Milan Radin ehrt in ,,Der Tormann“ Helmut Duckadam
Ausgabe Nr. 2833
Als Torhüter einen Strafstoß zu parieren ist schwierig, aber möglich. Als Torhüter jedoch vier Strafstöße hintereinander zu parieren gleicht einem wahren Wunder – und dann auch noch im Finale um den wohl wert- und ehrenvollsten Pokal, den es im Vereinssport auf der Welt gibt. Diese außergewöhnliche Leistung gelang am 7. Mai 1986 Helmut Duckadam, der damals für den Armeeklub Steaua Bukarest zwischen den Pfosten stand.
Gegen den glorreichen und hochdekorierten FC Barcelona, und noch dazu in Barcelona, erkämpften sich die Schützlinge von Steaua in Sevilla ein Elfmeterschießen, in welchem Helmut Duckadam, den zu jenem Zeitpunkt kaum einer kannte, alle Elfmeter parierte und Steaua Bukarest damit zum ersten osteuropäischen Europapokalsieger überhaupt krönte.
Unmittelbar nach dem Spiel in Sevilla geriet Duckadam jedoch in die Hände der rumänischen Staatssicherheit Securitate und sollte nie wieder für Steaua Bukarest, geschweige denn für einen anderen Profiklub, auf dem Rasen stehen.
In seinem von der Deutschen Akademie der Fußball-Kultur für das ,,Fußballbuch des Jahres 2022” nominierten Roman „Der Tormann“ erzählt Milan Radin auf etwa 400 Seiten die bewegte Geschichte des jungen Helmut Duckadam, kurz „Ducki“, der als Mitglied der deutschen Minderheit in Semlak/Semlac aufgewachsen ist. Die „Beriner und Gubaschen“ in Semlak waren zwei Untergemeinschaften der Banater Schwaben, die während des 19. Jahrhunderts größtenteils von Ungarn aus nach Rumänien siedelten. Duckadam war einer von ihnen. Radin schildert jene Umsiedlung im Epilog des Romanes anschaulich und skizziert die einfachen und teilweise prekären Lebensbedingungen, mit welchen die Siedler im kommunistischen Rumänien zu kämpfen hatten. Der Krieg stets vor der Tür. So hatte es auch der junge Helmut nicht gerade leicht, im Bereich des professionellen Fußballs Fuß zu fassen. Sein unermüdlicher Ehrgeiz und seine Begabung für das Torwartspiel sollten ihn allerdings schon bald zu UTA Arad und anschließend zum Armeeklub Steaua führen.
Milan Radin nimmt die Leserinnen und Leser auf „Duckis“ Reise mit und trifft währenddessen eine Vielzahl an zeitgeschichtlichen Einordnungen rund um die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in den Ländern, welche in Duckadams Laufbahn relevant waren. So spielen nicht nur Rumänien, sondern auch Österreich, Ungarn und Deutschland eine Rolle in der Erzählung. Der Fußball selbst nimmt in Radins Roman zwar eine zentrale, aber keine übergeordnete Rolle ein. Nicht zuletzt durch die gezielte Verwendung des Semlaker Dialekts bekommt der Roman auch einen humorvollen Charakter.
Die unausweichliche Präsenz des kommunistischen Regimes zu Schaffenszeiten Duckadams wird spätestens unmittelbar nach dem Triumph über den FC Barcelona erkenntlich. Nach kleineren disziplinarischen Auffälligkeiten gerät er in die Hände des Befehlshabers Nicolae Ceaușescu höchstpersönlich und taucht endgültig ab.
Der Roman von Milan Radin ist weitaus mehr als nur die stumpfe Biographie eines Fußballers. Er ist eine Zeitreise durch die gesamte jüngere osteuropäische Geschichte und bringt eindrucksvoll die Grausamkeit und Skrupellosigkeit des Systems zu Tage.
Samuel HÖRMANN