Zur Neuauflage von Hans Bergels Erstlingswerk ,,Fürst und Lautenschläger“
Ausgabe Nr. 2859
Die Freiheit der Kunst und des Künstlers im Widerstreit mit einem repressiven, despotischen, diktatorischen System – das ist das große Thema des 1957 erschienenen Erstlingswerkes von Hans Bergel (1925-2022), der kaum zwei Jahre später die Repressalien des vom Stalinismus durchdrungenen sozialistischen Rumänien am eigenen Leib verspüren musste: als Angeklagter im Kronstädter Schriftstellerprozess 1959, bei dem der in Rosenau/Râşnov geborene Siebenbürger Sachse zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde, infolge einer Generalamnestie für politische Häftlinge 1964 jedoch vorzeitig freikam und 1968 dank der Fürsprache von Günter Grass in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen konnte.
Die Bergelsche Erzählung rückt den genannten Grundkonflikt freilich aus der zeitgenössischen Gegenwart in eine frühere historische Epoche, an den Beginn des 17. Jahrhunderts, als in Siebenbürgen Fürst Gabriel Báthory die Macht übernommen hatte (1607) und sie bis zu seiner Abwahl auf dem Landtag in Weißenburg/Alba Iulia (1613) vor allem auch gegen die von ihm angefeindeten Siebenbürger Sachsen gebrauchte. So besetzte er beispielsweise im Jahre 1610 Hermannstadt und ließ die Stadt am Zibin plündern. Den Widerstand der Siebenbürger Sachsen konnte Fürst Báthory letztlich nicht brechen, vielmehr wurden seine Truppen in der Schlacht von Marienburg 1612 entscheidend geschlagen, in welcher der Kronstädter Stadtrichter Michael Weiß und 39 siebenbürgisch-sächsische Schüler des Kronstädter Honterus-Gymnasiums den Tod fanden.
Im Zentrum von Bergels Novelle steht die Gestalt des Sängers und Lautenschlägers, der 1611 in Kronstadt anlangt, im selben Zeitraum wie Fürst Báthory mit seinen Truppen. Während dessen Willkürherrschaft das Volk jedoch quält und unterjocht, spendet der Sänger dagegen den Menschen Trost und Rettung: durch aktiven Widerstand und durch seine Kunst, „ein Feuer, an dem sich die Herzen entzünden.“ (S. 63) Auf Bitten der Tochter des Kronstädter Ratsältesten singt der Lautenschläger ein altes siebenbürgisches Volkslied im sächsischen Dialekt (vgl. S. 67f.), das in folgendem Schlussvers kulminiert: „Und nemmest ka mech zwängen.“ (S. 68) Gegen Ende der Erzählung (vgl. S. 131) wird dieses Lied dann nochmals wiedergegeben, allerdings in seiner hochdeutschen Variante, in welcher der Schlussvers lautet: „Und niemand kann mich zwingen.“ (S. 131) Freiheit der Kunst und politische Freiheit gehören für den Sänger zusammen – eine brisante Botschaft, deren revolutionärer Funke in der Novelle alsbald auf die Bewohner von Kronstadt überspringt.
Bei der ersten Begegnung des Lautenschlägers mit Fürst Báthory geht es um besagte Tochter des Ratsältesten, auf die nicht nur der fahrende Künstler, sondern auch der Herrscher selbst, ein berüchtigter Schürzenjäger, ein Auge geworfen hat. Damit der Fürst sie freigibt, muss der Sänger sich gegen seinen erklärten Willen schließlich doch zwingen lassen, ein Lied für den Despoten zu singen. Der Lautenschläger unterwirft sich zwar um der jungen Frau willen diesem Zwang, aber sein Lied spricht eine andere Sprache, die Sprache der Freiheit: „Doch die Freiheit, mein Fürst, sie ist kein Weib, / das du in deine Arme zwingen kannst! […] Sie wird am Himmel blutigrot / Und wird durch alle die Herzen der Menschen gehen…“ (S. 95) Die anschließende Verhaftung und Einkerkerung des Sängers zieht einen Volksaufstand nach sich, bei dem die Scharen brüllen: „Freiheit! Nieder mit dem Tyrannen!“ (S. 97) Vor dem Fürstenhaus fordern sie die Freigabe des Sängers, indes vergeblich.
