Jahrestagung der Hermannstädter Germanistik
Ausgabe Nr. 2842
Wie jedes Jahr im November war es auch heuer am 3. und 4. des Monats soweit. Die Hermannstädter Germanistik tagte zu dem weit gefassten Thema „Deutsches literarisches und kulturelles Erbe im südosteuropäischen Raum”.
Es waren zwei volle Tage, voller interessanter Begegnungen, voller interessanter Vorträge, voller Impulse. Wegen der großen Anzahl an Teilnehmern wurde am Freitag sogar in drei Sektionen getagt: Literatur-, Sprachwissenschaft und Bildungssprache Deutsch im Kontext von Mehrsprachigkeit.
Bei der feierlichen Eröffnung der Tagung in der Aula des Rektoratsgebäudes fehlten zwar die Vertreter der Leitung der Lucian-Blaga-Universität, allerdings aus verständlichen Gründen – Dienstreisen als geladene Gastdozenten, Tagungen der eigenen Fachbereiche. Es wird hier gelehrt und geforscht. Die zwei Plenarvorträge entschädigten dann aber für dieses kleine Manko. Waldemar Fromm aus München sprach über „Kleine Literatur(en) und die Globalgeschichte der Literatur“, ein Vortrag mit zahlreichen Anregungen zum weiteren Vertiefen des Themas. Gert Weisskirchen aus Heidelberg fasste unter dem Titel „Erinnern für die Zukunft“ den „Beitrag der rumäniendeutschen Literatur für ein kulturelles europäisches Gedächtnis, das Trennendes zu überwinden versucht“ zusammen.
Nach einer Kaffeepause mit angeregten Gesprächen ging es im Begegnungszentrum der Hermannstädter Universität in mehreren Räumlichkeiten weiter. Dreizehn Vorträge im Bereich Literatur- und Übersetzungswissenschaft deckten ein breites Spektrum an Themen ab, seien es die Räume in Richard Wagners Romanen, die innere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bei Iris Wolff, Franz Hodjaks neue Gedichte, die Beziehungen des Schriftstellers Wulf Kirsten zur rumäniendeutschen Literatur, oder die Geschichte(n) bei Karin Gündisch, seien es übersetzungstechnische Überlegungen, die Analyse der deutsch-ungarischen Debatte um den Transilvanismus in den Kulturzeitschriften der Zwischenkriegszeit, oder eine Übersicht über den Werdegang der Hermannstädter Fachzeitschrift Germanistische Beiträge.
Im Bereich der Sprachwissenschaft kamen fünf Vorträge zu Gehör. Von belegten Wortbildungskonstruktionen zum Lexem „Austage“ im Siebenbürgisch-Sächsischen, über Paarformeln aus diachroner Sicht, einer pragmalinguistischen Untersuchung der Schlagzeilen zum missglückten Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum in der deutschen, österreichischen und rumänischen Presse, bis zu Untersuchungen der Darstellung der Walachen in siebenbürgisch-sächsischen Urkunden, bzw. der Frauen im sozialistischen Kontext.
In diesem Jahr gab es auch fünf Beiträge zum Bereich von Deutsch als Bildungssprache in einem mehrsprachigen Umfeld. Zum Teil auf Fallstudien gegründet, die viel Recherchearbeit vor Ort verlangen, hatten einige der vorgestellten Vorträge zwei AutorInnen. Es ging um sprachsensiblen Fachunterricht an „Nationalitätenschulen” in Regionen mit autochthonen Minderheiten, um das Vermitteln der Bildungssprache Mathematik und Sachkunde in der 2. Klasse, um ein DaF- und DaZ-Unterrichtskonzept mit internationaler Perspektive und dem ansprechenden Titel „Hören, Sprechen und ein Farbalphabet“ und, – einmal aus der anderen Perspektive gesehen -, um Vermittlung von Landeskunde in Rumänisch als Fremdsprache. Eine weitere Facette der Bildungssprache Deutsch bot der Vortrag zur Sprachbildung im Fach Deutsch als Muttersprache in Rumänien.
Der Abend war den Dichtern vorbehalten. Und was für Dichter: Horst Samson, Helmut Britz, Traian Pop Traian und Radu Vancu.
Horst Samson, der bis zu seiner Ausreise 1987 größtenteils im Banat lebte, war als Lehrer, und Journalist tätig, vor allem seine Tätigkeit in der Redaktion der Zeitschrift Neue Literatur war für die rumäniendeutsche Literaturszene sehr wichtig. Auch in Deutschland arbeitete er nach der Ausreise fast dreißig Jahre lang im Zeitungswesen. Bekannt wurde er aber vor allem durch seine zahlreichen Gedichtbände, die von 1978 an bis heute (vorläufig letzter Band 2022) erschienen sind.
Helmut Britz ist ebenfalls gebürtiger Banater, Dichter und ehemaliges Redaktionsmitglied der Neuen Literatur.
