,,Das Missverständnis“ ist erste Premiere der Spielzeit
Ausgabe Nr. 2834

Szenenfoto mit Marius Turdeanu und Cendana Trifan. Foto: TNRS
„Was man nicht kennt, kann man leichter töten.“ Eigentlich sollte man beim Hören dieser Worte zusammenzucken, doch die monotone Art, wie sie ausgesprochen werden, lassen einen kalt. Ein eintöniger Dialog folgt dem nächsten, und es gibt keinen Blickkontakt zwischen den Gesprächspartnern. Martha und ihre Mutter sind die beiden Hauptgestalten in dem Theaterstück „Neînțelegerea“ (Das Missverständnis) von Albert Camus, das in der Regie von Bobi Pricop am 15. September, auf der Bühne des Radu-Stanca Nationaltheaters in Premiere aufgeführt und als erste Premiere an der rumänischen Abteilung in dieser neuen Spielzeit gefeiert wurde.
Gefühllos und fast regungslos sitzen die beiden Schauspielerinnen Cendana Trifan und Diana Văcaru-Lazăr auf den minimalistischen von Bühnenbildnerin Oana Micu gestalteten Möbeln. Ab und zu unterbricht der im Hintergrund stumm spazierende Page – gespielt von Pali Vecsei – das Geschehen. Alles auf der Bühne ist in Grautönen gehalten, die Schauspielerinnen selbst sind ganz in schwarz gekleidet und die live gefilmten Dialoge werden auf zwei großen Bildschirmen schwarz-weiß gezeigt. Sogar die Musik im Hintergrund ist nichtssagend, wie Fahrstuhlmusik, die keine Emotionen auslösen und eher hypnotisierend wirken soll. Die düstere Atmosphäre und eintönig gehaltenen Gespräche – die eher wie dahingeleierte Monologe rüberkamen – sollten die Aussichtslosigkeit ihres Lebens ausdrücken. Leise sprechen sie, trotz Mikroports, zeigen keine Gesten, nur feinste Seelenregungen.

Cendana Trifan und Diana Văcaru-Lazăr in einer ähnlichen Mutter-Tochter-Szene aus dem Stück „Mamă“ (Regie: Mariana Cămărășan). Foto: Mihaela PETRE
Martha will raus aus dem Grau, aus dem ewig verregneten Ort, in dem sie mit ihrer Mutter lebt, will ans Meer, wo die Sonne ständig scheint. Um ihren Traum zu erfüllen, benötigen die Frauen, die ein schlecht besuchtes Hotel führen, viel Geld. Da sie sich nicht anders zu helfen wissen, bringen sie ihre Gäste um, um mit ihrem Geld ein neues Leben anfangen zu können. Doch dann kommt der lang verschollene Sohn/Bruder Jan – gespielt von Marius Turdeanu – nach Hause. Er ist in Algerien vermögend geworden und hat Maria – gespielt von Raluca Iani – geheiratet. Entgegen dem Rat seiner Frau, gibt er sich als Fremder aus, um sich seine Familie zunächst anzusehen und herauszufinden, wie er sie am besten glücklich machen kann. Seine Mutter erkennt ihn nicht, da sie schlecht sieht und aus Erfahrung weiß, dass man diejenigen, die man nicht ansieht, besser töten kann. Jan schickt seine Frau fort, da er zunächst mit seiner Familie sein möchte. In der Nacht vergiften Mutter und Tochter Jan – nicht um dessen Identität wissend – und werfen ihn in den nahegelegenen Fluss.
Albert Camus hat das Theaterstück „Das Missverständnis“ (franz. Le Malentedu) 1943 in Le Chambon-sur-Lignon geschrieben, die Uraufführung fand 1944 statt. Die finster absurde Geschichte taucht bei Albert Camus bereits als Zeitungsbericht in seinem Roman „Der Fremde“ auf.
Der fade Fernsehrealismus, wird durch den Auftritt des verschollenen Sohns gebrochen – der auch visuell in hellem beige-farbenem Anzug gekleidet ist – dessen Gespräch mit seiner Frau Maria sehr viel emotionsreicher gespielt wird. Die beiden Frauen – Mutter und Martha – zeigen erst spät Gefühlsregungen, als sie erfahren, wen sie eigentlich ermordet haben. Aber dann kann man als Zuschauer die schauspielerische Meisterleistung von Cendana Trifan durch den großen Bildschirm hautnah miterleben. Jede Träne, jede Falte im Gesicht – die Schauspieler waren alle ungeschminkt – übertrug sie unheimlich klar und in HD auf den Zuschauer, der mitlitt und fast so etwas wie Mitgefühl für die ewig unglückliche Frau empfinden konnte. Der Stehapplaus zum Schluss galt vor allem Cendana Trifans Performance aber auch der Aufführung selber, die trotz Eintönigkeit keine Sekunde langweilig war.
Die jüngste Theaterpremiere des Radu Stanca-Nationaltheaters zeigt durch „Neînțelegerea“ eine Metapher über das „Missverständnis“ zwischen den Mitgliedern einer Familie, die die Konflikte, aber auch die Mittel zur Rettung einer Welt im Ausnahmezustand widerspiegelt. Die nächste Vorstellung ist für den 19. Oktober, 19 Uhr, geplant.
Cynthia PINTER