Uneigennütziges gesellschaftliches Wirken

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Laudatio auf Paul Niedermaier – Empfänger der Honterusmedaille 2023

Ausgabe Nr. 2837

Prof. Dr. Paul Niedermaier bei seiner Dankesrede.   Foto: Cynthia PINTER

Die Honterusmedaille, mit der das Siebenbürgenforum und die Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien verdienstvolle Persönlichkeiten ehrt, wurde beim 33. Sachsentreffen in Keisd dem Städtehistoriker Prof. Dr. Paul Niedermaier verliehen. Lesen Sie im Folgenden die Laudatio auf Paul Niedermaier:

Heute hier, beim Sachsentreffen in Keisd, Paul Niedermaier zur Auszeichnung mit der Honte-rusmedaille beglückwünschen zu können, ist wahrhaftig eine große Freude! Die Frage ist zunächst: als was oder als wen feiern wir ihn? Als herausragenden Wissenschaftler, der auf ein jahrzehntelanges Forscherleben blickt und grundlegende Werke geschaffen hat? Als einen glaubensfesten Mann der Kirche, der ebenfalls über Jahrzehnte hin in wichtigen Funktionen ihre Geschicke mitgestaltet hat? Oder als geradliniges Mitglied der Gemeinschaft, das sich stets auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen der Verantwortung gestellt hat? Sicher feiern wir ihn für all das zusammen, für seine außergewöhnlichen Leistungen im Hauptberuf genauso wie für das erfolgreiche Engagement im Ehrenamt und für sein uneigennütziges gesellschaftliches Wirken. All dieses knapp zusammenzufassen ist angesichts der übergroßen Fülle eine gewisse Herausforderung.

Geboren wurde Paul Niedermaier am 25. Juli 1937 in Hermannstadt. Und so sehr ihn sein fachliches Interesse, seine gefragte Expertise, dann aber auch die Zerstreuung von Familie und Freunden auf unserem schönen Kontinent herumbrachten, so blieb sein Geburtsort doch stets das Zentrum seiner Biographie und seines Wirkens. Nach dem Abschluss der Mittelschule in Hermannstadt ging er mit 18 Jahren zum Architekturstudium nach Bukarest. Bereits während dieser sechs Jahre an der Ion-Mincu-Universität befasste er sich mit Architekturgeschichte, und der junge Architekt konnte nach einer vorübergehenden Anstellung in Temeswar schon 1963 wieder nach Hermannstadt ziehen: Im Laufe der acht Jahre seiner Tätigkeit am Brukenthalmuseum hatte er Gelegenheit, nachhaltig gestaltend etwa am Konzept des Freilichtmuseums im Jungen Wald mitzuwirken – aus einem zunächst eng geplanten Museum ließ er jene großzügige und wichtigen Erweiterungen bis heute Platz einräumende Anlage entstehen, die wir alle gut kennen und schätzen und die wir uns anders gar nicht vorstellen könnten. 1971 fand Paul Niedermaier den Weg in das Institut, an dem er künftig seinen Neigungen nachgehen und sich der Bau- und Siedlungsforschung widmen konnte, nämlich an das damalige Zentrum für Sozialwissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt. Hier intensivierte er seine Forschungsarbeiten und seine Doktorarbeit zum siebenbürgischen Städtebau entstand – eine grundlegende Monographie inklusive der Erarbeitung einer spezifischen Methodologie, die 1979 in deutscher Sprache parallel sowohl bei Kriterion in Bukarest wie auch in der Reihe „Siebenbürgisches Archiv“ des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde im Böhlau Verlag in Köln erschien. Damit ist neben dem Akademie-Institut zugleich ein zweites wissenschaftliches Standbein Niedermaiers genannt, denn schon seit den frühen siebziger Jahren war er dem Rechtsnachfolger des alten Landeskundevereins, 1962 in Heidelberg wiedergegründet, aufs Engste verbunden, trotz der oft schwierigen Verhältnisse über die damaligen Systemgrenzen hinweg.

In seiner Forschungsarbeit ließ sich Paul Niedermaier von politischen Vorgaben oder Einschränkungen nicht beeindrucken; er war sich nicht zu schade dafür, Forschungsergebnisse als Zeitungsserien zu publizieren, oder mitunter schrieb er auch für die Schublade für bessere Zeiten. Denn als gläubigem Menschen gehören für ihn Hoffnung und Zuversicht in jeder Situation zum eigenen Selbstverständnis dazu. Vor einer besonders starken emotionalen Herausforderung stand er daher 1987, als er zum Kurator der Hermannstädter evangelischen Kirchengemeinde gewählt wurde und der Apparat der Staatsmacht ihn in übelster Weise bedrängte. Er musste sich letztlich gegen seine Neigung und sein Gewissen und für den Broterwerb, seine Institutsstelle, entscheiden, eine Belastung, die ihm noch lange Jahre nachgehen sollte. Nach der politischen Wende konnte er sein Wissen und seine Tatkraft nicht allein der freien Forschung, sondern auch der Kirche widmen, indem er zunächst zum Hermannstädter Bezirkskirchenkurator gewählt wurde und 1999 das Amt des Landeskirchenkurators für neun Jahre übernahm; er machte damit noch einmal anschaulich, wie sich in Siebenbürgen Wissenschaft und Kirche noch immer in sehr harmonischer und fruchtbringender Weise zusammenfügen ließen.

