Uraufführung und Runder Tisch zum Thema 24-Stunden-Pflege in Wien
Ausgabe Nr. 2871

Szenenfoto mit Ana-Lucia Bozovan (links) und Julia Schranz.
Foto: Kosmos Theater Wien
FÜR:SORGE – das neueste Theaterstück von Thomas Perle hatte am 27. Mai im Wiener Kosmos-Theater Uraufführung – für Konzept und Regie war der Autor gemeinsam mit Constance Cauers und Alexandru Weinberger-Bara zuständig – und war knapp drei Wochen später Anlass für eine Diskussionsrunde, welche in der Botschaft von Rumänien in Wien stattfand. Das brisante Thema: 24-Stunden Pflege! In der Republik Österreich sind fast 30.000 Pflegerinnen und Pfleger aus Rumänien tätig. Deren Lebensumstände und die damit verbundenen systemrelevanten Fragen und Probleme thematisiert Thomas Perle in seinem Stück und hält dem Publikum einen schonungslosen Spiegel vor.
Für viele Seniorinnen und Senioren ist es schwierig, den Alltag alleine zu bewältigen. Die Angehörigen sind mit der Situation überfordert und „schieben“ den Gedanken von sich, dass ein Mitglied der Familie Hilfe, dauerhafte Hilfe benötigt. Man belügt sich und einander trotz der offensichtlich tragischen Realität: er/sie „funktioniert“ nicht mehr wie früher. So beschreibt das Perle wie gewohnt in Kleinschrift: „dieser eine moment/dieser eine moment in dem wir merken es geht nicht mehr. /wir schieben schieben/die möglichkeit /diese möglichkeit diesen gedanken an /den einen gedanken an die möglichkeit /dass wir selbst oder/dass die mutter/dass der vater/dass ein geliebter mensch /dass die großmutter /dass der großvater /brauchen keine hilfe.”
In der Pflege von Senioren spielt Fürsorge eine zentrale Rolle – sie ist das Herzstück jeder Betreuung. 24-Stunden-Pflegerinnen müssen nicht nur die körperlichen Bedürfnisse ihrer Schützlinge erfüllen, sondern auch einfühlsam auf deren emotionale und soziale Wünsche eingehen. Die Fähigkeit, sich in die Lage des anderen zu versetzen und Empathie zu zeigen sind essentiell für eine erfolgreiche Pflegetätigkeit.
So lässt Perle die „ZU PFLEGENDE” sagen: „die schaut auf mich. das ist die reinste verwöhnung wenn sie da ist./eigentlich brauch ich keine pflege./ich könnt’ das auch alles allein/nachdem mein mann gestorben./vier wochen bin ich allein. vier wochen lebt sie bei mir/das gönn ich mir einfach.”
Von früh bis spät, rund um die Uhr, ist eine 24-Stunden-Betreuung für Senioren oft die beste, aber auch sehr kostspielige Lösung. Durch die Unterstützung von einfühlsamen Pflegerinnen, hier im neuesten Stück Perles, aus Rumänien, erhalten ältere Menschen die Fürsorge, die sie benötigen, um ein würdevolles Leben zu führen. Diese Pflegerinnen bringen größtenteils nicht nur fachliche Kompetenz mit, sondern auch viel Herz und Empathie. Sie schaffen eine vertrauensvolle Beziehung zu den Senioren und sorgen dafür, dass sie sich gut aufgehoben fühlen. Die Bedürfnisse der älteren Menschen stehen im Mittelpunkt, und die Pflegerinnen aus Rumänien sind bemüht, individuell auf jeden einzelnen einzugehen. So wird nicht nur die körperliche Gesundheit gefördert, sondern auch das seelische Wohlbefinden gestärkt. Eine 24-Stunden-Betreuung durch diese Pflegerinnen kann daher eine wertvolle Unterstützung im Alltag sein und den Senioren ein hohes Maß an Lebensqualität bieten. Immer da, wo Angehörige aus verschiedenen Gründen „passen“. Perle blickt dabei auch tief hinter seelische Kulissen, die im gesellschaftlich gelebten Alltag tunlichst verborgen bleiben.
