Historisch gegenwärtig

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Uraufführung von Perle-Stück in der Steiermark

Ausgabe Nr. 2829

Szenenbild von der Uraufführung.
Foto: Philipp RIRSCH / Griessner Stadl

Im Stadl-Predlitz wurde am 10. August das Stück ,,PROTESTANTEN vertreibung aus der heimath“ von Thomas Perle uraufgeführt. Wo ist dieses Stadl-Predlitz? Nicht weit entfernt von Murau, im westlichen Teil der Steiermark, in Österreich. Obwohl nur eine 357-Seelen-Gemeinde gilt sie als kultureller Hotspot, weil es da den Griessner Stadl gibt. Im süddeutschen und österreichischen Sprachraum bezeichnet man eine Scheune oder einen Heuboden als Stadl. Es handelt sich dabei um ein landwirtschaftliches Gebäude, das aber bereits nördlich von Österreich und Bayern Speicher heißt.

In Ordnung, aber in Österreich gibt es sicherlich unzählige solcher Stadln, was ist da so interessant? Es handelt sich dabei um einen für die heutige Landwirtschaft nutzlos gewordenen historischen Stadl aus dem Jahr 1767, der 2015 zu einem multifunktional nutzbaren Veranstaltungsraum umgebaut wurde. Seit dieser Zeit beheimatet er den Kunstverein Stadl-Predlitz und dessen weit über die Landesgrenzen künstlerisch beachtenswerten Veranstaltungen. Der Kunstverein Stadl-Predlitz wurde als Verein für Kunst, Kultur, Begegnung und Dialog im ländlichen Raum gegründet. Ziel der Vereinsaktivitäten ist eine Erweiterung und Belebung der regionaltypischen Kunst- und Kulturszene.

Thomas Perle (rechts) im Gespräch mit HZ-Mitarbeiterin Dr. Ingrid Weiss.                  
Foto: Heinz WEISS

Er wurde 2015 von dem Ehepaar Anita Winkler, Tierärztin, und Ferdinand Nagele, Schauspieler, aus der Taufe gehoben. Es finden dort Kulturveranstaltungen verschiedener Genres statt, darunter spektakuläre Glanzlichter wie Elfriede Jelinek-Uraufführungen. Schlagwörter wie „Heimat, Kunst, Radikal“ weisen auf einen unkonventionellen Weg hin, der Vorbehalte gegenüber zeitgenössischer Kunst nicht mehr gestattet.

So ähnlich klang das Telefonat zwischen meiner norddeutschen Freundin Wiebke und mir, als ich ihr einen Tag vor meiner Abreise erzählte, dass ich wegen einer Uraufführung nach Stadl-Predlitz reisen würde. Selbstverständlich wollte sie als kunstaffiner Mensch spontan Details wissen, doch die konnte ich ihr nicht geben. Obwohl aus einer rein katholischen Familie stammend, geht mir der Titel des Theaterstücks bei näherer Betrachtung bereits unter die Haut: ,,PROTESTANTEN vertreibung aus der heimath“. Der Autor des Stücks: Thomas Perle. Ganz richtig, der Thomas Perle von den „karpatenflecken“, der Thomas Perle, der zurzeit in Temesvar als Stadtschreiber wirkt, ja und derselbe Thomas Perle, der für seine Prosa und Dramatik bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.

Die Spannung steigt, als ich mit dem Autor kurz vor der Uraufführung einige Worte wechseln kann. Dieses Stück hat Perle als Auftragswerk für den Griessner Stadl verfasst. Bevor ich aber nach dem ,,Warum?“ frage, erklärt mir Thomas Perle in einigen Schlagwörtern die geschichtlichen Zusammenhänge: Maria Theresia, katholische Kirche, brutale Zwangsumsiedlungen von evangelischen Bürgern – wohl eines der dunkelsten Kapitel des Oberen Murtals soll hier nicht in Vergessenheit geraten: vor 250 Jahren (1773-1776) wurden auch die protestantischen Bewohner des Ortes Stadl-Predlitz vertrieben, die sich im Zuge der Gegenreformation geweigert hatten, sich dem „catholischen“ Glauben zuzuwenden und ihrem evangelischem Bekenntnis abzuschwören. Sie wurden von den damaligen Behörden mit unfassbarer Härte und ohne sie als Menschen wahrzunehmen nach Siebenbürgen zwangsausgesiedelt.