Es war für ihn auch selbstverständlich, für das Hermannstädter Forum zunächst für den Stadtrat und dann für den Kreisrat zu kandidieren und die erworbenen Mandate mit Zuverlässigkeit und Umsicht wahrzunehmen. Aber Niedermaier hatte sich ganz bewusst dafür entschieden, in Siebenbürgen zu bleiben, wo er wichtige Aufgaben zu erfüllen sah; dafür hat er hohe private Opfer in Kauf genommen. Auch Schicksalsschläge blieben nicht aus, wie die materiellen Ver-luste während des Umsturzes im Dezember 1989 oder der Tod seiner zweiten Frau Astrid als Folge einer heimtückischen Krankheit. Auch hier war es die feste Verankerung im Glauben, die ihm stets von Neuem Halt und Richtung gab. Eine ganz besondere Freude war und ist es ihm, dass seine beiden Kinder nach einer gewissen Zeit der Etablierung in Deutschland ihre Wege zurück fanden und hier ein gemeinsames Vorhaben mit ihrem Vater umsetzen.

Was Paul Niedermaier nicht nur im Kreise seiner Landsleute, sondern in ganz Rumänien und in der wissenschaftlichen Welt bekannt machte, das waren und sind seine Forschungsarbeiten. Gleich nach der Wende begann er damit, sein grundlegendes dreibändiges Werk zum Städtebau Transsilvaniens, also Siebenbürgens, des Banats, des Kreischgebiets und der Marma-rosch, für den Druck vorzubereiten. Und wer diese Bände benutzt hat, weiß, wie enorm gehaltvoll sie sind und dass Niedermaier gar nicht anders kann, als interdisziplinär zu denken, zu forschen und zu schreiben: Es fließen hier Erkenntnisse des Architekten, des Bauhistorikers, des Historikers, des Siedlungs- und Demographieforschers, des Kunsthistorikers, des Wirtschaftshistorikers, ja selbst des Naturkundlers mit ein, wenn bei allem immer auch Klimadaten, Informationen zum Vegetationswandel oder zur Bodenbeschaffenheit berücksichtigt werden. Dass er sich zusätzlich noch Material aus der Sprachforschung beschafft und dieses in seine Überlegungen mit einbezieht, sei eigens betont. Was Niedermaiers Forschungsarbeit durchgehend auszeichnet, ist aber nicht nur die Verbindung vielfältiger fachlicher Disziplinen. Es ist ein deutlich über das eigentliche Siebenbürgen hinausweisender Blick, nämlich auf den gesamten Donau-Karpaten-Raum. Einerseits bezieht er dabei jene Regionen ein, die westlich benachbart in einem engen kultur- und siedlungsgeschichtlichen Zusammenhang mit dem Hochland innerhalb des Karpatenbogens stehen, also die Gebiete von der Unteren Donau über die östliche Pannonische Tiefebene bis hin zu den Waldkarpaten. Zugleich aber bezieht er auch den Norden, Osten und Süden, also was heute Ukraine, Moldau und Walachei heißt, in seine Betrachtung mit ein, da einerseits von dorther laufend neue Völkerschaften nach Westen und Süden und somit auch nach Siebenbürgen drängten, andererseits von hier heraus entscheidende Einflüsse in jene Gebiete hinein wirkten – es ist also eine ganzheitliche Betrachtungsweise dessen, was man als Überlappungs- und Beeinflussungsraum Mitteleuropas und Südosteuropas sehen kann. Besonders deutlich wird dies in seinem neuesten Buch „Siebenbürgen im südosteuropäischen Raum“ (siehe Bild oben rechts), einer Synthese seiner jahrzehntelangen Forschungen. Er zeichnet darin die gesamte, überaus komplizierte Siedlungsgeschichte unzähliger Völkerschaften vom Beginn des Hochmittelalters, also ab dem 9. Jahrhundert, bis zur Blütezeit der siebenbürgischen Städte im Spätmittelalter nach. Hier wird besonders anschaulich, wie sicher er die verschiedenen Disziplinen miteinander zu verbinden weiß und neue Techniken und Technologien wie etwa Satellitenaufnahmen oder die Archäogenetik in seine Auswertung mit einbezieht – wenn er etwa rekonstruiert, wann welche Hilfs- oder Teilvölker in bestimmten Gegenden und mit welchen Aufgaben angesiedelt wurden, wie die sich abwechselnden Machtblöcke etwa der Großmährer, der Bulgaren oder der Ungarn um das siebenbürgische Salz stritten und ein enges Geflecht an Verhauen und Grenzen anlegten, und wie schließlich erst an einem Endpunkt dieser difizilen Entwicklung die mittel- und westeuropäischen Hospites, die Vorfahren der Sachsen, in ein keinesfalls unbekanntes oder unbewohntes Land kamen – spannender kann Geschichte eigentlich kaum sein, zumal wir viele ihrer Reste bis heute mit Händen greifen können, wenn wir denn nur die Spuren mit Niedermaiers Hilfe zu lesen lernen. Eine Synthese dieser Intensität und Qualität hätte niemand anderer vollbringen können außer ihm!