„ich hatte kein gutes verhältnis zu meinen eltern/ist dann doch nicht meine pflicht verdammt nochmal/das/ist doch nicht meine pflicht!/meine eltern waren ihr leben lang arschlöcher/und jetzt sagst du obwohl/meine eltern mich/als kind/nicht wirklich gepflegt haben ich soll sie/eltern haben eine verantwortung/ja./die haben eine verantwortung./ich habe mir nicht ausgesucht geboren zu werden. /sie haben/mich/gezeugt/und im besten fall umsorgt/aber wenn sie mich nicht umsorgt haben mir nicht das gegeben haben /was ich brauche/als kind gebraucht habe /sie mich nur in diese welt gebracht haben und sonst nichts/rein gar nichts/dafür getan haben /dass wir als erwachsene menschen ein gutes verhältnis zueinander/wenn sie nicht für mich gesorgt haben/sondern dafür gesorgt haben, dass familie /ein verdammter ort/dass zuhause hölle war für mich dann habe ich verdammt noch mal keine verantwortung.”
Die Organisation und Planung des Tagesablaufs als 24-Stunden-Pflegerin ist von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Betreuung von Senioren. Jeder Tag ist unterschiedlich und erfordert Flexibilität und Struktur zugleich. Angefangen bei der morgendlichen Körperpflege über die Medikamenteneinnahme bis hin zur Freizeitgestaltung – jede Aufgabe muss sorgfältig geplant und koordiniert werden. Dabei ist es wichtig, den individuellen Bedürfnissen und Vorlieben der Senioren gerecht zu werden. Die Zeiteinteilung spielt eine große Rolle, um alle Aufgaben unter einen Hut zu bekommen. Durch eine gut durchdachte Planung können stressige Situationen vermieden und ein reibungsloser Ablauf gewährleistet werden. Eine strukturierte Tagesgestaltung schafft nicht nur Sicherheit für die Senioren, sondern auch für die Pflegerin selbst.
Von besonderer Wichtigkeit ist aber auch die gelebte Selbstfürsorge. Sie spielt eine entscheidende Rolle für 24-Stunden-Pflegerinnen, um langfristig erfolgreich in ihrem Beruf tätig zu sein. Denn nur wer auch auf sich selbst achtet, kann die anspruchsvolle Aufgabe der Pflege von Senioren dauerhaft bewältigen. Dabei geht es nicht nur um körperliche Erholung, sondern auch um mentale Auszeiten und emotionale Entlastung. Sich bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen, Hobbys zu pflegen oder sich mit Freunden auszutauschen, ist essentiell, um die eigene Balance zu bewahren. Denn nur wer selbst im Gleichgewicht ist, kann auch für andere Menschen die nötige Fürsorge aufbringen. Selbstfürsorge ist somit nicht nur ein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um langfristig in der Pflege erfolgreich zu sein.
„mit jemandem meine sprache sprechen./doch oft schäme ich mich./manchmal aber denke ich die frau, die vor mir rumänisch spricht könnte auch eine pflegerină sein/könnte eine freundin sein. /manchmal höre ich ein kind rumänisch sprechen. dann schicke ich eine nachricht an meinen sohn /du bist weder hier noch dort zuhause/du vermisst/familia /mi-e dor de mor/de părinții mei/du verpasst/momente, die nie wiederkehren.”
