Zu berichten gäbe es für ihn genug

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Dorfschreiberpreis 2023 in Katzendorf posthum an Heinrich von Wlislocki verliehen

Ausgabe Nr. 2835

Heinrich von Wlislocki.

Der diesjährige Dorfschreiberpreis wurde am 16. September 2023 im Garten des evangelischen Pfarrhauses zu Katzendorf/Cața verliehen. Eingebettet in ein Wochenende voller kultureller Aktivitäten sollten die diesjährigen Feierlichkeiten von besonderer Qualität sein – nicht nur, aber wohl auch, weil sie voraussichtlich zum letzten Mal stattgefunden haben.

Darum sollte auch der Preisträger ein besonderer sein: Heinrich von Wlislockis publizistische Biografie ist geprägt von ethnologischen Studien zu verschiedenen Völkern Siebenbürgens, insbesondere über die Roma in der Region. Wer sonst könnte geeigneter sein, Dorfschreiber einer Siedlung zu werden, in deren „Țigănie“ bald mehr Menschen gezählt werden als in den alten Häusern der Sachsen, Rumänen und Ungarn? Und doch ist es neben seinem Interesse für die „anderen“ Siebenbürger ein weiterer biografischer Umstand, der ihn zu einem ganz besonderen Preisträger macht: Wlislockis Ehrung erfolgte posthum, denn er ist seit über hundert Jahren tot. Den Preis in Form eines vom Bukarester Bildhauer Daniel Răduță geschaffenen Katzenreliefs nahm stellvertretend eine kleine Gruppe von Roma aus dem Dorf entgegen. Normalerweise käme als Prämie noch ein Jahr lang freie Logis im Katzendorfer Pfarrhaus hinzu.

Frieder Schuller (rechts außen) begrüßte die Gäste im Pfarrhaus.                        
Fotos: Florian KÜHRER-WIELACH

Das kulturelle Rahmenprogramm, das vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München und vom Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen gefördert wurde, hatte Spiritus Rektor und Hausherr Frieder Schuller ganz auf den Preisträger und seine Lebenswelt ausgerichtet. Neben Filmen und hochqualitativen musikalischen Darbietungen, unter anderem von der bekannten rumänischen Sängerin Maria Răducanu, die mit einem breiten Spektrum von „ethno-jazzigen“ Liedern begeisterte, spielte die Literatur eine besondere Rolle. Der Berliner Literaturwissenschaftler Felix Latendorf referierte gleichsam zum Auftakt über „Oskar Pastior und den Topos der Multikulturalität“.

Am Samstag präsentierte Konrad Klein, der sich vor einigen Jahren intensiv mit der Biografie Heinrich von Wlislockis (1856–1907) auseinandergesetzt hat, die wichtigsten Stationen im Leben des in Kronstadt geborenen Ethnologen, Übersetzers und Sprachwissenschaftlers. Nach seiner Zeit als Schüler am Honterus-Gymnasium hatte dieser in Klausenburg studiert, musste sich aber nach dem Tod seines Vaters als Hauslehrer verdingen. Bald jedoch konnte er sich intensiver seiner Leidenschaft, der „Tsiganologie“ widmen, mitunter als „teilnehmend beobachtendes“ Mitglied eines Roma-Clans. Um diese Gruppe ein halbes Jahr begleiten zu dürfen, ging der Sohn einer Siebenbürger Sächsin und eines polnisch-österreichischen Finanzbeamten eine „Ehe auf Zeit“ mit einer Romni ein. Auf diese Weise in der Lage, „Aus dem inneren Leben der Zigeuner“ zu berichten, erwarb sich Wlislocki einen hervorragenden, bis in den englischen Raum wirkenden Ruf als Gelehrter.

Unweit der berühmten Eiche beim Dörfchen Streitford/Mercheașa

Dies bestätigte auch der Anglist und erste Dorfschreiber von Katzendorf Elmar Schenkel in seinem abendlichen Vortrag über die „Rezeption der ‚Zigeuner‘/Roma in der englischen Literatur“.

Neben seinen wissenschaftlichen Publikationen in renommierten internationalen Zeitschriften verdanken wir Wlislocki die Übersetzungen vieler Lieder und Gedichte aus dem Romanes ins Deutsche. Einige davon wurden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Katzendorfer Kulturtage ganz in der Nähe der berühmten Eiche beim Dörfchen Streitford/Mercheașa vorgetragen. Als offiziell „ältester Baum Rumäniens“ selbst eine Preisträgerin, gilt sie manchem als Zeugin der deutschen Besiedlung in der Region, auch wenn sie offenbar nichts darüber erzählen möchte. Offen bleibt zudem, ob Heinrich von Wlislocki beabsichtigt, seine ihm zustehende Prämie tatsächlich einzulösen und für ein Jahr als Wiedergänger in die Dorfschreiberklause des Pfarrhauses ziehen wird. Zu berichten gäbe es für ihn genug aus Katzendorf.

Florian KÜHRER-WIELACH

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.