Dass Niedermaier für seine akademischen Leistungen gewürdigt wurde, blieb nicht aus. 1994 übernahm er die Leitung des Hermannstädter Akademie-Instituts, das inzwischen Institut für Geisteswissenschaften genannt wurde. Seine beständige, unaufgeregte und kompetente Art ermöglichte dem Institut jene Etablierungsphase, derer es nach den Umbrüchen der Wendezeit bedurfte. Neben der Sicherung eines hoch motivierten Mitarbeiterstabes gelang ihm auch eine vorteilhafte räumliche Unterbringung des Instituts auf dem Gelände des ehemaligen Landeskirchlichen Lehrerseminars. Nachdem er bereits seit etlichen Jahren die Erlaubnis zur Betreuung von Promotionen hatte, erhielt er 1999 eine reguläre Professur an der Universität Hermannstadt und wurde 2001 zum korrespondierenden Mitglied der Rumänischen Akademie gewählt. Das war schon eine ganz besondere Ehre, denn vor ihm war sie unter den Siebenbürger Sachsen nur dem Komponisten Wilhelm Berger zuteilgeworden, während es im Laufe der Zeit einige sächsische Ehrenmitglieder gab. Niedermaiers fortgesetztes Wirken sowohl als Institutsdirektor wie als aktiver Forscher führte 2018 schließlich zur Ernennung zum Vollmitglied der Rumänischen Akademie – also einer bis heute wirklich einmaligen Ehre in sächsischen Kreisen, einmalig in jeder Bedeutung des Wortes. Im gleichen Jahr zog sich Niedermaier zwar in den Ruhestand und in ein kleines Arbeitsstübchen des Instituts zurück, aber er blieb alles andere als untätig. Unter anderem stellte er das in diesem Jahr erschienene und eben erwähnte neue Buch fertig, das inzwischen in rumänischer wie in deutscher Fassung vorliegt.

Doch zu seinen wissenschaftlichen Verdiensten gehört noch sehr viel mehr. Schon 1992 gründete Niedermaier die Städtegeschichtekommission Rumäniens, der er lange Zeit als Präsident vorstand und heute noch als Ehrenvorsitzender angehört.

Doch er war und ist natürlich noch Mitglied zahlreicher anderer Kommissionen und Gremien, etwa der Internationalen Städtegeschichtekommission, der Südostdeutschen Historischen Kommission, des Wissenschaftlichen Beirats des Siebenbürgen-Instituts, des Verwaltungsrats des Brukenthalmuseums oder der Stiftung Kirchenburgen. Und wer Gelegenheit hatte, mit ihm zusammenzuarbeiten, weiß, dass er diese Aufgaben in professioneller Weise sehr ernst genommen hat und bis heute nimmt.

Dabei gibt es, wie erwähnt, eine Einrichtung, zu der unser Preisträger in einer besonders innigen Beziehung steht: nämlich der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, traditionell Landeskundeverein genannt. Schon lange in der Vorwendezeit hatte er auf den Jahrestagungen des Arbeitskreises referiert und in dessen Schriftenreihe seine erste Monographie publiziert; direkt in der Wendezeit schaltete er sich in die Gründung einer Rumänien-Sektion des Arbeitskreises ein und leitete diese von 1994 bis zu deren Eintragung als Verein nach rumänischem Recht 2006. Er gehörte trotz aufwendiger Anreise stets zu den zuverlässigsten Teilnehmern an den Vorstandssitzungen des Arbeitskreises. Paul Niedermaier ist zudem Ehrenmitglied des Landeskundevereins, gegenwärtig das einzige überhaupt. Das ist natürlich nur eine von vielen Auszeichnungen, die Niedermaiers Wirken würdigen, darunter auch vier Orden und 15 Ehrendiplome. Neben dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis 2007 will ich vor allem zwei aus dem Jahr 2014 erwähnen: das vom deutschen Bundespräsidenten verliehene Bundesverdienstkreuz am Bande und die Ehrenbürgerschaft der Stadt Hermannstadt, denn diese beiden lassen einerseits seine feste Verwurzelung in seiner Heimatstadt wie auch andererseits sein weit ausstrahlendes Wirken, die Anerkennung hüben wie drüben, anschaulich werden.

Dass dazu nun die Honterusmedaille des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen und der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien als höchste Auszeichnung der in Siebenbürgenden lebenden Landsleute kommt, also in jener Region, für die sich Paul Niedermaier ganz bewusst entschieden und für die er Kraft, Können und Wissen eingesetzt hat, ist recht und würdig!

Dr. Harald ROTH

Direktor Deutsches

Kulturforum östliches Europa

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.