In der Fürsorge für Senioren ist es ferner entscheidend, die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden. Als 24-Stunden-Pflegerin ist es wichtig, eine professionelle Beziehung aufzubauen, die auf Respekt und Vertrauen basiert. Dabei müssen klare Grenzen gesetzt werden, um sowohl den Bedürfnissen der Senioren gerecht zu werden als auch die eigene psychische Gesundheit zu wahren. Es ist eine Kunst, einfühlsam zu sein, ohne die professionelle Distanz zu verlieren. Diese Grenzen zu erkennen und zu respektieren erfordert Sensibilität und Selbstreflexion. Nur so kann eine gesunde Beziehung aufgebaut werden, die die Bedürfnisse der Senioren respektiert und gleichzeitig die Wahrung der eigenen Grenzen ermöglicht. Die Herausforderung liegt darin eine feinfühlige Balance zu finden: „ich habe oft patientinnen, die von ihren kindern allein gelassen./ich bin öfter als mir lieb familie für sie und sie werden familie für mich. /lebst mit ihnen zusammen./manchmal fahre ich in den urlaub mit ihnen.”
Es gibt sowohl Vor- als auch Nachteile bei der Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Pflege durch ausländische, hier rumänische Pflegerinnen. Zu den Vorteilen zählen beispielsweise die individuelle Betreuung rund um die Uhr, die Unterstützung im Alltag und die Möglichkeit, dass die Pflegerinnen oft sehr liebevoll und fürsorglich sind. Zudem kann die 24-Stunden-Pflege eine Entlastung für die Angehörigen bedeuten und ermöglicht es den Pflegebedürftigen, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben.
Auf der anderen Seite können jedoch auch einige Nachteile auftreten. Dazu gehören möglicherweise Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und die Tatsache, dass nicht immer dieselbe Pflegerin zur Verfügung steht. Zudem kann es schwierig sein, eine geeignete und vertrauenswürdige Pflegekraft zu finden. Die Kosten für eine 24-Stunden-Betreuung durch ausländische Pflegerinnen können recht hoch sein und für einkommensschwächere Angehörige somit unfinanzierbar. Obwohl es staatliche Zuschüsse gibt sind die monatlichen Kosten für eine 24-Stunden Betreuung durchschnittlich kaum zu stemmen.
Der Runde Tisch „Reden wir über FÜR:SORGE“ in der Rumänischen Botschaft in Wien beleuchtete die diversen Facetten der Thematik auch von wissenschaftlicher Seite und ermöglichte einen wenig beruhigenden Ausblick in die unmittelbare Zukunft: bis 2050 wird sich in Österreich die Nachfrage nach Pflegekräften um 300 Prozent steigern. Die Expertinnen Dr. Judith Kohlenberger und Dr. Ulrike Famira-Mühlberger thematisierten die zusätzlichen Belastungen dieser Frauen als zirkuläre Migrantinnen, wie beispielsweise fehlende Sprachkurse und wenige bis keine sozialen Rechte. Obwohl diese Frauen einen eminenten systemerhaltenden Beitrag leisten erhalten sie gesellschaftspolitisch wenig Anerkennung – sie bleiben als Arbeitskräfte „unsichtbar“. Erwähnung fand auch das „beste“ Modell der 24-Stunden-Pflege, nämlich das der Schweiz – für Österreich unfinanzierbar, sprich utopisch, denn dort werden angeblich alle Pflegerinnen beim Staat angestellt. Es gab noch diverse konstruktive, auch kritische Inputs, die das brisante Thema weitertragen werden.
Abschließend sei noch erwähnt, dass das Theaterstück oftmals zweisprachig fließt, somit Passagen in rumänischer Sprache enthält, die auf der Bühne übersetzt werden. Zur Authentizität trägt auch die Laiendarstellerin Ana-Lucia Bozovan bei, die seit 2012 in Österreich als 24-Stunden-Pflegerin tätig ist. Thomas Perle hat zahlreiche ihrer zwischenmenschlichen Erkenntnisse in sein Stück übernommen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass nach den künstlerischen Ausführungen des Regisseurs Alexandru Weinberger-Bara die Journalistin Eva Konzett, Moderatorin der illustren Runde der feinfühligen Ana-Lucia Bozovan die Schlussworte übertrug: „für mich ist das mehr als ein job/ich mache es aus liebe/vielleicht ist das auch falsch/aber vielleicht ist das auch genau richtig/genau so”.
Ingrid WEISS