Bahnbrecher in vielerlei Hinsicht

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Ausgabe Nr. 2856

Gedanken zu dem Buch ,,Gelebte Berufung“ / Von Gerhard SERVATIUS-DEPNER


Gelebte Berufung: Pfarrer Gerhard Servatius-Depner stellte am 7. März im Festsaal im Bischfospalais der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien das Interviewbuch „Gelebte Berufung” im Beisein von Bezirksdechant Dr. Hans-Bruno Fröhlich, der Autorin Ramona Besoiu und drei ihrer vier Gesprächpartner, Prof. Dr. Gerhard Konnerth, D. Dr. h. c. Altbischof Christoph Klein, und Prof. Dr. Hans Klein, vor (v. l. n. r.). Mehr dazu auf Seite 5. Foto: Beatrice UNGAR

Das Interviewbuch „Gelebte Berufung” wurde am 7. März im Rahmen einer sehr gut besuchten Veranstaltung im Festsaal im Bischofspalais der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien vorgestellt, im Besein der Autorin Ramona Besoiu und drei ihrer vier Gesprächpartner: D. Dr. h. c. Altbischof Christoph Klein, Prof. Dr. Hans Klein und Prof. Dr. Gerhard Konnerth. Der vierte im Bunde, Prof. Dr. Hermann Pitters, ist leider zu Jahresbeginn verstorben. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch den Schäßburger Bezirksdechant Dr. Hans-Bruno Fröhlich, es folgten Grußworte von Hermannstadts Bürgermeisterin Astrid Fodor, Staatssekretär Dr. Ciprian Olinici vom Kultur- und Kultusministerium, Rektor Prof. Dr. habil. Sorin Radu von der Lucian Blaga-Universität Hermannstadt, Unterstaatssekretär Thomas Șindilariu und der DFDR-Geschäftsführer Benjamin Józsa. Das Buch stellte Pfarrer Gerhard Servatius-Depner, Leiter des Zentrums für Evangelische Theologie Ost (ZETO) vor. Lesen Sie im Folgenden eine leicht gekürzte Fassung der Buchvorstellung:

Im heute vorzustellenden Buch, erschienen Ende 2023 im Honterus-Verlag hier in Hermannstadt, erfahren wir in etwas mehr als 100 Seiten über die Kraftquellen von vier Persönlichkeiten unserer Gemeinschaft. Der Titel des Buchs ist zugleich Programm und lässt erahnen, wie Bischof Reinhart Guib zu Beginn schreibt, „aus welcher Kraft und Autorität diese Persönlichkeiten in unserer zusammenhängenden Welt leben und wirken, leiden und gestalten.“

Dr. Ramona Besoiu erlebte die vier Persönlichkeiten, die sie in diesem Buch interviewt hat, ein Jahrzehntlang (2010-2020) am Theologischen Institut in Hermannstadt. Sie hat erlebt, dass diese vier Professoren in den Studierenden die Sehnsucht nach Wissen und vielleicht auch das Gefühl de Pflicht weckten. Sie motivierten sie, ein sinnvolles Leben zu führen, ihrer persönlichen Berufung zu folgen, und das Wissen als empfangene Gabe zu mehren. Für Dr. Besoiu war und ist es eine besondere Ehre, den vier Persönlichkeiten dieses Buch als Zeichen ihrer Anerkennung und Wertschätzung zu übergeben. Sie haben auch ihren persönlichen Werdegang geprägt.

Wie Dr. Ramona Besoiu in der Einleitung schreibt, führt das Buch vier Persönlichkeiten aus Hermannstadt zusammen, die in den letzten Jahrzehnten „das Sein der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft in religiöser, theologischer, kultureller und politischer Hinsicht maßgeblich geprägt haben. (…) Ihr Initiativgeist, ihr Engagement, ihre Hingabe gegenüber ihrer kulturellen und religiösen Identität, ihr Bewusstsein und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung als Vertreter der Gemeinschaft als Männer der ersten Stunde, weisen sie als Bahnbrecher in vielerlei Hinsicht und als Vorbilder aus.“

