Ohrenbetäubende Funkstille

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Premiere mit Gorki an der deutschen Abteilung des TNRS

Ausgabe Nr. 2837

Aktuelles Familiendrama: Mit einer Adaption von Gorkis ,,Die Kleinbürger“ hat die deutsche Abteilung des Radu Stanca Nationaltheaters die erste Premiere der neuen Spielzeit herausgebracht. Unser Bild: Szenenfoto mit Daniel Bucher (Bessemjonow), Ioana Cosma (Tatjana), Ștefan Tunsoiu (Pjotr). Foto: Andrey KOLOBOV

Nach 121 Jahren und einigen Monaten als immer noch brandaktuell erwies sich das Drama ,,Die Kleinbürger“ von Maxim Gorki, das in der Adaption und in der Regie von Dumitru Acriș unter dem Titel ,,Die Meinen“ am 29. September d. J. an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters Premiere gefeiert hat. Das Stück wurde nämlich am 7. April 1902 anlässlich eines Gastspiels des Moskauer Künstlertheaters in Petersburg uraufgeführt.

Die Übersetzung ins Deutsche von August Scholz stammt aus dem gleichen Jahr. Die erste deutsche Premiere fand am 1. September desselben Jahres im Lobe-Theater in Breslau statt. Der Text der jüngsten Inszenierung an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters ist eine Adaption des Originaltextes von Gorki in rumänischer Sprache des Regisseurs Dumitru Acriș, die deutsche Übersetzung gestalteten die Schauspielerinnen und Schauspieler gemeinsam mit dem Leiter der deutschen Abteilung, dem Projektmanager Hunor Horváth, sozusagen während der Proben.

Szenenfoto mit Daniel Bucher (Bessemjonow), Fabiola Petri (Teterewa) und Johanna Adam (Akulina) (v. l. n. r.).               Fotos: Andrey KOLOBOV

Das Ergebnis lässt sich sehen und hören. Die Zuschauer werden auf die Bühne begleitet, wo sie auf Stühlen Platz nehmen dürfen, die in zwei Reihen um einen langen breiten Tisch aufgestellt sind. Das ist alles an Kulisse. Und kaum hat das Stück begonnen, herrscht ohrenbetäubende Funkstille. Alle brüllen, alle gestikulieren, heulen, reden aneinander vorbei. Alle tischen regelrecht auf und teilen mehr oder weniger offensichtlich nach links und rechts aus, nicht nur wie in der Originalfassung der Kirchensänger Teterew. Häme, Vorwürfe, Frust, Eifersucht, enttäuschte Erwartungen, das gesamte Paket an explosivem Stoff, der eine Familie irgendwann bersten lässt, wird ins Spiel geworfen. Es geht um Macht und Machtlosigkeit, Machtmissbrauch und Machtverlust. Hilferufe verhallen zunächst ungehört, ein Selbstmordversuch scheint die Familie wieder an den Tisch zu holen, doch das ist alles zu spät. Zum Schluss schiebt in revolutionärer Wut Ziehsohn Nil wie ein Eisbrecher den großen Tisch auseinander, stürmt auf seinen Ziehvater zu und das Publikum erkennt, dass das eigentlich kein einzelner Tisch ist, sondern dass dieser aus mehreren Tischen zusammengefügt ist.

Gyan Ros Zimmermann (Nil) und Ioana Cosma (Tatjana).

Der verzweifelte Familienvater versucht immer wieder, seine drei Kinder an den Tisch zurückzuholen, aber sie entgleiten ihm nach und nach und ihm entgleitet schön langsam alles. Seine Geduld ist am Ende, er ist verzweifelt, seine Frau versucht die Wogen zu glätten, es hilft alles nichts, der Generationenkonflikt, den Gorki seinerzeit auch als Konflikt zwischen Bürgertum und dem aufkommenden Sozialismus dargestellt hat, schwelt nicht mehr, sondern brennt richtig und verzehrt alles und alle. In der Inszenierung von Dumitru Acriș gibt es allerdings keine Gewinner.

Die erste Aufführung nach der Premiere findet am 2. November statt.

Beatrice UNGAR

 

Besetzung

Darsteller: Daniel Bucher, Johanna Adam, Ioana Cosma, Gyan Ros Zimmermann, Daniel Plier, Emöke Boldizsár, Fabiola Petri, Eva Frățilă, Ștefan Tunsoiu

Regie und Textadaption:

Dumitru Acriș

Regie- und Projektassistent:

Patrick Imbrescu

Übersetzung: das Ensemble

Projektmanager: Hunor Horváth

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.