Traian Pop Traian, gebürtiger Kronstädter und ausgebildeter Ingenieur, hat schon früh in den Kulturbereich gewechselt und ist seit dem Veröffentlichen erster Gedichte in Rumänien und ab 1990 in Deutschland als Dichter, Verleger und Übersetzer tätig. Seit 2003 hat er einen eigenen Verlag, den Pop Verlag in Ludwigsburg.
Vancu ist hauptamtlich Professor für Literatur an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, Herausgeber mehrerer Kulturzeitschriften und Anthologien, Übersetzer aus dem Englischen, Dichter, Prosaautor und Essayist.
Im Mittelpunkt der Lesung stand, auch weil zwei in Hermannstadt anwesende Autoren – Helmut Britz und Horst Samson – damals mit dabei waren, die Anthologie „die bewegung der antillen unter der schädeldecke. junge rumäniendeutsche lyrik zwischen 1975 und 1980”, die mit dem Untertitel „Eine (historische) Anthologie herausgegeben von Walter Fromm. Erweiterte, kritische Neuauflage” 2022 im Pop Verlag Ludwigsburg erschienen ist und Texte von Richard Wagner, Werner Söllner, Rolf Bossert, Franz Hodjak, William Totok, Hellmut Seiler, Klaus Hensel, Horst Samson, Helmut Britz und Johann Lippet enthält.
Der Herausgabe dieses Bandes sind sowohl die Themenwahl der Tagung und auch die Lesung zu verdanken. Waldemar Fromm hatte nämlich die Hermannstädter Germanistikprofessorin und Hauptorganisatorin der Germanistiktagung Prof. Dr. Maria Sass gebeten, eine Rezension der Anthologie zu verfassen. Die Rezension ist in der Ausgabe Nr. 49 der Zeitschrift Germanistische Beiträge abgedruckt. Dr. Sass beginnt ihren Beitrag wie folgt: „Eine in den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts entstandene Textsammlung wurde 2022 nach mehr als vier Jahrzehnten veröffentlicht und sorgte für Aufsehen auf dem deutschen Buchmarkt. Sowohl für den einfachen Leser als auch für den Forscher, der an der deutschen auf dem Gebiete Rumäniens hinter dem Eisernen Vorhang entstandenen Literatur Interesse hat, ist es inhaltlich und strukturell ein zutiefst beeindruckender Band, der eine eigene Geschichte hat, die das späte Erscheinen begründet.”
Ausführlich schildert diese Geschichte in seinem Vorwort zur Neuausgabe Waldemar Fromm, der Sohn des damaligen Herausgebers Walter Fromm. Walter Fromms Anthologie wurde als Manuskript in der deutschen Abteilung des Bukarester Kriterion Verlags 1980 abgelehnt: „Der Grund: Der Herausgeber, Walter Fromm, hatte einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik gestellt. Wie immer in solchen Fällen wurde dem Betroffenen nicht nur sein Arbeitsverhältnis gekündigt, sondern er wurde aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt. Der Herausgeber ließ daraufhin auf eigen Kosten 15 Exemplare des Manuskripts abtippen und verteilte die kartonierten Typoskripte unter den Autoren und befreundeten Literaturkritikern. In einem letzten Schritt wurde die Schreibmaschine vernichtet. Der Beweggrund dafür lag auf der Hand: Die rumänische Geheimpolizei, die Securitate, verfolgte Autoren auch über die Schrifttypologie von Schreibmaschinen. Seit Mitte der 1970er Jahre musste jeder, der eine Schreibmaschine besaß, beim Geheimdienst eine Schriftprobe mit Namen und Anschrift abgeben. Das Typoskript wurde deshalb auf einer Maschine aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs getippt, der Besitz einer solchen nicht registrierten Maschine durfte – erst recht nach dem Abtippen der Anthologie – nicht mit dem Urheber in Verbindung gebracht werden. Sie liegt heute tief vergraben in den Müllbergen Hermannstadts”.
Der Samstag war den Nachwuchsgermanisten vorbehalten, und zwar zehn Doktorandinnen aus verschiedenen Hochschulzentren mit Beiträgen zu ihren Forschungsthemen aus Sprache und Literatur an. Sie alle konnten mit ihren Beiträgen und den souveränen Antworten auf Fragen des Publikums überzeugen. Auch die Themenvielfalt war beeindruckend. Besonders interessiert zeigten sich die Zuhörer daran, mehr über den Einsatz „digitaler Tools” bei der Didaktisierung von Kinder- und Jugendliteratur zu erfahren.
Die germanistische Forschung hat Zukunft – an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt, in ganz Rumänien. Und sie hält auch im internationalen Vergleich stand. Wenn jemand durch diesen Bericht neugierig gemacht wurde, so muss er oder sie sich noch etwas gedulden. In der nächsten Ausgabe der Germanistischen Beiträge werden alle eingeschickten Vorträge gedruckt. Für das Nachwuchsforum wird es einen gesonderten Band geben.
Sunhild GALTER