Bischof Guib hält im Geleit des Buches fest, dass es Dr. Ramona Besoiu einfühlsam und herausfordernd geschafft hat, diese vier Persönlichkeiten zu Worte zu bitten und damit einen Bogen über fast ein ganzes Jahrhundert siebenbürgischer Geschichte gespannt, eingebettet in der Weltgeschichte. Es sind Persönlichkeiten, die die Geschicke der deutschen Minderheit und unsere Kirche in Rumänien maßgeblich und überaus positiv beeinflusst haben. Die Rede ist über Bischof emeritus D. Dr. Christoph Klein, über unseren heimgegangenen Professor und Altdekan Dr. Hermann Pitters, über Altdekan Prof. Dr. Hans Klein sowie über den Germanisten Prof. Dr. Gerhard Konnerth, der zeitweilig auch Dekan der Philologie-Fakultät in Hermannstadt gewesen ist.

Viele kennen sie. Manche sogar sehr gut. Aber es blieben uns mit Sicherheit auch viele Facetten des vergangenen Wirkens dieser vier Persönlichkeiten bisher verborgen.

Ramona Besoiu: Gelebte Berufung. Interviewbuch mit Christoph Klein, Hermann Pitters, Hans Klein und Gerhard Konnerth, Honterus Verlag Hermannstadt 2023, 131 Seiten, ISBN 978-606-008-148-7. Erschienen mit der Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung durch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien und das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt.

Ja, alle Genannten haben ihre Berufung erlebt und gelebt. Sie haben sie angenommen und immer wieder von Gott und den Menschen aus ihrem nächstem Kreis Unterstützung erfahren. Wenn Gott beruft, gibt er einen bestimmten Auftrag. In erster Linie geht es aber nicht nur darum, etwas zu tun. Es geht vielmehr, wie es einerseits im Titel dieses Buchs zum Ausdruck gebracht wird und wir es auch erahnen, wenn wir darüber nachsinnen, um die Berufung zu einer lebendigen Beziehung.

Der Fragebogen, der dem Buch zugrunde liegt, enthält nicht weniger als 20 Fragen. Die Autorin berichtet, dass die Interviewten sofort einverstanden waren, diese zu beantworten. Die Fragen sind chronologisch in drei Kategorien unterteilt und sie fragen nach dem persönlichen Werdegang, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Einleitung der Autorin gibt wertvolle Hilfe zur Genesis der Idee zu diesem Buch. Wertvoll und äußerst informationsreich sind die Kurzbiographien der Gesprächspartner, die den Interviews vorangestellt sind. Im Nachwort des Hauptanwaltes des Landeskonsistoriums, Jurist Friedrich Gunesch, wählt er aus einer über 30jährigen Zeit des gemeinsamen Streitens und zukunftsausgerichteter Zusammenarbeit für jeden der vier je einen kurzen Satz, verbunden mit einem Charakteristikum, das im Buch so nicht zur Sprache kommt, und zwar ihren geistreichen Humor. Zum Schluss schließt er dem – seines Erachtens – Wesentlichen des Buches, und zwar dass alle Behauptungen christliche Themen und Aufforderungen sind, die wenn sie weitergegeben werden, den Empfänger unschätzbar bereichern.

Im Anhang wird uns schließlich eine kleine farbenreiche Bildergalerie angeboten, die uns Aufnahmen zeigt, die besondere Ereignisse festhalten, aber auch alltägliche Momente.

Dr. Hermann Pitters hat – als eine Ausnahme – alle Fragen zu einem Essay verarbeitet. Er beginnt selbst mit einer Frage, die also lautet: „Woher komme ich, und wohin gehe ich?“. Und er weitet sie aus zu der Frage: „Woher kommen wir und wohin gehen wir als Gemeinschaft?“ Prof. Konnert verrät uns aus einem privaten Briefwechsel mit Prof. Engel aus Mannheim, dass die Antwort auf die Frage „Wohin gehen wir?“ keine andere sein kann, als „Immer nach Hause!“ Dieses Zuhause wird von ihm als „ein geistiges und noch viel mehr ein emotionales Zuhause, mit dem man sich auch nach langen Jahren noch innerlich intensiv verbunden fühlt“ beschrieben. Und weiter heißt es, dass dieses persönliches „Zuhause“ nur aus einer Glaubensgemeinschaft, einer kulturellen Zugehörigkeit, einer bejahten Identität, einer gemeinsamen Vergangenheit und aus einem gemeinsamen Schicksal erwachsen kann.

