Theresienstädter Variationen

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Ausgabe Nr. 2459
 

Nachlese auf die diesjährigen Veranstaltungen der Musica Suprimata-Reihe

 

 

Nein, Theresienstadt ist nicht überall, obzwar es überall ist. Allüberall, wo Menschen hinter Gittern und Stacheldraht verbannt sind, ist auch ein Stück Theresienstadt. So wie dort wurde auch hierzulande in den ungezählten Kerkern unter dem Bannfluch der Diktatur  nicht nur gelitten, es wurde gelebt, ja es wurde gelacht. Was jeder weiß, der es weiß. Wobei das Lachen auf Spuren der Engel verweist. Es wurde gedichtet. Jeder Sträfling gibt sich notgedrungen dem Reimeschmieden hin. Schon um die Zeit totzuschlagen, damit die Zeit einen nicht totschlägt. Und weil die Schönheit der Sprache die Welt überwindet. Es wurden Lieder gesummt von Liebeskummer und Fernweh. Dabei öffnete sich ein Stück Himmel über den verbarrikadierten Fenstern. Und komponiert wurde auch.

Beim sogenannten deutschen Schriftstellerprozess September 1959 vor dem Militärtribunal in Stalinstadt, Heute Kronstadt/Braşov, Volksrepublik Rumänien, begann Wolf Aichelburg zu pfeifen und zu trällern, unberührt von den 25 Jahren Zwangsarbeit, zu denen der Dichter verurteilt worden war. Der erboste Militärrichter bekam zu hören, dass der Angeklagte nicht nur Poet sei, sondern auch Kompositeur und dass  ihm eben eine Melodie eingefallen war. Er müsse sich den cantus firmus genau einprägen, da man hierorts einem Papier und Stift verweigere. Der aktenkundige Name des Strafgefangenen lautete: Freiherr Wolf von und zu Aichelburg. Freiherr wahrhaftig.                                                                                                          Der virtuose Organist und Stadtkantor der Kirchengemeinde Hermannstadt in Siebenbürgen, Franz Xaver Dressler, der mit ihm zugespielten Tönen aus dem Stegreif ein Stück improvisierte, schuf im Arbeitslager am Schwarzen Meer die Dorische Symphonie, mit Wagenschmiere auf leere Zementsäcke gekritzelt und auswendig gelernt. Die dann später von der Staatsphilharmonie Hermannstadt/Sibiu uraufgeführt worden ist, der Komponist mit dem Löwenhaupt war diesmal im Frack. Kaum zu glauben: Staat und Diktatur – und die Securitate –  im Publikum waren die nämlichen wie zur Zeit der Zwangsarbeit im Lager.                                                                                                                            

Theresienstadt ist überall. Und dennoch nicht! Es entstanden dort im Angesicht des sicheren Todes Musikwerke höchster Qualität, neuerlich entdeckt und verbreitet bis in südöstliche Lande, bis nach Rumänien. Initiatorin und Promotor der Musica suprimata ist Heidemarie Tamar Ambos.  Im Spätherbst jüngst ist sie mit dieser Musik  bereits zum vierten Mal in Siebenbürgen kammermusikalisch unterwegs gewesen.                                    

Eine gewöhnungsbedürftige Musik, die ihre atonale Herkunft bestätigt. Hören, hören, hören, rät die wissende Dame Tamar, allein so schafft diese beladene Musik sich im Ohr der bass Erstaunten eigene Gehörgänge. Und somit hört unsereins nach dem  solitären Morgenlob in der Basilika von 1225 in Rothberg, Mons rubens, unverdrossen Stücke von Hans Krása, Viktor Ullmann, Gideon Klein, Pavel Haas, Erwin Schulhoff. Hans wie ich, Viktor wie du, Gideon altbiblisch, Schulhoff wie er und Klein wie wir alle; und manch einer mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse, wie keiner von uns. Neuerdings gesellen sich dazu die schwerhörigen  Stücke von Norbert von Hannenheim. Am liebsten rinnt jedoch  ins Ohr Viktor Ullmanns Weise von Liebe und Tod des Cornetts Christoph Rilke. Es ist dies die heroische Trauermelodie unserer Studentenzeit während der 50er Jahre in Klausenburg, vorgetragen mit bebender Stimme dem geliebten Mädchen zur Mitternachtsstunde im Botanischen Garten unter deplatzierten Palmen.

