Ausgabe Nr. 2849
Zwei neue Sonderausstellungen im Brukenthalmuseum
Zwei Sonderausstellungen sind am Freitag im Brukenthalmuseum eröffnet worden: Im Museum für zeitgenössische Kunst „Dialoge zwischen Antike und Gegenwart“ mit Werken von Legendina Di Paolo, kuratiert von Alexandra Postelnicu, und im Multimediasaal im Blauen Stadthaus „Geliehene Götter. Steinerne Wiener“ der Fotografin Christine de Grancy, ein jahrzehntelanges Forschungsprojekt, dessen Ergebnis dank der Zusammenarbeit zwischen dem Brukenthalmuseum und dem Österreichischen Kulturforum in Hermannstadt zu besichtigen ist.
Beide Ausstellungen sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Gemeinsam ist ihnen die Verbindung zur Welt der griechischen Mythologie. Die 1939 in Sächsisch-Reen geborene Legendina Hurdugaciu Di Paolo, die 1982 in die Schweiz geflüchtet ist und dort in Lugano 2017 verstarb, malt in ganz eigener Manier, in kräftigen Farben vor allem mythische Helden und Heldinnen. Zumindest auf den ersten Blick sieht man z. B. die verletzte Niobe aus den Horti Sallustiani in Rom dargestellt oder die Statuen der Dioskuren auf dem Kapitol in Rom, Laomedon vom Ostgiebel des Aphaia-Tempels auf Ägin, um nur einige zu nennen. Wie die Kuratorin Alexandra Postelnicu in der Ausstellunsgbroschüre schreibt, bewegt sich die Künstlerin im Spannunsgfeld zwischen Antike und Gegenwart, wobei sie auch einen „Miniausflug” in das Mittelalter wagt, mit einem Dante gewidmeten Bild. Die Bilder vereinen scheinbar Unvereinbares und müssen erkundet werden, auch wenn die starken Farben sogleich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Die Künstlerin selbst hatte drei Jahre lang im Atelier des bekannten rumänischen Malers Corneliu Baba lernen dürfen, hat sich aber von dessen Malweise deutlich entfernt. Wer ihre Bilder betrachtet, erkennt Einflüsse von Francisco Goya, El Greco, Antonio Gaudi und besonders von Giorgio de Chirico. In Lugano selbst hat sie in das Atelier von Filippo Boldini (1900-1989), dem Tessiner Freskenmaler und Meister der Stillleben, Einblick erhalten, was auch zu erwähnen wäre.
Nun zu der Sonderausstellung von Christine de Grancy, die – die Ausstellung – buchstäblich an der Decke hängt. Mit dem von Rudolf Weyr entworfenen Boreas begann Christine de Grancy ihre Reise durch die Wiener Götterwelten. Unter dem Bild ist zu lesen: „Meine handgeschriebenen Notizen, bemüht, leserlich zu sein, möchten ergänzen, dass alles von mir in Bildern Festgehaltene nur ‚Ausschnitte‘ sein können von etwas unfassbar Großem. Vielleicht können die Bilder anregend sein, tiefer zu ergründen, was sich in der antiken, griechischen Mythologie von Macht und Ohnmacht noch heute an gültiger Erkenntnis verbirgt. Boreas, der Gott des Nordwindes, Beschützer einst von Athen und von seinen Bewohnern verehrt, was vermag er als prächtiges Windrad am Dach des Burgtheaters… zwischen den prächtigen Flügeln und dem Schlangenkörper des Gottes verbirgt sich Eros, der kleine mächtige Gott der Liebe, seine Fackel tragend. Sturm und Glut bedingen einander“.
Dem entspricht auch die Aussage der Kuratorin Mercedes Echerer: „Grancys Bildergeschichten sind voller Hintersinn und Ironie. Warum gibt es ausgerechnet in der Stadt Freuds keine Statue der Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung? Ist es Zufall, dass auf dem Dach der Hofburg ausgerechnet Fama, die Göttin des Gerüchts thront? Warum wacht vor dem Parlament Pallas Athene, Göttin der Weisheit und der Kriegstaktik, in ihrer Hand Nike, die Siegesgöttin? Damals vielleicht Sinnbild des Wunsches nach Demokratie – und heute? Oder was will einer der Rossebändiger vor dem Parlament? Ein Schelm, wer Übles denkt!” Echerer stellt in der Ausstellungsbroschüre die 1942 in Brünn geborene Künstlerin vor: Christine de Grancy arbeitete ab 1963 als Graphikerin und Art Directorin in Wiener Werbeagenturen, „bevor sie sich ab 1975 mehr und mehr der künstlerischen Photografie zuwandte. Für ihre Bilderzählungen bereiste sie die Welt: Griechenland, Russland, Japan, Algerien, West-Sahara, China-Tibet, Pakistan, Portugal, Türkei, Georgien, Niger, Mali, Ohio Cleveland und New York City. (…) Mit der Ausstellung ‚Landschaft für Engel. Bilder von den Dächern Wiens‚, im Museum Moderner Kunst Wien – Palais Liechtenstein 1981 zählt sie zu den ersten Photographinnen, die Eingang in die Museen Österreichs gefunden haben. Internationale Ausstellungen und Auszeichnungen folgten. 1993 wurde sie vom Journal Photo-Special Femme als eine der 100 wichtigsten internationalen Photographinnen gewürdigt.
Die Künstlerin arbeitete mit analogen Kameras von Olympus OM-2, dann mit Leica M6, Leica R7 und der digitalen Leica M10. Sie verwendete Filme von Kodak und Ilford, Photopapiere von Agfa und Ilford, in weiterer Folge mit Pigmentdrucken auf Hahnemühle Photo Rag Baryta.
De Grancy eroberte auch die Bühne und revolutionierte die Theaterphotographie. (…)
Seit 2023 reist eine Auswahl dieser Bilder durch die Kulturforen Österreichs. Die an Stahlseilen schwebenden Kunstwerke laden ein, die bilderbuchartige Ausstellung zu durchblättern. Berühren erwünscht – heißt die Devise.”
Die Kuratorin ist keine Unbekannte in Hermannstadt. Am ersten Tag des Internationalen Hermannstädter Theaterfestivals 2019 führte sie im Gong-Theater ihre One-Woman-Show „Rumänisches Roulette. Ein Plädoyer für die Vielfalt Siebenbürgens” auf. Der von ihr gegründete Verein DIE2, der als Partner in dem Ausstellungsprojekt auftritt, habe laut Echerer sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt von Europas Kulturen dem heimischen Publikum aufzufächern, denn „Europa mit all seinen Sprachen, Klängen und Gestalten wird durch die Stimmen seiner Erzähler erfahrbar gemacht. Wenn die kleinen oder auch großen Erzählungen Europas andere Sprachräume erreichen, lassen sie oft mühelos und nachhaltig unüberwindbar scheinende Barrieren verschwinden.” B. U.