Nach einer nüchternen aber durch ihre Ehrlichkeit und starke Zuversicht ausstrahlende Lebensreise, die schlicht beeindruckt, schließt Prof. Hermann Pitters sein Essay mit den Worten: „Wir haben wertvolle historische Traditionen, die auch unser gegenwärtiges Handeln bestimmen und uns zu Gesprächspartnern für unsere Umgebung machen. Das kann uns Zukunft und Hoffnung geben. […] Es gibt ein Fortwirken über alles Vergehen des Gewesenen hinaus.“

Dr. Ramona Besoiu schreibt: „Die Herausforderungen der Gegenwart haben diese vier Vertreter ihrer Gemeinschaft mit Stolz und Pflichtgefühl gelebt und angenommen. Sie hatten dazu auch die Offenheit, Wunden der Vergangenheit zu heilen und für Versöhnung zu leben. Durch ihr Vorbild waren und sind sie für viele Generationen von Studierenden, Doktoranden und Doktorandinnen – ob aus Rumänien oder dem Ausland – eine Inspirationsquelle geworden. Für ihre Familien waren und sind sie Stütze, Wegweiser und Freund.“

Alle vier Gesprächspartner werden im Buch als „große Tonsetzer der Kultur des Dialogs, der Wertschätzung der Vielfalt, des friedlichen Zusammenlebens, des Lebens in der Gemeinschaft“ genannt. Dazu befähigt sie die Art und Weise, wie sie mit ihren Mitmenschen, die einer andren Konfession, Ethnie, Nationalität oder Kultur angehören, in Beziehung treten, der Respekt, den sie „den anderen“ in tiefer Aufrichtigkeit und Bescheidenheit entgegenbringen, so die Autorin.

Dr. Konnerth beendet seine Gedanken mit einer Aufforderung an die Studierenden aber auch an alle Menschen, „die neue Wahrheit zu akzeptieren und interkulturell zu denken und zu handeln. „Das bedeutet“, schreibt er weiter, „dass zu akzeptieren ist, dass, neben vielem anderem, dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft und Konfession immer mehr Aufmerksamkeit zu schenken ist. Im Sinne des Zusammenwirkens als lebendige Einheit, im Geiste der Toleranz und der Solidarität.“

Ein Vorbild sein und auch die Frage nach der Wertevermittlung brachten mir das 4. Gebot vor Augen. Im 2. Buch Mose lesen wir: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohl gehe und du lange lebest auf Erden.“ Dieses ist immer aktuell. Dieses Gebot stärkt die Familie, Vater und Mutter galten als Überlieferer und Bewahrer der Tradition. Und sie waren auch eine Art Garanten der lebendigen Beziehung zu Gott über Generationen hinweg. In diesem Gebot erkennen wir zugleich eine Verheißung.

Bleibendes Thema, das uns lebenslang begleitet und auch in den Zeilen dieses Buches immer wieder aufleuchtet, ist die Frage: „Wie gehen wir miteinander um?“ Die Antwort darauf entscheidet, ob wir im Frieden miteinander leben oder nicht. Wenn ich von meinen eigenen Kindern – auch von meinen Schülern, Studenten, Kollegen – geehrt, respektiert oder gar geliebt werden will, dann muss ich die richtige Saat säen und sie auch ehren, respektieren und lieben! Ehren kann heißen, das zu würdigen, was sie für uns tun oder in der Vergangenheit getan haben, so dass wir zu denen geworden sind, die wir heute sind.

