Tiefgehende Parabel

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Neuer Spielfilm über Franz Kafka (1833-1924)

Ausgabe Nr. 2858

Filmszene mit Sabin Tambrea (Franz Kafka) und Henriette Confurius (Dora Diamant).                                                         Foto: Christian Schulz (dpa)

„Am größten ist das Glück, wenn es ganz klein ist. Deshalb würde ich, wenn ich mein Leben aufschreiben müsste, nur Kleinigkeiten notieren.” Dieses Zitat aus Franz Kafkas Tagebüchern ist auch in dem Roman von Michael Kumpfmüller „Die Herrlichkeit des Lebens”, auf dem der gleichnamige Film basiert, der derzeit in den Kinos in Deutschland läuft.

 

Am 18. Oktober 1921 schreibt Franz Kafka in sein Tagebuch: „Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft sondern ruft“.

Der von Selbstzweifeln geplagte, von Krankheiten zusammengesunkene und von seinem weltweiten Nachruhm nichts ahnende Prager Schriftsteller Franz Kafka schrieb die zitierten Zeilen wohl in der Hoffnung, den richtigen Worten und dem richtigen Namen eines Tages zu begegnen, um „Die Herrlichkeit des Lebens“ zu finden. Nun, er hat sie gefunden „Die Herrlichkeit des Lebens“ und ihr Name war „Dora Diamant“.

Bei Kafka geht es immer um die Ohnmacht des Menschen gegenüber einer unsichtbaren Übermacht. Geboren am 3. Juli 1883 in Prag, gestorben am 3. April 1924 in Kierling/Klosterneuburg. 100 Jahre – Anlass genug für einen 100-minütigen Kinofilm über das letzte Lebensjahr des hohlwangigen, melancholisch dreinblickenden Literaten Franz Kafka. Die unvollendete Liebesgeschichte mit Dora Diamant, ähnlich wie seine Werke: „Die Verwandlung“ und „Das Urteil“, eignet sich wunderbar dafür. Der Film wird getragen von der Langsamkeit und Melancholie, welche die unheilbare Tuberkuloseerkrankung Franz Kafka auferlegt.

Kafka wird gespielt von Sabin Tambrea, der bekannt ist für seine Darstellungen von zerbrechlichen, feinsinnigen Figuren und die Schauspielerin Henriette Confurius als Dora Diamant, sie spielen ihre Rollen als „Liebespaar“ mit einer realwirkenden Selbstverständlichkeit.

Nur wirft das beim Zuschauer die Frage auf: Wer war Franz Kafka? War er der heitere, sympathische, elegante, liebevoll daher kommende Literat, der mit Dora Diamant am Ostseestrand vor herrlicher Kulisse herumspaziert oder ein mit einem Motorrad gemeinsam mit Dora durch die sonnendurchfluteten Mecklenburgischen Alleen brausender Jungverliebter? Oder war er der melancholische, von seiner Familie gedrängte und von seiner schweren Krankheit gedrückte Schriftsteller? Der Film, der sich nah an die Buchvorlage mit gleichem Titel von Michael Kupfermüller hält, gibt im Verlauf die Antwort. Die Düsterkeit im Leben Franz Kafkas kommt zurück. Der Umzug von der Ostsee ins kalte, abweisende Berlin lässt das Aufbruchsglück und die Leichtigkeit verfliegen und aus den aufgeputschten jung Verliebten wurde durch die wiederaufkommende Krankheit und der damit einhergehenden Probleme ein Paar, dass sich füreinander entschieden hatte bis zur letzten Konsequenz, den Tod Franz Kafkas. Der Film ist kein Film über die Bedeutung Kafkas als Literat, auch über sein Leben erfahren die Zuschauer nicht viel, der Zuschauer erfährt aber etwas über das Leben mit existentiellen Belastungen, über den Umgang mit lebensbedrohlichen Erkrankungen und über die Liebe bis in den Tod. Die Regisseure Georg Maas und Judith Kaufmann weben immer wieder Texte von Kafka in den Film ein, sehr einfühlsam werden sie von Tambrea vorgeführt. Doras Weltsicht (praktizierende Jüdin und Kommunistin) und Doras Bick auf ihren mysteriösen undurchsichtigen, sterbenden Geliebten werden rührend und überzeugend von Henriette Confurius verkörpert.

Der Film ist eine sehr tief gehende Parabel über das Leben, die Liebe und den Tod. Dora Diamant musste Deutschland verlassen, die Notizbücher und die mehr als 30 Briefe Franz Kafkas wurden 1933 von der Gestapo konfisziert und gelten als verschollen. Dora musste nach Moskau fliehen und später nach England, wo sie 1952 im Alter von nur 54 Jahren verstarb. Die Schwestern Kafkas, Elli, Valli und Ottla, sowie seine Nichte Hanna wurden 1942/43 in den Vernichtungslagern Chelmno und Auschwitz ermordet.

Lothar SCHELENZ

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Film.