Ausgabe Nr. 2855
Zur Festschrift für Eginald Schlattner / Von Sunhild GALTER
Am 13. September 2023 erfüllte der siebenbürgische Pfarrer und Schriftsteller Eginald Schlattner sein 90. Lebensjahr. Anlass genug, um auf ein bewegtes Leben zurückzublicken, in dem nichts so kam, wie es gedacht war, aber so, wie es letztendlich gut war. Erst Student, dann politischer Häftling, Bauarbeiter, wieder Student, Ingenieur, dann – spät berufen – evangelischer Pfarrer, Gefängnisseelsorger und nicht zuletzt Schriftsteller.
Seine beginnend mit dem Rentenalter verfassten Romane zum Untergang der achthundertjährigen siebenbürgisch-sächsischen Kultur auf dem Hintergrund der jüngeren Geschichte Rumäniens, stark autobiografisch eingefärbt, verweben sich zu einem magischen Teppich an Erinnerungen, der auf weltweites Interesse sowohl der Leserschaft als auch der Forschungsgemeinschaften gestoßen ist.
Um die „unterschiedlichen Strömungen und Zentren der Schlattner-Forschung“ besser zu vernetzen, veranstalteten das Demokratische Forum der Deutschen in Siebenbürgen, die Evangelische Akademie Siebenbürgen und die University of British Columbia aus gegebenem Anlass vom 8. bis 9. September 2023 eine Tagung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, „die disziplinären und methodischen Zugänge zum Schlattner’schen Oeuvre in ihrer ganzen Vielfalt darzustellen“. Der Tagungsband „Die Erde ist gewachsen. Festschrift für Eginald Schlattner/Pământul a crescut. Volum jubiliar pentru Eginald Schlattner” lag dankenswerterweise schon während der Tagung vor, und zwar zweisprachig, Deutsch und Rumänisch, sodass jede und jeder die Vorträge in der ihm geläufigeren Sprache verfolgen konnte.
Das Organisations- und Herausgeberteam von Tagung und Tagungsband besteht aus Dr. Andreea Dumitru-Iacob, die über Schlattner promoviert hat, Dr. Florian Gassner von der University of British Columbia, Dr. András Bandi, Hochschuldozent, und Roger Pârvu, Programmleiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen.
Zahlreiche staatliche Institutionen wie private Organisationen aus Rumänien, Deutschland und Österreich haben zum guten Gelingen des im Klausenburger MEGA Verlag erschienenen Bandes XV der Reihe ACADEMIA beigetragen. Für die Durchführung der Tagung und den Druck des vorliegenden Bandes sei an dieser Stelle dem Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung, dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen, dem Bundesland Kärnten, dem Zentrum für Evangelische Theologie Ost, dem Evangelischen Freundeskreis Siebenbürgen, dem Institut für Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland und der Kulturreferentin für Siebenbürgen, Bessarabien, Bukowina, Dobrudscha, Maramuresch, Moldau, Walachei am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim gedankt.
Schon auf den ersten Blick bestechen die prägnante Umschlaggestaltung in Moosgrün mit einem Porträt des gefeierten Schriftstellers beim Signieren, das angenehm zu handhabende Format, die übersichtliche Aufmachung. Die zehn Beiträge des Buches sind nicht in zwei sprachlichen Blöcken, sondern aufeinander folgend erst auf Deutsch und dann auf Rumänisch abgedruckt, sodass man nicht viel blättern muss, will man ein Stichwort in der vertrauteren Sprache nachschlagen. Auch gibt im Anhang ein Autorenverzeichnis, mit Bild und beruflicher Laufbahn versehen, Aufschluss über die Autoren der im Tagungsband zusammengefassten Beiträge (S. 309-312/ 313-316).
Der Sammelband folgt dem Motto: Weniger ist mehr. Die zehn Beiträge sind relativ umfangreich und genau ausgearbeitet, sie decken jeweils wichtige Aspekte der, wie schon oben gesagt wurde, durchaus nicht geradlinigen Biografie Schlattners ab.
Auf das einführende Vorwort der Herausgeber (S. 9-12/13-16) folgt als erster der Beitrag „’Als dort die Frösche quakten, wurde hier Deutsch und Latein gepredigt und gesungen.‘ – Von Rothberger Pfarrern (1486-1999)” von Andras Bandi über die jahrhundertealte Geschichte des Ortes Rothberg, wo Eginald Schlattner heute noch lebt und regelmäßig Gottesdienste hält. Als Theologe, Kirchenhistoriker und langjähriger Mitarbeiter des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche in Rumänien verfügt Bandi über die nötige Fachkenntnis und die Fakten um dem kurzweilig zu lesenden Text über eine siebenbürgische Gemeinde und ihre Pfarrer wissenschaftlichen Tiefgang zu verleihen (S. 17-32/ 33-48).
