50 Lieder für 50 Jahre

Teile diesen Artikel

Mit dem Evangelischen Gesangbuch durchs Jahr 2024 / Von Ursula Philippi

Ausgabe Nr. 2860

Es war Mittwoch, der 20. Dezember 1989. In der letzten Probe des Hermannstädter Kirchenchors vor der alljährlichen Weihnachtsmotette explodierte die Stimmung. Ein Chormitglied unterbrach die etwas gedrückte und routinemäßige Probe, erhob sich spontan und sagte: „Dieses Lied können wir morgen nicht singen! Wir alle wissen, was in Temeswar passiert! (Einigen Chormitgliedern gefror das Blut in den Adern.) „Es ist unmöglich, jetzt das Weihnachtslied ‚Fröhlich soll mein Herze springen anzustimmen.

Die Probe endete ohne Ergebnis. Aufgewühlt durch dieses Statement, diskutierte der Chor hin und her. Theologen und Laien meldeten sich zu Wort. Schließlich verließen alle den Proberaum und entschwanden im Dunkel.

Am folgenden Tag, dem 21. Dezember, ging es auch in Hermannstadt los. Bis zum Abend schien sich das Blatt friedlich gewendet zu haben. Fieberhafte Stimmung überall, in die Angst mischte sich Hoffnung. Was sollte mit dem alten Weihnachtslied nun geschehen? Und: War überhaupt noch die Rede von einer Weihnachtsmotette in der evangelischen Stadtpfarrkirche?

Abends waren sie alle da, die Chormitglieder. Nie zuvor und nie danach haben wir einen Liedtext so abgeklopft, so auf seine Aussage geprüft wie das Lied „Fröhlich soll mein Herze springen. Und sind in diesen aufregenden, grenzwertigen Augenblicken zum Ergebnis gekommen: Die erste Strophe lassen wir tatsächlich aus. Fröhlich kann unser Herz und das der Zuhörenden jetzt nicht springen! Aber ab der zweiten Strophe singen wir alles. Es ist die Weihnachtsgeschichte, in Verse gebracht, ein Text, der Bestand hat, der tiefste Schichten erreicht und aller Unsicherheit zum Trotz gesungen werden kann.

Seit diesem denkwürdigen Chorkonzert ist „Fröhlich soll mein Herze springen mit seinen acht Strophen für mich das wichtigste Lied zu Weihnachten (Nr. 28 im evangelischen Gesangbuch, Text von Paul Gerhardt, Melodie von Johann Crüger).

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.