Nun ist die Reihe an der Tochter des Ratsältesten, den Sänger freizubitten. Der Fürst verspricht daraufhin der schönen jungen Bittstellerin, die Freigabe des Lautenschlägers zu gewähren, wenn dieser den Fürsten mit einem Lied besingt. Doch der Sänger weigert sich im Namen der Freiheit, obwohl der Fürst ihm obendrein bestes Essen, ein Pferd, neue Kleider und das schönste Mädchen der Stadt verspricht. Die Antwort des Sängers ist so lakonisch wie unmissverständlich: „Ich bin keine Hure und meine Kunst erst recht nicht!“ (S. 128) Wie einst Sokrates, so weigert sich auch der Sänger, sich von bestochenen Helfern aus seinem Gefängnis befreien zu lassen. Am Ende überlebt freilich nicht nur der Sänger, sondern auch das Lied von der Freiheit: „Der Sänger sang es, den nie wieder jemand sah.“ (S. 131)
Die Neuauflage des Bergelschen Erstlingswerkes bei Noack&Block bietet nicht nur den Text der spannenden und wortgewaltigen Novelle (85 Seiten), sondern außerdem ein exzellentes Vorwort (40 Seiten) aus der Feder des 1948 in Siebenbürgen geborenen Stefan Sienerth, der nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland lange Jahre als Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München wirkte.
In diesem sieben Kapitel umfassenden Vorwort befasst sich Stefan Sienerth zunächst mit der Editionsgeschichte der Novelle „Fürst und Lautenschläger“, die nach den Angaben Hans Bergels bereits im Jahre 1946 entstanden ist. Das zweite Kapitel beleuchtet den realhistorischen Hintergrund der Novelle, während sich das dritte Kapitel dem fiktionalen Narrativ der Bergelschen Novelle widmet, insbesondere der frei erfundenen Figur des Lautenschlägers, die der Autor nicht nur mit künstlerischen, sondern auch mit kämpferischen Qualitäten ausstattet. Der konfliktreiche Widerstreit von Fürst und Sänger, Kunst und Macht, Freiheit und Despotismus ist Bergels ureigene dramatisch-pathetische Schöpfung. Das vierte Kapitel von Sienerths Vorwort erläutert die „verdeckte Schreibweise“ (S. 17) der Novelle, die sich der historischen Kulisse als einer „Tarnschicht“ (ebd.) bedient, um in Wahrheit das „in Rumänien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs installierte kommunistische Regime und dessen Gewaltpraktiken“ (S. 19) zu inkriminieren. Das fünfte Kapitel des Sienerthschen Vorwortes beleuchtet die „beachtenswerte Rolle“, die das Bergelsche Erstlingswerk beim Kronstädter Schriftstellerprozess 1959 spielte, und zwar anhand von „bislang literaturgeschichtlich nicht ausgewerteten Materialien, die von der Securitate seinerzeit gehortet wurden und nun im Archiv zum Studium der Unterlagen des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii, CNSAS) in Bukarest aufbewahrt werden.“ (S. 21) Hier gerät nun vor allem die Person Eginald Schlattners ins Visier, der sich nach seiner Verhaftung im Dezember 1957 anfänglich weigerte, gegen seinen damaligen Freund Hans Bergel auszusagen, dann aber um die Mitte des Jahres 1958 plötzlich „als überzeugter Jungkommunist in Erscheinung trat“ (S. 23) und als solcher neben Harald Krasser und Wolf von Aichelburg insbesondere Hans Bergel schonungslos schwer belastete (vgl. S. 24-37), indem er diesen nicht nur des Antikommunismus zieh, sondern ihm auch „unbegründet und nicht belegt“ (S. 35), mit „aus der Luft gegriffenen inkriminierenden Unterstellungen“ (ebd.) zudem Antisemitismus und nationalsozialistisches Denken vorwarf. Im Gegensatz dazu stellte sich der Literaturkritiker Gerd Pilder (vgl. S. 37-39), selbst Angeklagter im Kronstädter Schwarze-Kirche-Prozess, in seinen Securitate-Verhören schützend vor Hans Bergel. Aussagen des Informellen Mitarbeiters der Securitate mit dem Tarnnamen „Radu Constantin“ über Hans Bergel beschließen neben einem kurzen Ausblick auf Bergels spätere schriftstellerische Karriere das Vorwort von Stefan Sienerth, das die Aktualität des Bergelschen Erstlingswerks für die Aufarbeitung des Kommunismus in Rumänien eindrücklich unterstreicht.
Dr. Markus FISCHER