Dritte Minispielzeit der deutschen Abteilung des ,,Radu Stanca“-Nationaltheaters
Ausgabe Nr. 2857
„Nur diese drei sind geblieben. Der eine hört nicht, die zweite ist fast blind und der dritte kommt immer zu spät”. Mit diesen Worten schließt die Aufführung der Legende vom Rattenfänger, der aus Rache die Kinder aus Hameln entführt hat. Diese Aufführung war die vorletzte im Rahmen der dritten Minispielzeit, die von der deutschen Abteilung des Hermannstädter „Radu Stanca”-Nationaltheaters am vergangenen Wochenende veranstaltet worden ist. An den vier Tagen hatten sowohl Gäste als auch Ortsansässige eine ausgezeichnete Gelegenheit, Theaterdarbietungen vom Feinsten zu erleben.
Das Theaterwochenende war alles in allem beeindruckend, bereichernd, einfach gut.
Gezeigt wurden an den vier Tagen fünf Produktionen. Am ersten Abend war es Georg Büchners „Woyzeck” in der Regie von Hunor Horváth und Edith Buttingsrud Pedersen. Für die Inszenierung erhielt Hunor Horváth, der auch Leiter der deutschen Abteilung des TNRS ist, eine Nominierung für den Preis des Rumänischen Theaterverbands (UNITER) in der Kategorie beste Regie. Für einen UNITER-Preis nominiert wurde auch der Lichtdesigner Michael Bischoff, ebenfalls für diese eindrucksvolle Produktion, in der Gyan Roos Zimmermann in der Hauptrolle überzeugt.
Am Freitag stand das Drama „Die Meinen” nach Maxim Gorkis Stück „Die Kleinbürger” in der Regie von Dumitru Acriș auf dem Programm – gespielt wurde es mit dem Publikum auf der Bühne – und am Samstag William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum”, die jüngste Premiere am TNRS, in der Regie von Florian von Hoermann, eine Koproduktion mit dem Deutschen Staatstheater Temeswar.
Der Sonntag war den kurzweiligeren Produktionen gewidmet. Um 15 Uhr wurde im Studiosaal des TNRS das halbstündige Straßentheaterstück „Die Legende von Hameln, eine mögliche Geschichte der Siebenbürger Sachsen” nach Texten der Brüder Grimm und Bertolt Brecht inszeniert von dem Spielleiter-Paar Andrei und Andreea Grosu zu sehen. Das Stück hatte beim 30. Hermannstädter Internationalen Theaterfestival im Sommer 2023 in Michelsberg Premiere gefeiert und war seither an verschiedenen Orten im Kreis Hermannstadt aufgeführt worden. Für die Minispielzeit wurde es ausnahmsweise in einem Saal gezeigt und die Schauspielerinnen und Schauspieler wurden mit Stehapplaus belohnt. Am Abend gab es dann wieder etwas zu lachen bei der Aufführung des Stücks „Der gesamte Molière (nahezu)” von Vincent Caire in der Regie von Daniel Plier, ebenfalls im Studiosaal des TNRS, der sich im „Ion Besoiu”-Kulturzentrum befindet.
Die fünf neuen Produktionen sollten laut Veranstaltern zeigen, „dass die deutsche Abteilung ein breites Spektrum an unterschiedlichen künstlerischen und thematischen Ansätzen bedient. Unsere Minispielzeit wird einen schönen und tiefen Querschnitt dessen zeigen, was das Theater in Hermannstadt derzeit zu bieten hat. In den letzten Jahren hat sich unser Programm in der modernen Tradition des Radu Stanca–Nationaltheaters immer weiter geöffnet: thematisch durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen einer kosmopolitischen Gesellschaft; ästhetisch durch die Gegenüberstellung unterschiedlichster Ausdrucksformen künstlerischer Kommunikation und Darstellung.”
Es ist ihnen gelungen, lautet das Fazit. Einige der Schauspieler mussten an jedem der vier Tage auf die Bühne steigen. So z. B. Daniel Bucher, der nur in dem letztgenannten Stück nicht besetzt war. Bucher sagte auf die Frage seitens der deutschen AKZENTE-Sendung im Rumänischen Fernsehen, welche denn seine Lieblingsrolle in den vier Produktionen sei, in denen er gespielt hat, er habe keine Lieblingsrolle, allerdings sei die schwierigste jene der Helena in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum”.
Wie auch in den beiden vorhergegangenen Auflagen der Minispielzeit, fand auch in diesem Jahr ein Arbeitstreffen statt. Diesmal im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt. Eröffnet wurde das Treffen mit einem kleinen Exkurs von Constantin Chiriac, Intendant des Nationaltheaters „Radu Stanca” und Direktor des Hermannstädter Internationalen Theaterfestivals, der auf die Geschichte und die Bedeutung der deutschen Theaterszene in Hermannstadt hinwies und darauf, dass es auch bei dem diesjährigen, dem 31. Internationalen Theaterfestival eine deutsche Komponente geben wird. Zu sehen sind dann z. B. das Stück „Karpatenflecken” von Thomas Perle, am Wiener Burgtheater inszeniert von Mira Stadler, Susanne Kennedys Inszenierung „ANGELA (a strange loop)” oder die Straßentheater-Performance des Freiburger Aktionstheaters PAN.OPTIKUM „FACE T(W)O” mit jungen Tänzerinnen und Tänzern aus Italien, Litauen, Tschechien und Rumänien.
Das Thema des Arbeitstreffens war die Zusammenarbeit zwischen der Künstlergruppe Rimini Protokoll, der deutschen Abteilung des TNRS und dem Goethe Institut Bukarest. Es handelt sich um ein Forschungs- und Kunstprojekt über Identität, Migration, Integration und Heimat, mit besonderem Fokus auf der Zukunft und Biographie der Siebenbürger Sachsen. Geplant sind auch weitere Gespräche mit möglichen Partnern. Die Projektpartner hoffen, so Hunor Horváth, „dabei weitere Partner und Unterstützer für unser Vorhaben zu finden und zu überzeugen. Ziel ist es ein aktives Netzwerk für unser Projekt aufzubauen.”
Einleitende Worte sprach zum Auftakt des Arbeitstreffens auch Emil Hurezeanu, Rumäniens Botschafter in Wien, der seinerseits auf die Tradition deutschen Theaters in Hermannstadt hinwies.
Der Geschäftsträger der Deutschen Botschaft in Bukarest, Christian Plate, lobte die „fantastische Inszenierung” mit „Woyzeck” und sagte u. a., dass zwischen dem TNRS und der Deutschen Botschaft im Laufe der Zeit eine besondere Kooperation, ja eine Freundschaft entstanden sei und er sei schon gespannt auf das Kooperationsprojekt, das sich aktuellen Themen widme und im Rahmen des 32. Hermannstädter Internationalen Theaterfestivals Premiere feiern soll.
Zum Thema des Projekts sprachen auch der online zugeschaltete Leiter des Goethe Instituts in Bukarest, Joachim Umlauf, und der anwesende Regisseur Daniel Wetzel, Gründer und Leiter der Künstlergruppe Rimini Protokoll. Wetzel dankte u. a. der Leiterin des Friedrich Teutsch-Begegnungs- und Kulturzentrums, Dr. Gerhild Rudolf, für die Einführung in die Geschichte und die Gegenwart der Siebenbürger Sachsen. Ebenfalls online zugeschaltet war Bundeskulturreferentin Dagmar Seck vom Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, die ebenfalls ihre Bereitschaft ankündigte, bei dem Projekt mitzumachen.
Beatrice UNGAR