Ausgabe Nr. 2856
Gedanken zum Oscar-gekrönten ,,The Zone of Interest”

Sandra Hüller als Hedwig Höß in „The Zone of Interest”. Foto: Leonine
„Oppenheimer“ hat erwartungsgemäß bei den Oscars 2024 abgeräumt. Das biografische Epos über den Erfinder der Atombombe hat den Preis für den besten Film sowie noch weitere sechs Trophäen abgeräumt: Christopher Nolan erhielt den Preis für die beste Regie, Cillian Murphy wurde als bester männlicher Hauptdarsteller und Robert Downey Jr. als bester männlichen Nebendarsteller geehrt.
Zur besten Schauspielerin in einer Hauptrolle wurde Emma Stone für ihre Rolle in der Frankenstein-Adaption „Poor Things“ gekürt. Den Preis als beste Nebendarstellerin holte Da Vine Joy Randolph für ihren Auftritt in „The Holdovers“.
Die britische Produktion „The Zone of Interest“ gewann den Preis bester internationaler Film. Unser hessischer Mitarbeiter Lothar Schelenz hat den Film mit Sandra Hüller, die eine Oscar-Nominierung (beste Hauptdarstellerin) für ihre Rolle als Hedwig Höß erhalten hatte, am Montag in Nidda gesehen und berichtet im Folgenden:
Der Sound des Grauens, die drohend dröhnenden Geräusche der Krematoriumsöfen von Auschwitz im „Interessengebiet“, – so wurde das Sperrgebiet um das Konzentrationslager Auschwitz genannt -, bilden einen wesentlichen Teil der Kulisse zum Film „The Zone of Interest“.
Der Film orientiert sich im Wesentlichen an Martin Amis Roman „Interessengebiet“. Der britische Regisseur des Films, Jonathan Glazer, zeigt den Holocaust, ohne ihn direkt zu zeigen.
Er schildert das deutsche Familienidyll der 1940er Jahre, zufriedene Eheleute Höß mit Kindern und Hausangestellten im Alltag des Faschismus. Nur spielt sich der Alltag direkt an der Außenmauer des Konzentrationslagers Auschwitz ab. Eine nicht für möglich gehaltene Nähe zum Grauen: Garten, Blumenbeete, Schwimmbecken, Kinderschaukel und Kaffeetafel vor den immer wieder ins Bild kommenden rauchenden Schornsteinen, untermalt mit Schüssen, Schreien, quietschende Bremsen der ankommenden Transporte und bollernde Öfen.
Der Zuschauer sieht in einen Spiegel, der Film spricht zu einem, hat man doch sofort die Bilder vom Gaza-Streifen und der Ukraine vor Augen und die eigene Hilflosigkeit. Beklemmt betrachtet man das Spiel der Familie Höß in ihrem Idyll. Der Lagerkommandant Rudolf Höß, gespielt von Christian Friedel, nimmt seine Ledertasche und geht zur „Arbeit“… Seine Ehefrau Hedwig Höß, gespielt von Sandra Hüller, kümmert sich um die Kinder, den Haushalt und den Garten. Das Grauen hinter der Mauer, das Grollen, die bellenden Hunde, das Morden nimmt Hedwig Höß nicht wahr. Hedwig Höß verdrängt es in einem Maße, dass es einem beim Zuschauen übel wird.

Der irische Schauspieler Cillian Murphy erhielt für seine Rolle als Robert Oppenheimer den Oscar für den besten männlichen Hauptdarsteller. Foto: AFP
Unweigerlich denkt man an die eigene Hilflosigkeit und den Verdrängungsmechanismus, der immer auch von der Hilflosigkeit ausgelöst wird.
Dem Regisseur gelingt etwas, was die Filmkritikerin Anke Leweke als die Erziehung zum „mündigen Zuschauer“ bezeichnet. Zwei Welten – hier das häusliche Idyll, die heile Familie und hinter der Mauer das KZ Auschwitz -, die keine sein sollten, aber es doch sind. Der Film kommt keinem der dargestellten Nazis wirklich nahe, der Regisseur verzichtet darauf, um jedes Gefühl für Figuren gar nicht aufkommen zu lassen. Die prekäre Machart des Filmes „The Zone of Interest“ (der Ton ist zum Beispiel in Mono) zeigt das monströse des deutschen Völkermordes beängstigend real in der Vorstellung des Zuschauers.
Die Schauspieler Sandra Hüller und Christian Friedel stellen das Ehepaar „Höß“ ohne sichtbare Gefühle dar, Mitgefühl nur als funktionierenden, durchorganisierten, faschistischen Eheverbund. Sandra Hüller verkörpert das kalte, grausame, empathielose Wesen der „Hedwig Höß“ unglaublich authentisch. Sie selbst bezeichnete ihre Arbeit in dieser Hausstätte des barbarischen, fa-
brikmäßigen Mordens, „als sich zu Verfügung stellen“.
Christian Friedel (Rudolf Höß) interpretiert seine Rolle „sehr männlich“. Beide Schauspieler beeindrucken beim Spagat zwischen Abstraktion und Authenzität. Großartig. Dieser Film ist nicht zu Ende mit der letzten Szene, dieser Film findet in einem selbst statt und wird sicher noch lange nachhallen. Ein Muss für jeden wahrhaftig Interessierten!
Lothar SCHELENZ