Mensch und Bär: Eine gefährliche Symbiose

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Unterwegs im Bärengebiet Rumänien / Von Samuel HÖRMANN

Ausgabe Nr. 2827

Diese Bärin sitzt am Straßenrand unweit der Nordseite des Vidraru-Stausees, beim genaueren Hinsehen sind auch ihre beiden Jungen auszumachen, die hinter ihr im Wald auf der Lauer liegen.

Rumänien ist Bärengebiet, insbesondere die Karpaten. Das sollte jeder Urlauber wissen, der das Land zum ersten Mal bereist. Braunbären gehören zu den mächtigsten und gefährlichsten Tieren der Welt, ähnlich wie der Mensch stehen auch sie an der Spitze jeder Nahrungskette und haben keine natürlichen Feinde. Besonders in touristischen Gebieten nähern sich Mensch und Bär jedoch immer weiter an und verlieren die Scheu voreinander. Dieses Verhalten hat für die friedliche Koexistenz von Mensch und Bär schwerwiegende Folgen.

In den Sommermonaten herrscht Hochbetrieb auf der Transfogarascher Hochstraße südöstlich von Hermannstadt. Touristen von nah und fern möchten die spektakuläre Passstraße auf eigene Faust erkunden. Auf 151 Kilometern Länge verbindet die Hochstraße Siebenbürgen mit dem Argeș-Tal in Südrumänien und quert dabei die Fogarascher Berge, eine Gebirgsgruppe der Südkarpaten. Nicht zuletzt wegen der endlosen Serpentinen, zahlreicher spektakulärer Aussichtspunkte und Wasserfälle sowie dem malerischen Bulea-Gletschersee wird die Transfogarascher Hochstraße in Reiseführern und sozialen Medien oft als „eine der schönsten Straßen der Welt“ bezeichnet. Doch neben all den Fotos, welche die unverkennbare Schönheit der Landschaft und die spektakuläre Straßenführung zeigen, findet man im Internet auch zahlreiche Bilder von Braunbären, die scheinbar friedlich auf der Straße oder am Straßenrand in der Sonne sitzen und auf die vorbeifahrenden Autos warten. Denn mit den Autos verbinden die Tiere, von denen es in Rumänien schätzungsweise knapp 8.000 Exemplare gibt, Nahrung. Zahlreiche unwissende Touristen halten bei den Bären an und schmeißen ihnen etwas zu Essen hin. Einige besonders Furchtlose steigen sogar aus dem Auto aus und posieren für ein einmaliges Instagram-Foto. Es scheint, als haben die Menschen den Respekt vor den Bären verloren, und andersherum ebenso.

Zwei Bärenjunge beim Herumtollen am Straßenrand.  
Fotos: Samuel HÖRMANN

Natürlicherweise haben Bären nämlich großen Respekt vor dem Menschen. Mit ihrem ausgezeichneten Geruchs- und Gehörsinn können sie Menschen schon aus mehreren Kilometern Entfernung wahrnehmen und vermeiden den Kontakt. Menschen stehen naturgemäß nicht auf der Speisekarte des Bären, eher im Gegenteil: Bären sind größtenteils Vegetarier und ernähren sich vorwiegend von Beeren, Früchten, Pilzen und Nüssen. Fleisch gibt es eher selten. Der Kontakt zum Bären wird für den Menschen meist nur dann gefährlich, wenn sich das Tier bedroht fühlt, etwa wenn es eine Gefahr für seine Jungen sieht. Diese Szenarien kommen zwar nicht alltäglich, aber regelmäßig vor. Wie aus mehreren übereinstimmenden Medienberichten hervorgeht, fielen im Zeitraum von 2016-2021 in Rumänien 14 Menschen einem Bärenangriff zum Opfer, 158 weitere wurden verletzt. Somit ist auch das Füttern eines Bären am Straßenrand – und sei er noch so niedlich und friedlich – stets eine für den Menschen hochgefährliche Angelegenheit, denn man weiß nie, wie der Bär gerade gelaunt ist.

Das Füttern der Bären durch Touristen birgt aber neben der Gefahr für den Menschen auch große Gefahren für das Tier selbst. Denn während Bären normalerweise den ganzen Tag durch den Wald streifen und mit ihrem natürlichen Jagdinstinkt und Essverhalten zum Erhalt des Ökosystems beitragen, entwickeln die Tiere in den touristisch erschlossenen Gebieten völlig neue und abnormale Verhaltensweisen. Die Bären gewöhnen sich an die großzügigen Touristen und machen ihre tägliche Nahrungsaufnahme von den netten Geschenken der Menschen abhängig. Sie verlieren schnell ihren „Jäger- und Sammlerinstinkt“ und damit auch die Fähigkeit, autonom im Wald zu (über-)leben. Hinzukommt, dass die Tiere sich an den außergewöhnlich guten Geschmack der „Snacks“ gewöhnen, die ihnen die Touristen nun mal so hinwerfen, dabei verlieren sie allerdings den Appetit auf jene Nahrungsquellen, welche sie natürlicherweise im Wald finden und plündern können. Ein gebratenes Steak schmeckt nun mal einfach besser als der Kadaver eines Kaninchens und Schokolade noch süßer und intensiver als Blaubeeren oder Preiselbeeren – das empfinden auch die Braunbären so.

In einigen touristischen Regionen haben sich die Bärenpopulationen von den Menschen fast schon vollständig abhängig gemacht. Das führt auch dazu, dass die Tiere entgegen ihrer natürlichen Haltung die Nähe zum Menschen suchen. Immer häufiger kommt es vor, dass Bären an den Rändern von Städten und Dörfen auftauchen, dort Müllcontainer durchsuchen oder sich in Tiergehegen verselbstständigen. Auch Begegnungen mit den Menschen sind nicht ausgeschlossen. Und auch, wenn die Bären ihren Jagdinstinkt verloren haben und die Menschen mitleiderregend um Nahrung anflehen, sind und bleiben sie eines der mächtigsten und gefährlichsten Raubtiere der Welt.

Dass Braunbären in den Karpaten so zahlreich beheimatet sind, weist auf ein äußerst gleichgewichtiges und intaktes Ökosystem der Natur in Rumänien hin. Ein Phänomen, das es in Zeiten des Klimawandels nur noch selten gibt und welches es zu schützen gilt.

Samuel HÖRMANN

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Umwelt.