Musikalischer Vorgeschmack

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Kronstädter Bachchor führte Bachs Johannespassion auf

Ausgabe Nr. 2858

300 Jahre Johannespassion: Der Kronstädter Bachchor hat am Samstag in der evangelischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt die Johannespassion von Johann Sebastian Bach aufgeführt. Mehr dazu auf Seite 5. Unser Bild: Chorleiter Steffen Schlandt begrüßt das zahlreiche Publikum.                                                        Foto: Beatrice UNGAR

Der Kronstädter Bachchor feierte 2023 sein 90. Gründungsjubiläum. Der von Kirchenmusiker Victor Bickerich 1933 ins Leben gerufene Klangkörper wird seit 1962 von Musikern der Familie Schlandt geleitet: 1962 hatte Walter Schlandt, Organist und Kantor der Schwarzen Kirche die Nachfolge von Bickerich angetreten, 1965 übernahm der Organist Hans Eckart Schlandt die Chorleitung und seit 2004 hat Dr. Steffen Schlandt die Stabführung inne. Im Jubiläumsjahr wurde am 1. April 2023 die „Johannespassion“ von Johann Sebastian Bach aufgeführt. Knapp ein Jahr danach kam auch das Hermannstädter Publikum in den Genuss dieses musikalischen Vorgeschmacks auf Gründonnerstag und Karfreitag.

Steffen Schlandt sagte letztes Jahr in einem ADZ-Interview: „Die Johannespassion ist ein hochdramatisches Werk, konzeptuell eine Hochleistung (300 Jahre alt und trotzdem so frisch) und daher muss auch der Chor Konzept, Musik und Interpretation so gut hinüberbringen, dass es wie aus einem Guss wirkt.Das ist dem Kronstädter Bachchor gemeinsam mit dem Kammerorchester Capella Coronensis und den Solistinnen und Solisten durchweg gelungen.

300 Jahre nach der Uraufführung, die am Karfreitag, dem 7. April 1724 in der Nikolaikirche in Leipzig Johann Sebastian Bach selbst geleitet hatte, erwies sich die Johannespassion, die eine geraume Zeit im Schatten von Bachs Matthäuspassion gestanden hatte, als kraftvolles und modernes musikalisches Drama von leidenschaftlicher Ausdruckskraft.

Die sechs Gesangssolisten (v. l. n. r.): Șerban Dinu (Bass, Pilatus), Dominic Felts (Bass, Jesus), Renáta Gebe-Fügi (Sopran), Török Orsolya (Alt), Farkas András (Tenor), Nicolae Simonov (Tenor, Evangelist).
Foto: Beatrice UNGAR

Vom ersten wirkungsvollen Aufschrei mit „Herr, unser Herrscher bis zum letzten tröstenden Verklingen des Werkes mit „Ach Herr, laß dein lieb Engelein war der Chor – der in dem Bachschen Konzept zugleich die Gemeinde vertritt – auf der Höhe. Schließlich zieht Bach für den Chor alle Register. Aber auch für das Orchester und für die Solisten sind zum Teil richtige „Ohrwürmer vorgesehen. Der Evangelist, interpretiert von dem Tenor Nicolae Simonov, seines Zeichens lyrischer Tenor im Akademischen Chor des Rumänischen Rundfunks, rollte einfühlsam den „roten Faden der Johannespassion auf, von der Albert Schweitzer in seinem Johann Sebastian Bach gewidmeten Buch schrieb: „Der Passionsbericht des Johannes ist in der Hauptsache nur eine Schilderung der großen Gerichtsszenen vor dem Hohenpriester und Pilatus. Er hat etwas Aufgeregtes und Leidenschaftliches an sich. Diese Eigenart hat Bach erfasst und in seiner Musik wiedergegeben.

Das Publikum war nach dem Ausklang der Johannespassion zunächst minutenlang still. Besser als der Dirigent Sir Simon Rattle, der 2023 die Leitung des Chors und des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks übernommen hat, kann man diese Reaktion nicht erläutern. Hier sein Statement: „Wenn man diese Musik zum ersten Mal hört, ist man einfach nicht vorbereitet auf dieses wogende Klangmeer und diese Dissonanzen. Nun, auch wenn das Hermannstädter Publikum die Johannespassion von Bach wohl nicht zum ersten Mal erleben durfte, so hat Sir Rattle auf jeden Fall etwas auf den Punkt gebracht: Bachs Johannespassion verlangt vollen Einsatz von allen Mitmachenden, auch von dem Publikum. In Hermannstadt konnte man die Johannespassion zum ersten Mal 210 Jahre nach der Uraufführung erleben. Damals, am 10. April 1933 war es der Hermannstädter Bachchor, der unter der Leitung von Franz Xaver Dressler in der evangelischen Stadtpfarrkirche auftrat. Zuletzt führte der Hermannstädter Bachchor 2014, vor zehn Jahren, am Karfreitag, die Johannispassion in der Ursulinenkirche auf. Es war das letzte Passionskonzert, das der damalige Chorleiter und Musikwart der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, Kurt Philippi, vor seinem Eintritt in den Ruhestand in Hermannstadt dirigiert hat.

Am Samstag gab es nach der minutenlangen Stille minutenlangen Stehapplaus für Chor, Orchester, Solistinnen und Solisten und vor allem für den musikalischen Leiter dieser Leistung, Steffen Schlandt. Für alle war es auch ein Kraftakt, denn nach dem Stehapplaus machten sich die Kronstädter Musikerinnen und Musikern und die aus Bukarest, London, Budapest und Klausenburg angereisten Gesangsolisten noch am gleichen Abend auf den Heimweg.

Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.