Ein persönlicher Nachruf auf Professor Dr. Hermann Pitters / Von Dr. Jürgen HENKEL
Ausgabe Nr. 2847
Hermannstadt. Als ich im Juni 1992 das erste Mal die Schwelle des damaligen Protestantisch-Theologischen Instituts in Hermannstadt überschritt, traf ich im Sekretariat zwei Personen: eine überaus sympathische Sekretärin, Helga Dahinten, und einen älteren ebenfalls sehr freundlichen Professor mit verschmitztem Blick und hellwachen Augen: es war der damalige Dekan Prof. Dr. Hermann Pitters.
Ich stellte mich ihm als Student aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern im vierten Semester vor, der ab dem Wintersemester 1993 ein Studienjahr in Hermannstadt verbringen möchte. Ein Strahlen ging über sein Gesicht und es folgten die einladenden Worte, die ich bis heute – über 30 Jahre später – noch wörtlich erinnere: „Kommen Sie, kommen Sie! Wir freuen uns!“ So wurde ich Student in Hermannstadt. Dass ich statt den geplanten zweien gleich vier Semester geblieben bin, lag nicht nur an der Traumstadt Hermannstadt und dem wunderbaren Institut im Bischofshaus mitten in der Stadt mit seinen exzellenten Studienbedingungen, sondern auch an den damaligen Professoren und besonderen Persönlichkeiten dieses Instituts, allen voran Hermann Pitters, Paul Philippi und Berthold W. Köber.
Schon bei dieser Erstbegegnung mit Hermann Pitters offenbarten sich mir in dieser einen kurzen Szene sein freundlicher, einladender und auch herzlicher Charakter. Es sollten viele ausschließlich positive Begegnungen folgen. Er brachte mich auf die Spur des großen rumänischen orthodoxen Theologen Dumitru Stăniloae, er forcierte 2003 meinen Ruf an die Evangelische Akademie Siebenbürgen (EAS), die er gemeinsam mit Gerhard Möckel ins Leben gerufen hatte. Bis zuletzt habe ich immer versucht, den verehrten akademischen Lehrer und väterlichen Freund und Förderer so oft ich im Lande war zu besuchen.
Genauso erinnerlich wie jenes Kennenlernen im Sekretariat des Instituts vor über 30 Jahren wird mir immer auch die letzte Begegnung vor drei Monaten Mitte Oktober 2023 bleiben.
Es war ein wunderschöner und warmer Herbsttag. Hermann Pitters und seine liebe Frau Helga empfingen mich im Garten. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel herab wie ein kleiner Segen für diesen Tag und unser letztes Treffen in dieser Welt. Hermann Pitters war schon sehr geschwächt in den Bewegungen und beim Sprechen. Jedoch funkelten seine Augen, als ich nach Literatur über die Epoche der Aufklärung in Siebenbürgen fragte. Er dachte angestrengt ein, zwei Minuten lang nach; dann sprudelten Autorennamen und Buchtitel aus seinem bis zuletzt phänomenalen Gedächtnis.
Vieles war phänomenal an Hermann Pitters. Selbst wenn dies fast schon nach Heiligsprechung klingt, dürfen die zahlreichen positiven Charaktereigenschaften und Attribute, die Hermann Pitters als Wissenschaftler und akademischen Lehrer, als Intellektuellen und Bildungsbürger, vor allem jedoch als Mensch auszeichneten, der Ehrlichkeit halber und der bleibenden Erinnerung wegen durchaus hier einmal in Fülle aufgereiht werden.
Hermann Pitters war universal gebildet und überaus belesen, ein großer Freund und Kenner von Kultur, Musik und Literatur, scharfsinnig im Denken und gelegentlich sogar scharfzüngig im Reden, dabei aber nie verletzend. Er war diplomatisch und außergewöhnlich begeisterungsfähig – etwa beim Betrachten und Erklären von Flügelaltären –, begnadet tiefenscharf in Theologie, Denken und Analyse, gleichzeitig strukturiert und stets wohlüberlegt in der Synthese, zudem immer herzlich, großzügig und unendlich aufgeschlossen sowie von einer aufrichtigen Dankbarkeit selbst für kleine Gesten und Gaben. Hinzu kam sein sprichwörtlicher Humor. Er lachte gerne und sein Lachen war ansteckend.
