Mit dem Evangelischen Gesangbuch durchs Jahr 2024 / Von Tamás SZÖCS
Ausgabe Nr. 2864
In der siebenbürgischen Gesangbuchausgabe von 1974 erscheint das Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ in einer veränderten textlichen Fassung. Theologische und literarische Strömungen führten während der Jahrhunderte oft dazu, dass Lieder dem jeweils aktuellen Zeitgeschmack und Wortgebrauch angepasst wurden.
Philipp Nicolai dichtete diese innigen Zeilen in Zeiten größter Not und Anfechtung, während eine Pestepidemie in Unna (1599) 1.400 Menschen in den Tod riss. Täglich trug er als Pfarrer bis zu 30 Pesttote zum Grabe, darunter nahe Angehörige und zwei seiner Schwestern. Das Elend um ihn herum ließ ihn nicht zusammenbrechen, sondern verstärkte seinen Glauben und schärfte seinen Blick für Zeit und Ewigkeit: so dichtete er dieses Jesus-Minnelied unter der Überschrift „Geistlich Braut-Lied der gläubigen Seele, von Jeso Christo, ihrem himmlischen Bräutigam“. Wegen der Bilder des „Morgensterns“ und des „Freudenlichts“ wird das Lied bis heute unter dem Weihnachtsfestkreis und Epiphanias eingeordnet, die Überschrift verrät jedoch eine andere Absicht des Dichters. Seine Gedankenwelt wurzelt in der mittelalterlichen Brautmystik, nach der Gott und Mensch, bzw. Christus als Bräutigam und die Gemeinde als Braut Christi einer himmlischen Hochzeit entgegensehen. So fließen in Nicolais Text so viele Bilder und Metaphern der Liebeslyrik ein. Notiert man die Zeilen dieses Liedes zentriert untereinander, so entsteht die Form eines Kelches: Wie schön strahlt uns der Morgenstern,/voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn/uns herrlich aufgegangen./O guter Hirte, Davids Sohn,/mein König auf dem Himmelsthron,/du hast mein Herz umfangen./Lieblich,/freundlich,/schön und prächtig,/groß und mächtig,/reich an Gaben,/hoch und wundervoll erhaben.
So unterstreicht die äußerliche Form der Dichtung die Abendmahlthematik des Liedes, die auch in der 4. Strophe anklingt: „dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut mich innerlich erquicket“.
Für die intensiven kulturellen Beziehungen Siebenbürgens zu den zusammenhängenden deutschen Sprachgebieten in der frühen Neuzeit spricht die Tatsache, wie schnell Philipp Nicolais Lied den Weg in die siebenbürgischen Gesangbüchern gefunden hatte: 1599 in Unna gedichtet, wurde das Lied bereits 1627 in einem Kronstädter Gesangbuch gedruckt und erfreut und stärkt uns seit nun über 400 Jahren.
Tamás SZÖCS