Statt einer Rezension zu Joachim Wittstocks ,,Bogengang. Gedichte und lyrische Prosa“
Ausgabe Nr. 2933

Joachim Wittstock: Botengang. Gedichte und kurze Prosa, Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt 2025, 189 Seiten, ISBN 978-3-949583-75-9, 129 Lei. In Hermannstadt liegt das Buch in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé auf.
Das vor kurzem erschienene Buch „Bogengang. Gedichte und lyrische Prosa” von Joachim Wittstock lässt sich auf einen ersten Blick in die Kategorie etwas befremdlicher Bücher einordnen, was im Grunde nicht ungewöhnlich ist, wenn von Wittstocks Oeuvre die Rede ist. Erinnern wir uns doch an „Forstbetrieb Feltrinelli” (2018) und „Briefe in die Runde” (2021), beides Beiwerke eines großen Erzählers, der auch mal lyrisch Angehauchtes aufgreift und sich dazu aufrafft, Persönliches zusammenzufassen und der Öffentlichkeit poetisch verpackt vorzulegen.
Es muss kurz nach dem Erscheinen des Zeitromans „Das erfuhr ich unter Menschen” (2024) gewesen sein, als ich Joachim Wittstock in einem persönlichen Gespräch nach weiteren Buchprojekten befragte, wohl wissend, wie sehr einen jede neue Veröffentlichung in Anspruch nimmt und an den Kräften zehrt. Er arbeite an einem Lyrikband, sagte er nach kurzem Zögern, da man, nun ja, der Lyrik in gewisser Weise stets verbunden gewesen sei und es gäbe immer wieder den einen oder anderen lyrischen Entwurf, den man zu Papier bringe. Eine ebenso freudige wie überraschende Mitteilung vor allem für die Kenner von Wittstocks Literatur.
Nun liegt das Buch vor und ich bin zunächst etwas enttäuscht: „Bogengang. Gedichte und lyrische Prosa” von Joachim Wittstock ist im Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt in einer qualitativ lobenswerten, allerdings etwas zu nüchternen, von Sepia- und Graubrauntönen dominierten Aufmachung erschienen und erinnert rein äußerlich eher an ein robustes Lehr- oder Sachbuch.
Wer in diesem Buch nach bislang unbekannten Texten des Autors sucht, wird leider enttäuscht. Der Band fasst Texte in gebundener und ungebundener Rede aus folgenden früheren Veröffentlichungen Wittstocks zusammen: „Botenpfeil” (1972), „Blickvermerke” (1976), „Mondphasenuhr” (1983), „Morgenzug” (1988) und „Briefe in die Runde” (2021). Dazu sind auch solche Texte wiederzulesen, die sporadisch in den Wochenschriften Die Woche und Karpatenrundschau sowie in der Zeitschrift Neue Literatur erschienen waren. Ergänzt wird das Textmaterial mit fotografischen Abbildungen, Grafiken und Auszügen aus Besprechungen und Einschätzungen von Wittstocks Lyrik sowie einigen ironisch-objektiven Selbstkommentaren des Autors.
Was veranlasst Joachim Wittstock zu einem solchen Projekt? Was mutet er sich zu und was seinen Leserinnen und Lesern? Statt mit Neuem aufzuwarten, konfrontiert er das Publikum und sich selbst mit einer Retrospektive, fordert zu einer Art Auseinandersetzung mit sich selbst und der Zeit auf, die sich in seinen Texten teils als verdichtetes Bild, teils als gegenständliche Realität widerspiegelt. Wie so oft erweist sich der Titel des Buches in gewissem Sinn als programmatisch: Das Bild des Bogenganges durchzieht die gesamte Komposition, sei es in fotografischer Wiederholung, sei es in poetischen Sprachbildern. Der Bogengang als architektonisches Element vereint Geschlossenes mit Offenem, er weist einen Weg, zeichnet diesen nach, grenzt ihn ein und hält ihn dennoch nach beiden Enden hin offen – ein Symbol oder Halbsymbol zumindest, passend zu Wittstocks Vorliebe für akribisch verschlüsselte Beschreibungen in der Manier der Dinggedichte, die in seiner Zusammenstellung in schöner Anzahl zu finden sind.
Die Rückschau erweist sich für den Autor als notwendig, gerade nach dem Erscheinen des großen Zeitromans. Es geht ihm sicher darum, das poetische, sprich lyrische Werk noch ein Mal Revue passieren zu lassen und damit auch den eigenen Werdegang in Anbindung an die Lebens- und Schreiberfahrung während der 1970er und 1980er Jahre noch einmal poetisch zu durchlaufen. Der lyrische Diskurs bietet einem in Zeiten der politischen Gleichmacherei und der Meinungsunfreiheit Freiraum und Unterschlupf zugleich. Der Kommunismus, so empfanden das die meisten Schreibenden (nicht nur in Rumänien), war eine gute Zeit für Lyrik, um Brecht zu paraphrasieren, und Wittstock stellt dies erneut unter Beweis. Lesereisen – kollektive und individuelle -, Konzertgänge, landeskundliche Exkursionen, Zeitungs- und andere Lektüre sowie jegliche Art der Kunstbetrachtung verdichtet der Autor auf anschaulich metaphorische Weise in Form von anspruchsvollen Kompositionen, die jeweils der Struktur des Ausgangsobjekts entsprechen bzw. dieser angepasst werden, ganz gleich, ob es sich um ein Landschaftssegment, eine Musikkomposition, eine bildliche Repräsentation, eine Zeitungsnotiz oder eine persönliche Reminiszenz handelt. Man muss erinnert werden, dass es derlei Zeitläufe gegeben hat und immer noch gibt und dass diese einer lyrischen Verkörperung wert sind.
Dass Joachim Wittstock diese Rückschau vorlegt, mag so manch Eine oder Einen heute verwundern oder gar verstören. Will er sich einfach nur als Autor in Erinnerung rufen und signalisieren, dass er noch vorhanden ist? Ich meine, es geht Joachim Wittstock um weit mehr als nur das: Bogengang veranschaulicht zum einen eine viel zu wenig beachtete Facette des Autors, zum andern rekuperiert das Buch viele Gedichte aus der Vergessenheit und nicht zuletzt zeichnet es den Bogengang rumäniendeutscher Lyrik auf ihrem Weg von der klassischen Moderne in die Postmoderne nach.
Ich freue mich schon auf Joachim Wittstocks nächstes Buchprojekt und bin gespannt, wodurch es überraschen wird.
Prof. Dr. em. Carmen E. PUCHIANU