Bemerkenswerte Werkschau

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Barbara Niedermaier stellt im Kunsthaus 7B aus

Ausgabe Nr. 2865

Barbara Niedermaier und Thomas Emmerling.       Foto: Gerhild RUDOLF

„Die Geburtsstunde der siebenbürgisch-sächsischen Kalligraphie“ nannte der Galerist Thomas Emmerling die kürzliche Eröffnung der Ausstellung „Zwischen den Zeilen“ mit Werken der diplomierten Grafik-Designerin und gebürtigen Hermannstädterin Barbara Niedermaier im „Kunsthaus 7B“ in Michelsberg, die am 5. Mai eröffnet worden ist.

Der hohe – und, dies vorweg – eingelöste Anspruch fußt auf der Tatsache, dass Niedermaier in ihrer bemerkenswerten Werkschau nicht nur optische Interpretationen von Gedichtzeilen etwa von Rainer Maria Rilke oder Hermann Hesse, sondern auch Zitate von Eginald Schlattner präsentiert, dem Autor einer hinreichend bekannten siebenbürgischen Roman-Trilogie von Weltgeltung.

Niedermaier nähert sich ihm und anderen literarischen Größen aus ihrem ganz persönlichen Stundenbuch mit Lieblingsgedichten in einer sehr individuellen Formensprache, für die sie kalligraphische Elemente mit einer von ihr entwickelten grafischen Technik verwob, die laut Emmerling „Türen öffnet, ein neues Verständnis prägt“.

Tatsächlich eröffnet Niedermaier mit den Mitteln der bildenden Kunst bisher nicht beschrittene Zugangswege zur Lyrik, einer im Allgemeinen als schwer zugänglich geltenden literarischen Gattung. Dies gelingt ihr auf zwei Ebenen. Zum einen ist ihr Werk in großen Teilen auf den ersten Blick gefällig, schmückend. Sie schöpft für diesen oberflächlichen Eindruck aus uralten Techniken der Kalligraphie, die schon in mittelalterlichen Handschriften zu reich ornamentierten Initialen als Blickfang führten.

Zum anderen jedoch fügt die Künstlerin Tiefe hinzu, die sich bei näherer Betrachtung erschließt. Die von ihr gewählten Verse geben nach ihren eigenen Worten über „sehr intime Seelenzustände“ Auskunft. Ein gutes Beispiel ist der oft ja sehr metaphysisch-mystische Rilke, den sie in einer völlig neuen Dimension zu durchdringen vermag.

Nun zu Schlattner. Um ihm gerecht zu werden, zeigt die Künstlerin, dass ihr eine große Bandbreite von Ausdrucksformen zur Verfügung steht. Ihre Wiedergabe von Schlüsselsätzen aus seiner Trilogie ist teils spröder als die übrigen ausgestellten Werke, sogar düster. Gleichzeitig aber auch – und damit wird sie ihrem literarischen Inspirator in seiner ganzen Facettenhaftigkeit kongenial gerecht – humorvoll.

Niedermaiers Exponate sind Beweis dafür, dass Schönheit, Tiefsinnigkeit und künstlerische Grenzverlagerung einander nicht ausschließen müssen. Sie stellen zugleich einen Beitrag zur interdisziplinären Kunst dar. Niedermaier illustriert nicht, sie schlägt mit einer Rückbesinnung auf die hochmittelalterliche Kalligraphie und die Karolingische Minuskel einen Bogen hin zu Abstraktionen und surrealistischen Sujets des 20. Jahrhunderts.

Gleichzeitig ist die Künstlerin eine verlässliche und präzise Handwerkerin, hat sich einer Technik gestellt, die eine ruhige Hand erfordert und keinerlei Korrekturen erlaubt. Es ist eine Herangehensweise, die „Kunst“ von „Können“ herleitet, und sich dennoch konventioneller Fesseln entledigt. Niedermaier wird damit ihrem Credo gerecht, dass „Lyrik die persönlichste Ausdrucksform emotionalen Erlebens“ sei. Sie will „Inhalt in Farben und Formen umsetzen und durch Gestaltung begreifbar machen“.

Deshalb ist Niedermaiers Ausstellung im „Kunsthaus 7B“ in Michelsberg völlig zu Recht „Zwischen den Zeilen“ betitelt. Man kann ihre optische Umsetzung von Gedichten – wie diese selbst – immer in verschiedenen Weisen lesen.

Der Gesamteindruck der Werkschau ist gleichwohl eindeutig: Barbara Niedermaier ist eine befruchtende Erweiterung der Kunstszene, die sich seit einigen Jahren durch das Wirken von Thomas Emmerling in Michelsberg etabliert hat. Dieses kreative Biotop zieht inzwischen nicht nur aus Hermannstadt, sondern auch aus dem Ausland eine wachsende Schar von Kunstinteressierten an.

Niedermaier wird ab 26. Juli in Heltau unter dem Titel „Berge und Licht“ siebenbürgische Landschaftsansichten in Öl ausstellen. Ab 25. November folgt eine umfassende Werkschau in Hermannstadt. Man darf gespannt sein.

„Zwischen den Zeilen“ im „Kunsthaus 7B“ in Michelsberg läuft noch bis zum 13. Juni, Besichtigung auf Anfrage unter Tel. 0727-11.15.75.

T. E.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst.