Erwartungen wurden übertroffen

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Büchners Woyzeck – neue Premiere an der deutschen Abteilung des TNRS

Ausgabe Nr. 2845

Premiere mit einem Klassiker: Wie eine Fetzenpuppe, die sich hin und her schieben lässt, wird der Titelheld in der jüngsten Inszenierung an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters von Büchners „Woyzeck” dargestellt. Lesen Sie den Premierenbericht auf Seite 5. Unser Bild (v. l. n. r.): Szenenfoto mit Daniel Bucher (Doktor), Gyan Ros Zimmermann (Woyzeck) und Daniel Plier (Hauptmann).                             Foto: Andrei VĂLEANU

Einen Klassiker der deutschen Literatur auf die Bühne zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen. Die Erwartungen sind groß: Wird es nun eine klassische Aufführung oder eine moderne, mit einem aufwändigen Bühnenbild und vielen Möbelstücken, und wird sich der Regisseur an dem bekannten Text halten? Fragen über Fragen, die sich auch einige der Hermannstädter Zuschauer vor der Premiere von „Woyzeck“ von Georg Büchner am Sonntagabend, dem 10. Dezember stellten. Neugierig waren sie allemal, davon zeugte der volle Saal des Radu Stanca-Nationaltheaters. Die Regie des Theaterstückes, das von den Schauspielerinnen und Schauspielern der deutschen Abteilung des TNRS gespielt wurde, führten Hunor Horváth und Edith Buttingsrud Pedersen.

Das nur fragmentarisch überlieferte Drama „Woyzeck“, das von Georg Büchner (1818-1837) Zeit seines Lebens nicht fertiggestellt wurde, erzählt die Geschichte von Franz Woyzeck, einem einfachen Soldaten, der seine Geliebte, Marie, und sein uneheliches Kind durch weitere Nebentätigkeiten versorgen muss. Gegenüber den ihm gesellschaftlich übergestellten Hauptmann und Doktor muss sich Woyzeck ganz und gar verkaufen. Dem Doktor dient er als Versuchsobjekt für verschiedene medizinische Experimente – er darf sich u. a. nur von Erbsen ernähren, dem Hauptmann gegenüber erledigt Woyzeck Dienste wie zum Beispiel das regelmäßige Rasieren. Nach und nach verfällt Woyzeck zunehmend einem Wahn, halluziniert, meint Stimmen zu hören, die ihn eindringlich beschwören, Marie zu töten. Dass es zu dieser Eskalation kommt, wird durch Maries Verhältnis zum Tambourmajor ausgelöst.

Szenenfoto mit Titeldarsteller Gyan Ros Zimmermann, Daniel Bucher und Schauspielstudenten des 1. und 2. Master-Jahrgangs der Lucian Blaga Universität Hermannstadt.                                                   Foto: Andrei VĂLEANU

Laut Wikipedia-Eintrag war der 1780 geborene Johann Christian Woyzeck historisches Vorbild für den Büchnerschen „Woyzeck“. Aus Eifersucht erstach er am 2. Juni 1821 die 46-jährige Witwe Johanna Christiane Woost in einem Hausflur in der Leipziger Sandgasse. Im Prozess erstellte der Medizinprofessor Johann Christian August Clarus zwei Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Woyzeck wurde nach einem langen Verfahren, in dem sich sogar der sächsische Thronfolger mit einem Gutachten für ihn einsetzte, verurteilt und am 27. August 1827 auf dem Marktplatz in Leipzig öffentlich hingerichtet.

Der Hermannstädter Woyzeck wird hervorragend von Gyan Ros Zimmermann interpretiert, der sich wie eine Fetzenpuppe hin und her schieben lässt. Er ist offensichtlich allen anderen Gestalten auf der Bühne untergeben und übermittelt durch seine gehetzten Bewegungen eine Unbeholfenheit, die mitleiderregend ist. Ganz anders der Doktor, der mit einem lauten Knurren seine eigene bewegliche Bühne vor das Publikum schiebt und vor Selbstbewusstsein strotzt. Daniel Bucher erobert in der Rolle des Alpha-Doktors die Bühne lauthals und gebieterisch und befiehlt, Woyzeck solle seine Erbsen essen. Weniger brutal aber dafür spöttisch verhält sich der Hauptmann – interpretiert von Daniel Plier – Woyzeck gegenüber, nennt ihn „ganz abscheulich dumm“ und sagt: „Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt.“

Die weiblichen Gestalten fallen in der Inszenierung von Hunor Horváth eher bescheiden aus: Marie, gespielt von Theodora Sandu kommt als bescheidenes, verträumtes Mädchen rüber, so gar nicht als verantwortungsbewusste Mutter.

Weitere Nebenrollen besetzen Johanna Adam als Margreth, die Nachbarin, Fabiola Petri – schlüpft überraschenderweise in die Rolle von Andres, Emöke Boldizsar ist der Ausrufer und Patrick Imbrescu besetzt die eher in den Hintergrund geratene Rolle des Tambourmajors.

Unterbrochen werden die Szenen von Gesangseinlagen der Hauptdarsteller, die der Reihe nach bekannte deutsche Pop- und Rocklieder – von Tamás Kolozsi und Mihai Dobre reinterpretiert und umgeschrieben – singen. Zu erkennen sind da z.B. „Freiheit“ von Marius Müller Westernhagen, „Goldener Reiter“ von Joachim Witt oder „Die 10 Gebote“ von der Rockband „Die Toten Hosen“.

Chorpassagen, die Melinda Samson komponierte, verleihen der Aufführung an Größe. Dazu kommen die vielen Tanzeinlagen, die an die Kunst des modernen israelischen Tanztheaters erinnern. Für die Choreographie der bis zu 13 Tänzerinnen und Tänzer – alle Schauspielstudenten des 1. und 2. Master-Jahrgangs der Lucian Blaga Universität Hermannstadt – war Edith Buttingsrud Pedersen zuständig. Die Tänze wirkten beruhigend und sogar hypnotisierend auf die Zuschauer und glichen das sehr dynamische und manchmal laute Geschehen auf der Bühne aus.

Das Bühnenbild von Előd Golicza verlieh der Aufführung etwas Geheimnisvolles. Die vier verschiebbaren durchsichtigen Wände teilten die Bühne in zwei und manchmal konnte man nicht alle Details erkennen, die sich im Hintergrund abspielten. Das Geschehen wurde jedoch live gefilmt und auf die Wände projiziert, so dass nichts verpasst werden konnte.

Abschließend sei bemerkt, dass die neueste „Woyzeck“-Inszenierung der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters allen Zuschauern gut gefallen hat und sich als gut ausgeglichene, das klassische mit dem modernen Theater verbindende Aufführung, sehen lässt. Die Erwartungen wurden übertroffen.

Cynthia PINTER


Besetzung

Darsteller: Johanna Adam, Emöke Boldizsár, Daniel Bucher, Eva Frățilă, Patrick Imbrescu, Fabiola Petri, Daniel Plier, Theodora Sandu, Ana Tiepac, Gyan Ros Zimmerman

Regie und Choreographie:

Edith Buttingsrud Pedersen

Regie und Dramaturgie:

Hunor Horváth

Bühnenbild: Előd Golicza

Kostüme: Zsofiá Gábor

Video Design: Dan Basu

Light Design: Michael Bischoff

Chorleitung: Melinda Samson


 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.