Streiflichter von der 17. Auflage nach Wiederaufnahme des Urzellaufs in Agnetheln
Ausgabe Nr. 2850
Mit knallenden Peitschenhieben und lautem Glockengeläut fand am Sonntag, dem 28. Januar, der traditionelle Urzellauf in Agnetheln in der 17. Auflage nach der Wiederaufnahme des Brauches statt. 268 Urzeln im Alter von 4 bis 67 Jahren trieben mit ihren furchterregenden Masken und schwarzen Zottel-Anzügen während des Umzuges allerlei Schabernack.
Die Parade startete pünktlich um 10 Uhr von dem IMIX-Werk, machte einen kurzen Halt vor dem Dacia-Hotel, bis sie eine gute halbe Stunde später vor dem Rathaus erneut stoppte, um die Zunft-Figuren vorzustellen. Denn der Urzellauf wäre kein Urzellauf, wenn nicht auch die traditionellen Symbolfiguren dabei wären. Doch zunächst wurde dieser Halt traditionell von einer Rede des Bürgermeisters Alin-Ciprian Șchiau-Gull und dem Zunftmeister Bogdan Pătru begleitet.
Nach großem Applaus der Zuschauer und lauten Peitschenschlägen der Urzeln begann der menuettähnliche Tanz des Schneiderrössleins mit seinem Mummerl (Vertreter der Schneiderzunft). Darauf folgte der Bär (Kürschnerzunft), der von seinem Treiber an der Kette geführt, und mit Knüppel zu einem tapsigen Tanz angetrieben wurde.
Im Anschluss waren die beiden Reifenschwinger der Fassbinderzunft an der Reihe. In zirkusreifen Kunststücken wirbelten sie pyramidenförmig gestapelte Schnapsgläser in Fassreifen durch die Luft.
Den Abschluss dieser Station bildete eine junge Agnethler Tanzgruppe, die in siebenbürgisch-sächsischen Trachten oder im Dirndl bekleidet zu Walzerklängen, gespielt von der Neppendorfer Blaskapelle, einen traditionellen Volkstanz aufführte.
Angeführt vom Paradehauptmann, der mit seinen „Engelchen” die Schneiderzunft repräsentierte, machte sich die Parade auf den Weg zur letzten Station in Richtung Niedergasse. Auch hier gab es eine abschließende Vorstellung der Zünfte, woraufhin sich die Parade dann auflöste und die Urzeln ihre Familien und Freunde aufsuchten.
Wie in den Vorjahren waren auch in diesem Jahr 10 bis 15 Urzeln aus Deutschland dabei, darunter Harald Wächter aus Sachsenheim. Der gebürtige Agnethler reist jedes Jahr in seinen Heimatort, um als Urzel die Straßen unsicher zu machen. Schon als Kind sei er bei den Urzeln mitgelaufen, erzählt er. Auf die Frage, was ihn dazu motiviert, antwortete er: „Es ist die Heimatverbundenheit und die Tradition, deswegen machen wir es auch sehr gerne. Es macht immer wieder viel Spaß und es kommen immer wieder neue Leute dazu. Auch aus Deutschland gibt es immer öfter neue Leute, die daran teilnehmen.“
Mit Peitsche, Narrenpritsche und hölzerner Ratsche bekleidet machten sich die Urzeln gegen 12.15 Uhr auf den Weg zur Kirchenburg. Nach einem kurzen Gruppenfoto vor der evangelischen Kirche erwiesen sie ihr gemeinsam mit der ehrenamtlichen Gemeindekuratorin Andrea Șchiau-Gull unter Gesang ihre Ehre.
Auch das Siebenbürgenlied wurde angestimmt und von den Zuschauern mit viel Beifall bedacht. Anschließend stärkten sich alle mit heißem Glühwein und leckeren Krapfen. Einige der Besucher nutzten die Gelegenheit, um die Dauerausstellung in den fünf Wehrtürmen und auf der Empore in der Kirche zu besichtigen.
Die museale Ausstellung wurde am 29. April 2023 eröffnet und beinhaltet einige Exponate und Informationseinheiten zu Handwerk, Zünften und dem Urzelbrauch. Nach einer umfangreichen Renovierung, bei der alle Dächer, Fußböden und Aufgänge zu den Türmen sowie die Elektrik, Außen- und Sanitäranlagen erneuert wurden, konnten die evangelische Kirche und die Kirchenburg am 14. August 2022 wieder eingeweiht werden. Rund 6,53 Millionen Lei haben die Arbeiten gekostet, davon stellte 6,24 die Europäische Union zur Verfügung, durch das Regionale Operationelle Programm 2014-2020. Im August 2017 wurde der Finanzierungsvertrag unterzeichnet. Antragsteller war die evangelische Kirchengemeinde A. B. Agnetheln, ihr zur Seite standen außer der Projektmanagerin Elena Curcean und dem Planer, Architekt Emil Aurelian Crișan mit Rat und Tat das Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien und die Heimatortsgemeinschaft (HOG) Agnetheln und im Laufe der mehr als drei Jahre dauernden Arbeiten zahlreiche Spenderinnen und Spender.
Nachdem sich die Urzeln ausreichend gestärkt hatten, zogen sie bis in den späten Abend in Parten weiter durch die Stadt, um mit ohrenbetäubenden Peitschenknallen und Glockengeläut die bösen Geister und den Winter zu vertreiben.
Mareike LEISTER