Charismatische Präsenz

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Maia Morgenstern gastierte in Hermannstadt

Ausgabe Nr. 2843

Maia Morgenstern auf der Bühne des Gong-Theaters. Foto: Ovidiu MATIU

„Die charismatische Präsenz von Maia Morgenstern prägt die gesamte Vorstellung. Anfangs tritt sie als Sidy Thal auf, um danach im zweiten Teil in die Rolle von Corneliu Zelea Codreanu zu schlüpfen, und schließlich am Schluss erneut als Sidy Thal aufzutauchen.“ Das schreibt die Temeswarer Germanistin Dr. Eleonora Ringler-Pascu in der Banater Zeitung vom 17. November d. J. zur Uraufführung des Stückes SIDY THAL von Thomas Perle am Deutschen Staatstheater Temeswar in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Theater Bukarest, die am 4. November in Temeswar stattgefunden hat. Charismatisch erlebten auch die Hermannstädter die Schauspielerin und Intendantin des Jüdischen Theaters Bukarest am 12. November auf der Bühne des Gong-Theaters.

Sie spielte in gewohnt beeindruckender Manier „O lecție de bună purtare (Originaltitel „Une leçon de savoir-vivre”) von Jean-Claude Grumberg, der am 26. Juli 1939 in Paris geboren wurde, nachdem sein Vater, ein rumänischer Jude, sich vor dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich niedergelassen hatte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris wurde Grumbergs Vater deportiert und seine Mutter flüchtete mit den Kindern in das unbesetzte Vichy-Frankreich. Nach der Schule absolvierte Grumberg von 1953 bis 1957 eine Schneiderlehre, nahm nebenher Schauspielunterricht und spielte mit Amateurgruppen. Sein erstes aufgeführtes Stück war 1967 der Einakter „Michu, worin er sich mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzte. Ausgehend von Antisemitismus sind Rassendiskriminierung und Chauvinismus wiederkehrende Elemente in Grumbergs Werk, das zudem von ausgeprägtem Humor und theatralischer Wirkung geprägt ist.

Grumberg hat übrigens gemeinsam mit Constantin Costa-Gavras das Drehbuch für dessen Film „Der Stellvertreter (2002) verfasst, der zum Teil in Hermannstadt gedreht worden ist und in dem Marcel Iureș Papst Pius XII. und Ion Caramitru Graf Fontana spielen.

Zurück zu dem Monolog, den Maia Morgenstern auf der Bühne des Hermannstädter Gong-Theaters gespielt hat, zum Abschluss des „Jungen Festivals, das vom 2. bis 12. November Vorstellungen nicht nur für Kinder und Jugendliche zu bieten hatte.

Die Inszenierung der „Lektion in gutem Benehmen hatte am Jüdischen Theater Bukarest in der Regie von Alexandru Berceanu 2017 Premiere gefeiert. In diesem Jahr stand zufällig oder nicht die Neuauflage der Hasspamphlete von Louis-Ferdinand Céline (1894–1961) in Frankreich zur Debatte. Céline, der wegen seiner antisemitischen Ausfälle während des Zweiten Weltkriegs und seines Bekenntnisses zum Faschismus nach wie vor umstritten ist, erscheint den einen hassenswert, den anderen als einer der bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Grumberg entlarvt in seiner mitunter an die Schmerzgrenze gehenden Tragikomödie diesen Autor als das, was er ist. Daran lässt auch die Darstellung keinen Zweifel. Der Regisseur selbst erklärte: „Wer ist Céline, wer ist Drumont? Wer ist Montandon, Professor Doktor Montandon? Geheime Bücher, Verzerrspiegel. Eine Lektion in gutem Benehmen, mutig erteilt. Wenn man hinsieht, was der Autor aufzeigt, verwandeln sich der Aufschrei des Grauens in Lachsalven. Indem wir einige Seiten aus der Geschichte Rumäniens hinzufügen, möchten wir zu einer historischen Wiedergutmachung beitragen, lernen, unsere Dummen besser zu erkennen und uns fragen, wie lange wir sie noch in Frieden ruhen lassen dürfen.

Erschreckend ist, welche Register bekannte und weniger bekannte Schriftsteller und Journalisten gezogen haben, um ihre Fremdenfeindlichkeit im allgemeinen und ihren Judenhass im besonderen zu begründen. Grumberg entlarvt alle Begründungen und Argumente mit messerscharfer Genauigkeit, Maia Morgensterns Interpretation ist brillant und klar. Der Schlussmonolog ist auch ein Bekenntnis der Schauspielerin und Intendantin des Jüdischen Theaters Bukarest. Sie sei bloß eine Schauspielerin, eine Komödiantin und die Aufgabe von Schauspielern sei, das Publikum zu amüsieren. Also holt sie eine Torte aus dem Backofen und schmiert sich die Sahne ins Gesicht, fordert das Publikum auf, ebenfalls von der Sahne zu probieren. Das Publikum lacht nicht, aber es gibt minutenlangen Stehapplaus.

Man darf sich fragen und man darf hoffen: Vielleicht kommt das DSTT im Jahr seines 70. Gründungsjubiläums, also 2024, ja mit „SIDY THAL nach Hermannstadt.

Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.