Machen wir einen kurzen geschichtlichen Abstecher in diese Zeit: Wer hatte diese Gräueltaten zu verantworten? Wer gab den Vertretern der katholischen Kirche Machtbefugnisse mit uneingeschränkter Rückendeckung?

Maria Theresia, die niemals den Titel Kaiserin innehatte, da sie als Frau die römisch-deutsche Kaiserwürde nicht bekleiden durfte. Maria Theresia wird bis dato speziell in Österreich als dem Allgemeinwohl verpflichtete, liebevolle Landesmutter gesehen. Sie fühlte sich – wie ihre Vorgänger – von Gottes Gnaden eingesetzt. Maria Theresia empfand die Schriften der Aufklärer als „ekelhaft“, war der katholischen Kirche ohne Wenn und Aber verbunden und brachte immer wieder ihre antijüdischen und antiprotestantischen Ressentiments zum Ausdruck – mit handfesten grausamen Folgen, wie der Aussiedlung von Protestanten.

„dieser stadl   stand zeuge   schaute zu“ wie die Menschen ihre Höfe verlassen mussten, wie Familien auseinandergerissen wurden, wie Kinder den Eltern weggenommen wurden, wie diese Kinder katholischen Zieheltern übergeben oder in katholische Waisenhäuser eingewiesen wurden, wie Menschen trotzdem ihren Glauben standhaft verteidigten.

Diese Menschen nahmen sowohl all ihren Mut zusammen als auch die unermesslichen körperlichen sowie seelischen Qualen auf sich, denn sie hofften auf ein freies Leben in der Ferne – für und mit ihrem Glauben!

Thomas Perle erzählt die Geschichte anhand einer Familie: eine katholische Mutter, die ihrem Glauben trotz Zweifel treu bleibt sowie treu geblieben ist, obwohl sie dadurch den Mann an die neue Heimat verloren hatte „doch konnt nit. konnt nit weg. mußt bleiben hier katholisch ich.“

Deren Tochter wiederum muss ihr Neugeborenes zurücklassen, da sie dem Vater ihres Kindes – „wann ihr aus dem klaren wort gottes, welches christus und die apostel gelehret, die falschheit meines glaubens zeiget,
so will ich umkehren
anders nit!“ – in die neue Freiheit folgen will und sie das nicht gemeinsam mit ihrem Baby dürfen. So heißt es: „s’bündl mueßt laßn hie
s kommt zu guetthen k a t h o l i s c h e n eltern bleibet
in der steiermark!   nit mein barbara!
laßt mir mein kind
acht täg ist’s
 was sollß ohn’ muetther? das duerfth ihr nit! gib’s her
dein kätzerpruth     niemols! her sag ich her damit!“

Parallel dazu zeigen Staat – symbolisiert durch die allgegenwärtige, auch auf der Bühne hoch oben thronende Herrscherin Maria Theresia – und Kirche ihre perfiden Machtstrukturen.

Aufgrund der bewusst als Chor in Szene gesetzten virtuosen musikalischen Sprachkunst und der Verdichtung auf einige Figuren, gelingt es dem Autor perfekt die Dramatik dieser Vergangenheit im Jetzt fühlbar zu machen. In dieser Inszenierung nimmt Regisseur Martin Kreidt die Schauspieler indes kurzfristig aus ihren Rollen heraus, um sie in Chorszenen eindrucksvoll als Erzähler zu etablieren. Das karge Bühnenarrangement unterstreicht das meisterhafte Spiel des Ensembles – verstärkt durch den vorgegebenen, fragmentierten Text.

Da die Zuschauer von dem Theaterstück gleichzeitig überwältigt und betroffen waren, erlaube ich mir hier spontan eine Anregung für das nächste Hermannstädter Internationale Theaterfestival (FITS) im Sommer 2024 einzubringen: ,,PROTESTANTEN vertreibung aus der heimat“, mit dem Autor Thomas Perle vor Ort und gleichzeitig perfekt in Szene gesetzt von steirischen Nachkommen dieser Landler, wäre ein toller Beitrag zeitgenössischer Theaterkunst – historisch, gegenwärtig.

Ingrid WEISS

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Geschichte, Theater.