Theaterpreisverleihung im Wiener Volkstheater / Von Ingrid WEISS
Ausgabe Nr. 2841
Wenn unzählige Theaterstars und -sternchen, Promis sowie Adabeis in glamourösen Roben oder fetzigen Outfits, die durch weiße Sneakers komplettiert werden, das Wiener Volkstheater stürmen, dann ist es wiederum soweit: die Verleihung des NESTROY ist angesagt. Dabei handelt es sich um den Wiener Theaterpreis, der seit dem Jahr 2000 jährlich vergeben wird.
Mit dem NESTROY-Preis werden heuer zum 24. Mal herausragende Leistungen an den Wiener und den anderen österreichischen Bühnen ausgezeichnet. Dazu gehören auch Eigenproduktionen der Frühjahrs- und Sommerfestivals wie beispielsweise auch die Salzburger Festspiele. Um zu dokumentieren, dass sich das österreichische, insbesondere das Wiener Theater als Teil der deutschsprachigen Theaterwelt versteht, wird der Preis für die „Beste Aufführung“ überregional vergeben.
Die diesjährige Preisverleihung fand am 5. November 2023 statt – veranstaltet vom Wiener Bühnenverein. Die Jury hatte viel Interessantes in der Saison 2022/23 aufgespürt und wieder eine bemerkenswert vielfältige Liste an Nominierten und Preisträgern zusammengestellt, die die beachtenswerte Bandbreite einer vitalen österreichischen Theaterlandschaft sichtbar machte.
39 Nominierte und zwei im Vorhinein fixierte Preisträger in 13 Kategorien standen am Abend im Mittelpunkt der glanzvollen Gala. Zwei Moderatoren des ORF führten charmant durch den Abend und für Interessierte daheim an den TV-Geräten übertrug der ORF die Preisverleihung live – nur etwas zeitversetzt.
Auch ich hatte heuer die Möglichkeit hautnah am Geschehen dabei zu sein, denn dafür gab es einen wichtigen Grund: Einer der zwei im Vorfeld fixierten Preisträger hieß Thomas Perle! Der Thomas Perle – „unser“ Thomas Perle! Er erhielt den NESTROY als Autor für das beste Stück: „karpatenflecken“ hatte im Mai des Jahres seine Uraufführung im Vestibül des Burgtheaters und ist zurzeit in Berlin on stage. Das Siegerstück ist primär eine Familiengeschichte. Der Autor porträtiert drei Generationen, die Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit aber auch Diskriminierung erfahren und sich konstant der Ungewissheit ihrer Zugehörigkeit stellen müssen. Eine raffinierte Europa-Reflexion und zugleich ein souverän-polyphones Sprachkunstwerk: künstlich und organisch, poetisch und doch bodenständig zupackend. Die Sprache: Zipserisch!
Die Laudatio für den gefeierten Preisträger hielt die Burgschauspielerin Elisabeth Augustin, die eine der tragenden Rollen in den „karpatenflecken“ verkörperte. Nach einer kurzen in Zipserisch vorgetragenen Einleitung zeichnete die Bühnenkünstlerin Parallelen zwischen zwei berühmten Autoren mit dem Vornamen Thomas: Thomas Mann und Thomas Perle! Thomas Mann gewann mit Buddenbrooks, seinem Familienstück über drei Generationen und Frühwerk den Nobelpreis – Thomas Perle gewann mit seinem Buddenbrook-artigen Stück, auch ein Familienstück drei Generationen betreffend und auch sein Frühwerk den Retzhofer Dramapreises 2019 und…..den NESTROY 2023. Augustin zog auch Bilanz über die schwierigen Proben am Theater um den Ansprüchen des Stücks und dessen Autor gerecht zu werden. Mit dem Statement stellvertretend für die Darsteller verrät sie das Erfolgsrezept des Dramas: „Wir (= die Schauspieler) haben gesucht, so lange, bis wir in Perles Welt angekommen waren.“ Eine zusätzliche Herausforderung war aber auch „die seltsame unerwartete Sprache, die in dem Stück teilweise vorkommt – an die haben wir uns mittlerweile gewöhnt und sie ist uns vertraut geworden.“ Sie betonte ausdrücklich die kulturelle Bedeutung des Zipserischen, das durch „karpatenflecken“ nicht in Vergessenheit geraten werde. Sie schloss mit einem kurzen Part aus diesem Erinnerungsstück, der Perles visionären Blick dokumentiert, aber einer Warnung gleichkäme: „..ein Land nach uns, nach unserer Zeit …“
Tosender Applaus begleitete den frischgebackenen Preisträger ins Rampenlicht der Bühne. Sichtlich ergriffen bedankte sich Thomas Perle bei seiner Familie, Freunden, Förderern und Weggefährten. Seine Dankesworte machten einen sensiblen Menschen sichtbar, der seinen Ethnien und seinem „Wurzelort“ treu verbunden geblieben ist. Thomas Perle hatte schon als Student in der Dramaturgie des Volkstheaters gearbeitet und stand nun im Mittelpunkt auf dieser Bühne. Voll ehrlicher Freude und ein wenig stolz nahm er den NESTROY 2023 entgegen. Für Perle ist diese Auszeichnung Ausdruck einer Wertschätzung seiner zehnjährigen Arbeit als Dramatiker und Autor. Aber, er weiß auch, dass dieser wichtige Theaterpreis Verantwortung bedeutet, nämlich gezielt und komplexer weiterzumachen! Denn, Theaterbühnen sind Teil eines kulturellen Erbes. Ferner sind sie Projektionsflächen aktueller Diskurse, dienen als Experimentierfelder, gestatten Konfrontation und geben Raum für Provokation.
Thomas Perle wurde durch den NESTROY 2023 als gefeierter Autor des besten Theaterstücks ins Scheinwerferlicht geholt, da seine herausragende künstlerische Leistung die Vielfalt und Relevanz des Theaters neu definiert.
Wir gratulieren herzlich!