Eine irritierende Musik für bequeme klassische Ohren. In unserem Haus, so meine Mutter Gertrud Schlattner, damals Trudl Goldschmidt, 18jährig, begegnet auf einem Künstlertreffen im „Römischen Kaiser“ in Hermannstadt Norbert Hann von Hannenheim, dem Schüler Schönbergs in Berlin, ein Edelmann aus altem siebenbürgischen Geschlecht, bedacht mit der Synkope eines klangvollen Namens. Dessen Musik zwar nicht im jüdischen Vernichtungslager Theresienstadt entstanden war, jedoch wegen der jüdischen Wurzeln vom Naziregime als entartete Kunst geächtet wurde. Und der kurz nach dem Krieg verstarb, ausgehöhlt an Leib und Seele und weggesperrt. Somit ebenfalls verfemte Musik, Musica suprimata, doch nicht auszurotten, weil ewig. Wieso war meine Mutter in jener Nacht dort dabei unter solchen von der Künstlergilde vielfach? Ihre Kunstfertigkeit bestand darin, alles zu basteln, was Hände hergeben konnten. Gegeben war ihr, auf jedes Wort ein Lied zu singen, zu unserem der vier Kinder grenzenlosem Erstaunen. Mit Lust und Liebe spielte sie Theater, sogar auf Ungarisch. Obwohl Siebenbürger Sächsin, ist sie in Budapest geboren. Weshalb der noble Tonschöpfer ihr eine Sommernacht von seiner befremdlichen Musik erzählte, meine Mutter fragte es sich bis ins hohe Alter. In jener Nacht absolvierte die taktvoll Zuhörende im Stakkato, was zu des Tonsetzers musikalischen Prinzipien und Methoden gehörte, im Galopp erfuhr sie das Bestimmende über seine eigenwilligen Kompositionsmuster und die gewagten Klangkombinationen. Der passionierte Komponist intonierte Sequenzen, die so atonal waren, dass sie, die sangesfreudige junge Frau, keine Melodie wiederholen konnte, keinen Ton behielt. Nur einmal getraute sie sich zu fragen, ein demütiger Einwurf:  „Wie das? Preisgabe der Tonalität. Damit hört doch das Singen auf!“

Ihre Stimme erbebte vor Wagemut und Wehmut. Ja, auch post festum, als sich die Türen zum „Römischen Kaiser“ schlossen und die zerknitterten Kellner die illustren Gäste verabschiedeten, war der übersprudelnde junge Mann noch nicht beim Schlussakkord seiner musikalischen Konfession angelangt. Nachdem er seine hellhörige und hellwache Partnerin in die Franziskanergasse nach Hause begleitet hatte, saßen sie noch lange im Einklang auf den Treppen des Klosters. Und es tönte und tönte aus ihm atonal heraus, seine Finger glitten über virtuelle Tasten und er sang ihr lauthals vor, was sein musikalisches Gewissen bewegte. Sang heraus im edlen Wettstreit mit dem gregorianischen Gesang der Mönche zur Matutin – und beides verstörte die roten Ohren der Hörerin.                                                                             Bis sie aufschreckte: Der Zug nach Freck pfiff bereits. Wo sie um acht den Dienst im landeskirchlichen Kneippsanatorium antreten musste. Norbert Hann von Hannenheim, ein Von vom Scheitel bis zur Sohle, stieg mit in den Zug. Damit unter seinem Schutz das übernächtigte Mädchen Freck nicht verschlafe, und, Gott bewahre, erst in Kronstadt aufwache, drei Stunden später. Sie schlief und er schwieg. Das ist die Tradition der Musica suprimata in unserer Familie. Nicht als Schall, aber als Rauch der Erinnerung.