Diese vielen positiven Eigenschaften skizzieren zugleich, was Hermann Pitters nicht war. Ich kann mich nicht erinnern, ihn auch nur einmal in all den Jahren zornig oder aufbrausend erlebt zu haben. Er war zu keinem Zeitpunkt eitel, selbstverliebt oder eingebildet, wie es bei Intellektuellen dieses Formats sonst gar nicht allzu selten vorkommt. Jedes Gespräch mit ihm war bereichernd und lehrreich, ein menschliches und geistiges Vergnügen. Wer ihn näher kannte, erlebte seine große Menschenliebe, die stets von seinem tiefen Glauben zeugte. Er verband wissenschaftliche Präzision stets mit einem seelsorgerlichen Blick für seine Mitmenschen. Nicht umsonst hat er nicht nur Kirchengeschichte, sondern auch Seelsorge und Liturgik am Theologischen Institut gelehrt.
Ich durfte Hermann Pitters über 30 Jahre hautnah erleben. Zunächst natürlich als Professor am Theologischen Institut. Während in der westlichen universitären Landschaft die Grenzen zwischen Theologie und Human- bzw. Sozialwissenschaften seit Jahrzehnten immer mehr verschwimmen, so bot Hermann Pitters auf den Grundlagen von Schrift und Bekenntnis eine Standortbestimmung der Theologie und der Lebensäußerungen wie der Handlungsfelder der Kirche immer in Bezug und Bindung zur Kirche. Seine Theologie schwebte nie im luftleeren Raum rein wissenschaftlicher Debatten oder terminologischer Spitzfindigkeiten (die er mühelos beherrschte!) und akademischer Milieus; die Theologie war für ihn immer Gabe und Aufgabe, Auftrag und Wesenszug der Kirche und Dienst der Kirche – und für ihn persönlich Berufung!
Gegenüber Studenten zeigte sich Hermann Pitters stets als würdigend und wertschätzend, konstruktiv und konkret, aufbauend und ausgleichend, klar und deutlich in der theologischen Aussage und mancher Ansage, aber niemals herablassend in der Kritik.
Völlig zu Recht wurden immer wieder seine ökumenische Aufgeschlossenheit und sein nachhaltiger Beitrag zum Dialog speziell mit der Orthodoxie gewürdigt. Er hat Orthodoxe – anders als manche anderen protestantischen Theologen – stets ernst genommen, und er selbst wurde von Orthodoxen ernst genommen. Das lag nicht nur an der bahnbrechenden Übersetzung der dreibändigen Dogmatik von Dumitru Stăniloae ins Deutsche, sondern auch an vielen weiteren Beiträgen in diesem westöstlichen Dialog, der in Rumänien innerhalb eines Landes stattfinden kann, sind doch dort die westlichen Kirchen und die Orthodoxie gleichermaßen präsent. Hermann Pitters war dabei eine echte allseits geschätzte Größe.
Bis in seine letzten Lebensjahre war er auf dem akademischen Parkett präsent. Sein Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung und zur Erinnerungskultur im Blick auf die kommunistische Diktatur wird unvergessen bleiben, besonders im Blick auf das Entstehen des ökumenisch angelegten „Rumänischen Martyrologiums“ 2006, das er immer wieder auch öffentlich präsentierte. So 2018 bei einer großen internationalen Konferenz der Metropolie von Siebenbürgen, des Deutsch-Rumänischen Instituts für Theologie, Wissenschaft, Kultur und Dialog „Ex fide lux“ und der EAS zum Thema „Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West“, wo er vor rund 90 Teilnehmern Ziele, Methodik und Ergebnisse dieses Projekts präsentierte. Bis zuletzt war er Mitherausgeber der „Deutsch-Rumänischen Theologischen Bibliothek/DRThB“ und war begeistert über jeden neuen Band.
Hermannstadt, Siebenbürgen und Rumänien und die deutsche Minderheit im Land haben mit Hermann Pitters eine große Persönlichkeit verloren, der Himmel hat einen wahren Engel hinzugewonnen. Der Ehefrau Helga und der ganzen Familie gilt unser aller Mitgefühl. Hermann Pitters gilt meine große Dankbarkeit für so vieles an Wissen, Förderung und Wegbegleitung, die ich – wie viele andere auch – durch ihn erfahren durfte. Das Ewige Licht leuchte ihm nun im ewigen Reich Gottes, in dem die Heiligen und Erlösten um Gottes Thron stehen und den Herrn loben! Hermann Pitters hat dort einen würdigen Platz. Danke, lieber Hermann, für alles!