt werden können.

Seit längerem habe ich die Gelegenheit, als „Senior Expat“, wie sich das heute nennt, für jeweils mehrere Wochen pro Jahr bei dieser spannenden Arbeit mitzuhelfen und abenteuerliche Reisen in die Vergangenheit zu machen.

Etwa anhand der Protokolle des Presbyteriums in Schäßburg – Folianten vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Sie mussten durchgesehen werden, um daraus ein „Findbuch“ zu erstellen. Das ist eine Art Inhaltsverzeichnis, nach dem man die Originalbücher dann schnell im Regal heraussuchen kann. Aus diesen Protokollen konnte ich erfahren, wie die wirtschaftliche Lage der Schäßburger Gemeinde war. Die Gemeinde war eigentlich reich. Aber mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich das: Es gab Probleme zu bewältigen wie: Wie ersetzen wir die Lehrer, die in den Krieg ziehen, wie unterstützen wir die Witwen der Gefallenen, wie geht es nach den Enteignungen finanziell überhaupt weiter – das alles liefert einen guten Einblick in den Alltag des Zusammenlebens.

Und noch einmal Schäßburg: Der junge Architekt Fritz Balthes (1882-1914) hat vor dem Ersten Weltkrieg ein persönliches Tagebuch geschrieben. Die Handschrift wurde dem Teutsch-Haus zur Verfügung gestellt, und es war die Aufgabe, das in Sütterlin geschriebene in den Computer zu übertragen.

Überhaupt spielt die alte gotische Schrift in vielen Dokumenten eine Hauptrolle. Es ist erstaunlich, wie flüssig die erfahrenen Mitarbeiter des Archivs diese Schrift lesen können. Sie waren mir eine große Hilfe, wenn ich Fragen hatte.

Elisabeth Deckers beim Transkribieren des Roman-Manuskripts von Gerda Mieß. Foto: Beatrice UNGAR

Aktuell betraf das auch einen Roman der Schriftstellerin Gerda Mieß (1896-1954), die zwar Gedichte veröffentlicht hat, aber dieser Roman liegt nur handgeschrieben, in einer Schachtel verwahrt, in ihrem Nachlass. Ein Roman um 1900? Es geht da natürlich um junge Leute und die Liebe. Am Ende kriegen sich alle, aber vorher laufen interessante, zeittypische Konflikte ab, es geht etwa darum, ob eine junge Frau gleich heiratet oder doch besser erst einen Beruf ergreift.

Ein ganz anderer Teil der Geschichtsbewahrung sind Textilien aus den Kirchengemeinden. Bestickte Altar- und Kanzeltücher oder Fahnen erinnern an Handwerksverbände im Dorf, an Bruderschaften, oder sie sind im Gedenken an einen Verstorbenen bestickt. Dies alles wird  sorgfältig fotografiert und beschrieben und dann in Seidenpapier und Tücher gewickelt und auf Regalen gelagert.

Hinter jedem einzelnen Teil, mit dem ich mich im Teutsch-Haus beschäftigen konnte, liegt also die Vergangenheit von Einzelnen oder von ganzen Gemeinden. Und die Arbeit geht nicht aus, es bleibt noch viel zu tun.

Dank der engagierten Mitarbeiter dort können die Siebenbürger Sachsen beruhigt sein, dass ihre so lange und bemerkenswerte Geschichte nicht in der Dunkelheit des Vergessens versinkt.

Elisabeth DECKERS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.