Wie geschah es, dass die musica suprimata sich nach Siebenbürgen verirrte? Frage ich! Frage ich mich? Dass die jüdischen Komponisten von Theresienstadt unseligen Gedenkens nahezu siebzig Jahre später in den Siebenbürgischen Städten zu Gehör gebracht wurden. Dass ein Viktor Ullmann, 1898 geboren, 1944 in Auschwitz umgebracht, dem Siebenbürger Norbert von Hannenheim, geboren ebenfalls 1898, begegnete? Der kurz nach dem Krieg in einer Irrenanstalt im abgebrannten Pommern verstarb, auch seine Musik galt als verfemt, obschon kein Jude. Dass die beiden sich berühren konnten, indem ihre Musikstücke im selben Konzertsaal aufgeführt wurden, in Hermannstadt und Kronstadt und in Klausenburg, und immer wieder… Wie das?

Es war ein Streichorchester irdischer Zufälle und himmlischer Fügungen. Frau Heidemarie Tamar Ambros, kunsthistorisch versiert, zu Hause in Chemnitz, ging den Spuren von Veit Stoß nach und meinte, herausgefunden zu haben, dass dessen Eltern aus einem Nest in Transsilvanien stammen könnten; von dem unsereins nie etwas gehört hatte. Eine deutschsprechende Adresse war gefragt. Zugespielt wurde ihr als Ort und Ziel der Pfarrhof von Rothberg, nahe Hermannstadt/Sibiu. Eine evangelische Kirchengemeinde, wo es noch fünf Greise zu begraben gibt, mit mir, dem Pfarrer an der Spitze. Die anderen vielen sind nach dem Ende der Diktatur Hals über Kopf fortgestürmt – ins Mutterland. Das die Vorfahren 850 Jahre zuvor verlassen hatten.                                                

Nun also: 2007 erreichte Rothberg ein Brief zu Veit Stoß. Den ich erst 2008 beantwortete, mit Bedauern, nicht dienen zu können. Veit Stoßens Herkunft verblieb im Nebel der Geschichte. Doch Nobert von Hannenheim wurde entdeckt. Es war der Auftakt einer Annäherung, die sich zu einer Beziehung verdichtete. Bei der Dame Tamar trat die Kunsthistorikerin zurück und auf den Plan trat die Musikwissenschaftlerin. Es ist jeweils eine großräumige Aktion, die die Musikszene Siebenbürgens aufruft zum Herbeitreten und Mithören. In  diesem November waren es sieben volltönende Tage und Abende, unter dem Titel musica suprimata, Konzerte für Siebenbürgen. Eingebettet darin war  das hochkarätige Kolloquium an der Musikakademie Klausenburg, anlässlich des 70. Todestages von Norbert von Hannenheim. Sinnigerweise erhebt sich im Emblem der 'musica suprimata  eine Viertelnote als rotes Fähnchen. Wie „ein Knoten im Taschentuch" lässt uns Frau Ambros pragmatisch wissen. Was besagen sollte: Nicht vergessen!                                                                                  

Eginald SCHLATTNER

 

Marianne und Wolfgang Boettcher traten am 5. November d. J. in dem Theater auf, das ihr Ur-Ur-Urgroßvater Martin Hochmeister wiederherstellen ließ, und sie spielten in dem Saal, in dem ihre Großmutter, die Sängerin Mathilde von Larcher, oft aufgetreten ist. Sie spielten in dem Konzert auch eine Komposition von Norbert von Hannenheim, das Duo für Violine und Viola, das Wolfgang Boettcher für Violine und Cello umgeschrieben hat, um es zusammen mit seiner Schwester zu Ehren des 70. Todestages Hannenheims aufführen zu können.

 Foto: Heidemarie AMBROS

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.