Die Umstände und Ereignisse rund um Schlattners Verhaftung und Haftzeit waren und sind zum Teil auch jetzt noch sehr umstritten, jahrzehntelang gepflegte Ressentiments kochten immer wieder auf. Dementsprechend widmen sich drei aufeinanderfolgende Beiträge diesem Lebensaspekt Schlattners. Bei Thomas Pitters, evangelischer Theologe, der wie Schlattner selbst viele Jahre lang auch als Gefängnisseelsorger tätig war, geht es um Schuld – Sühne – Vergebung aus seelsorgerlicher Sicht, „um die Bewältigung von Schuld, um die Gestaltung von Sühne und um die Bitte und Gewährung“ der Vergebung (S. 49-60/ 60-72), während Eveline Cioflec, studierte und promovierte Philosophin, in ihrem Beitrag „Schuld. Vergeben. Handeln” (S. 73-88/ 89-102) auf die theoretischen, also philosophischen, bzw. gesellschafts- und gemeinschaftsrelevanten Aspekte der genannten Begriffe eingeht. Eine dritte Sichtweise auf diesen Themenkomplex bietet der Historiker Corneliu Pintilescu, der auf wissenschaftlich fundierte Weise die „Institutionelle[n] Strategien und diskursive[n] Handlungsweisen zur Konstruktion politischer Schuld. [Am] Studienfall zur Strafverfolgung und zum Gerichtsverfahren im Schwarze-Kirche-Prozess (1958)” untersucht (S. 103-124/ 125-144).
Eine literaturwissenschaftliche Studie bietet die Germanistin Maria Sass in ihrem Beitrag „’Die Welt verschließt sich in Angst. Aber die Zeit wird groß, daß man das Fürchten lernt.‘ Raumkonstruktion und Zeiterfahrung in Eginald Schlattners Roman ‚Rote Handschuhe‘” (S. 145-166/ 167-186).
Michaela Nowotnick, die über Schlattner promoviert hat und sein Leben und Werk wie kaum jemand anderer kennt, wurde auch mit der Aufgabe betraut, seinen Vorlass zu übernehmen. Diese Arbeit steht im Mittelpunkt ihres Beitrags „Das Archiv als Werk und Forschungsgegenstand. Der Vorlass von Eginald Schlattner im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien” (S. 187-200/ 201-214). Der Beitrag zeigt den hohen Stellenwert auf, den Vor- und Nachlässe in der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Literatur und Zeitgeschichte bestimmter Zeiträume einnehmen. So schreibt sie: „Der Vorlass ragt in seiner Vielfältigkeit und Tiefe weit über die Person Schlattner hinaus. Er ist natürlich als Einzelbestand ein ‚personenzentriertes Gebilde‘ (von Boltenstern:100), doch spiegeln sich in ihm nicht nur persönliche, sondern auch kollektive Brüche, die Ausdruck von historischen Zeitenwenden sind.“
Mitherausgeber und Hochschullehrer Florian Gassner beschäftigt sich nur mit einem der Romane, der zu dem gewählten Forschungsansatz passt. Er geht auf den ersten Roman Schlattners näher ein, den er im Beitrag „Rassismus, Kolonialismus, Völkermord: Eginald Schlattners ‚Der geköpfte Hahn‘ als multidirektionale Erinnerungsarbeit” (S. 215-230/ 231-246) im Sinne eben dieser multidirektionalen Erinnerungsarbeit, ein relativ neues Konzept der Kulturwissenschaft, interpretiert.
Andreea Dumitrus Beitrag „Was im (persönlichen) Gedächtnis bleibt“ – Eginald Schlattners Roman ‚Schattenspiele toter Mädchen (S. 247-258 / 259-270) ist dem vorletzten Roman Schlattners, der 2022 erschienen ist, gewidmet. Das alles beherrschende Motiv ist jenes der Vergänglichkeit. Es ist ein Werk der Rückschau auf prägende Begegnungen mit liebenswerten Frauen, versetzt mit zahlreichen intertextuellen Bezügen zu den eigenen Werken und zu Texten der deutschen und der Weltliteratur.
Zu den vielen Facetten von Schlattners Persönlichkeit gehört auch die Vaterrolle. Seine einzige Tochter Sabine Maya Schlattner hätte als Germanistin auch über das Werk ihres Vaters schreiben können. Das können aber auch andere, über ihn als Vater, Ehemann und Dorfpfarrer kann sie am ehesten erzählen. Und das tut sie, indem sie Kindheit und Jugend in der Familie Schlattner Revue passieren lässt, auch das Bild der „coolen“ Mutter heraufbeschwört, schwierige Situationen und Zeiten humorvoll oder gar ironisch gebrochen einbindet. Um den Titel ihres Beitrags „Mein Vater und die ‚Socken von Hitler‘” (S. 271-280/ 281-290) nachvollziehen zu können, muss man ihn aber erst lesen.
Im letzten Beitrag des Bandes mit dem Titel „Anders rauschen die Brunnen, anders rinnt hier die Zeit: Interview mit dem siebenbürgisch-deutschen Schriftsteller und evangelischen Pfarrer Eginald Schlattner” (S. 291-300/ 301-3008) lässt Gabriella Nóra Tar den Schriftsteller zum Abschluss selber zu Wort kommen. Und das sollte bei einer Festschrift zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Eginald Schlattner auch so sein.
Das letzte Wort ist sicher noch lange nicht gesprochen, bzw. geschrieben, doch bietet das vorliegende Buch eine sehr vielseitige Übersicht über die verschiedenen Aspekte der Forschung mit Bezug auf den Pfarrer, Schriftsteller und Menschen Eginald Schlattner.