Was die Weitergabe von Werten betrifft, wünscht Prof. Hans Klein für die Jugend, dass es gelingt, dass sie sich wieder der Mitte des Lebens zuwendet und damit Orientierung findet angesichts der vielfältigen, verwirrenden Möglichkeiten. Er schließt mit dem Wunsch für alle, die diesen Text lesen, dass sie fest bleiben im Glauben an die Güte Gottes und seine Verheißung und trotz aller andersartigen Erfahrungen zutiefst im Herzen gewiss sind, dass Gott die Welt regiert. Dr. Gerhard Konnert erwähnt in seinem Wunsch an die Jugend den Glauben, in Anlehnung an Kurt Tepperwein, als ein „inneres Wissen, das nicht auf äußeren Beweisen ruht. Es ist ein inneres Erkennen der Wahrheit und der Wirklichkeit.“

Dr. Ramona Besoiu beschreibt, dass alle vier Persönlichkeiten die Sehnsucht nach Wissen und das Gefühl der Pflicht geweckt haben. Sie haben motiviert, ein sinnvolles Leben zu führen, der persönlichen Berufung zu folgen, und das Wissen als empfangene Gabe zu mehren. Und Bischof Guib betont, dass „mit Gottvertrauen, Verantwortungsbewusstsein und Einsatz für das Wohl der Gemeinschaft“ sich unsere (kleine) Welt verändern lässt.

Was wir einerseits aus dem Werdegang der vier Persönlichkeiten erfahren und für uns und unser Leben mitnehmen, bringt andererseits auch Verantwortung mit sich! Daran erinnern uns die viel zitierten Worte des großen Dichters Johann Wolfgang von Goethe: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Eine durch die gelebte Berufung erfüllte Existenz inspiriert die nachfolgenden Generationen. Wir werden einerseits an die Leistungen, die unsere Vorfahren, unsere Vorbilder, unsere Lehrern, in Mühe und Arbeit, in Freude und Leid, und in viel Geduld erbracht haben. Das kann andererseits auch die Ausdauer bei unserer Lebensführung fördern. So forderte Paulus den Timotheus auf und ermutigte ihn zugleich: „Ich erinnere mich an den ungeheuchelten Glauben in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike; ich bin aber gewiss, auch in dir.“ (2. Tim 1, 5). Es motiviert, finde ich, zur Ausdauer, wenn wir sehen, erleben oder darüber lesen, wie unerschütterlicher Glaube und Liebe zu christlichen Werten vorgelebt wurde und wird. Wir ehren unsere Eltern, unsere Lehrern und Vorfahren, indem wir über sie und ihre Hingabe erzählen und dann auch nachahmen. Auch das gehört zur Ehrung unserer Eltern und Vorfahren, dass ihr Leben unser eigenes Leben prägt und auch korrigiert.

Wir finden darin auch die Frage nach dem Gehen oder Bleiben. Dr. Konnerth äußert sich dazu also: „Leben und beruflich hier in der Heimat tätig zu sein, gehört zum Sinn meines Lebens.“ Altbischof Dr. Christoph Klein antwortet ähnlich: „Ich habe hier eine Aufgabe gesehen und im Rückblick kann ich auch sehen, dass diese sinnvoll war.“ Sinn hat dem Leben unseres Altbischofs Dr. Christoph Klein immer wieder das Gebet mit der Bitte und dem Dank gegeben, die Bibel mit ihrem Trost und die Ermutigung in allen Problemen und Entscheidungen ihres Lebens.

Die Frage nach dem Bleiben und dem Gehen dominiert jedoch nicht in diesem Buch.

Eher wird man – zumindest als Theologe – beim Verinnerlichen des Gelesenen stark an das Jesajawort (40, 29-31) erinnert: „Der Herr gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

Zur Autorin: Dr. Ramona Besoiu ist Lizentiatin der Theologie und Germanistik der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt und Doktor der Soziologie der Universität Bukarest. Sie hat mehrere theologische Studien und Bücher aus dem Deutschen ins Rumänische übersetzt. Ebenfalls ist sie Autorin von Studien zur Kultur- und Sozialgeschichte der deutschen Minderheit in Rumänien. Weiter ist sie Mitglied in Forschungsprojekten in den Bereichen der Theologie, Soziologie und Geschichte. Zurzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Lucian Blaga-Universität und Projektleiterin am Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bildung, Bücher, Kirche, Kultur.