„Autoren sind Sappeure“

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Zum Roman ,,Die rote Herzogin“ von Svetlana Lavochkina

Ausgabe Nr. 2839

Svetlana Lavochkina: Die rote Herzogin, Roman. Aus dem Englischen: Diana Feuerbach, Voland & Quist Verlag 2022, 128 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3863-91323-6.

Svetlana Lavochkina erzählt in ihrem Roman „Die rote Herzogin“ die Vorgeschichte zu ihrem viel diskutierten Buch „Puschkins Erben“, das 2013 mit dem Pariser Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Am Ende der 1920er Jahre in Zaporoschje in der Ukraine plant Stalin, den Dnjepr-Staudamm zu errichten, der das Hauptmerkmal und Prestigeobjekt der sowjetischen Industrialisierung darstellt. Chaim Katz wird zum Bauleiter ernannt und seine Frau Darja, die sich nach ihrer sorglosen Jugendzeit sehnt, in der sie noch eine Herzogin war, zur Propagandachefin. Inmitten der unheilvollen Atmosphäre von Verrat und drohenden Säuberungen plant die Ex-Herzogin einen Weihnachtsball, um ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben. Solche kontrarevolutionären Aktivitäten können nicht lange geheim gehalten werden und Darja Katz wird dafür einen erheblichen Preis zahlen müssen.

Zentral ist die Darstellung der Verhältnisse zwischen den Arbeitern und Direktoren des Dnjepr-Staudamms. Einer der außerordentlichen Sprüche unter den Arbeitern lautet: (…). Mein Großvater war der stärkste Kosake von Zaporoschje, er konnte mit seinem nackten Arsch einen Igel zerquetschen.” Es werden unter den Hauptamtlichen Intrigen geflochten und gedroht, Arbeitsakten zu veröffentlichen. Die Leserschaft wird auch ein Hinrichtungsprotokoll vor Augen geführt. Bereits am Anfang des Buches schreibt Lavochkina: Autoren sind Sappeure, die nach vergrabenen Bomben in Gedächtniserde suchen. Ihr Ziel ist dabei jedoch nicht, die gefundenen Bomben zu entschärfen, sondern in den Köpfen der Leser explodieren zu lassen.” Und die Bombe explodiert! Das Buch ist ein sprachgewaltiges und sinnlich pralles Portrait der Ukraine während des Roten Terrors sowie eine groteske Parodie von Menschenverachtung und Unfairness.

Es sollte beim Lesen des Buches im Kopf behalten werden, dass Stalin in den 1920er und 1930er Jahren versuchte, die traditionellen Bräuche und Feiertage der russischen Kultur durch kommunistische Ideologie zu ersetzen. Weihnachten und andere westliche Feiertage wurden als „bourgeois“ betrachtet und verboten. Die Menschen wurden ermutigt, sich auf die kommunistische Ideologie zu konzentrieren.

Svetlana Lavochkina schreibt und übersetzt Lyrik aus der ukrainischen und russischen Sprache. Gebürtig und aufgewachsen in der östlichen Ukraine, lebt sie derzeit mit ihrer Familie in Leipzig, wo sie als Lehrerin tätig ist.

Ljuba GÜNTHER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.