Ein lebendiger Widerspruch

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Streiflichter von einem Wochenende in Bukarest

Ausgabe Nr. 2826

Nicht nur architektonisch ein Gegensatz: Die Bărăția, die älteste römisch-katholische Kirche in der rumänischen Hauptstadt (links) und das von Grund auf sanierte Cocor-Kaufhaus, heute eine Mall (rechts).
Foto: Samuel HÖRMANN

Wochenendtrip gefällig? Befindet man sich in Hermannstadt und ist gewillt, einen tieferen Einblick in die rumänische Kultur zu erlangen, bietet sich eine Reise in den Süden des Landes an. Denn dort liegt die fast 2 Millionen Einwohner starke Hauptstadt Rumäniens: Bukarest.

 

Die Anreise gestaltet sich gerade für Frühaufsteher unkompliziert. Jeden Tag fährt ein Nachtzug aus Budapest nach Bukarest. Der Zug hält kurz vor 6 Uhr am Morgen in Hermannstadt – auch wenn man Verspätungen durch die Zollkontrollen von Ungarn nach Rumänien einkalkulieren sollte. Nun steht eine knapp sechs stündige Fahrt zur Endhaltestelle, dem Bukarester Nordbahnhof, an. Endlich angekommen, kann man die Vielfalt und Diversität der osteuropäischen Metropole entdecken. ,,Klein Paris”, wie Bukarest genannt wird, zeichnet sich durch die charmante Innenstadt aus, die an die französische Hauptstadt erinnert. Das Leipziger Viertel liegt im Zentrum Bukarests und wurde nach Händlern aus der ostdeutschen Stadt benannt, die dort ihre Waren in der Hauptstraße verkauften. Neben dem schönen Flair der engen Passagen gibt es hier auch etliche gute Essensmöglichkeiten. Es ist jedoch empfehlenswert, einen starken Willen mitzubringen, denn vor fast jedem Restaurant warten Personen, die eifrig-penetrant Kundenakquise betreiben und sie überreden wollen, unbedingt in ihrem Essenslokal zu dinieren. Ein einfaches ,,Nein” ist ihnen meistens zu wenig – entfliehen Sie aus diesem Grund der Situation so schnell wie möglich und lassen Sie sich zu keiner Diskussion hinreißen.

In der osteuropäischen Metropole lassen sich jedoch nicht nur Schnittpunkte mit Frankreich entdecken – auch deutsche Kultur wird hier durch das ,,Lipscani“ (Leipziger Viertel) repräsentiert.

Nach einem verheerenden Erdbeben am 4. März 1977 verordnete Diktator Nicolae Ceausescu eine ,,Kernsanierung“ der Stadt, bei der viele alte Gebäude abgerissen wurden.

Überhaupt finden sich in Bukarest verschiedenste architektonische Stile, von den neoklassizistischen Gebäuden des 19. Jahrhunderts bis hin zu den neumodischen Bauten aus dem 20. Jahrhundert. Flaniert man eine halbe Stunde durch Bukarest wird man unweigerlich mit dem riesigen Konglomerat aus verfallenen Gebäuden, Prunkarchitekturen und hochmodernen Strukturen konfrontiert.

Besonders sehenswert ist hier vor allem der riesige Parlamentspalast, das schwerste Gebäude der Welt. Eine Tour durch den 1989 hier eingerichteten Sitz der beiden Parlamentskammern, der Abgeordnetenkammer und des Senats, ist relativ erschwinglich und sehr lohnenswert. Aber auch der Triumphbogen, die schon erwähnte Altstadt oder auch die neue St. Georgskirche sind einige von vielen Anlaufstellen, die man in Bukarest aufsuchen sollte. Einen kleinen Geheimtipp stellen die etlichen Parkanlagen in der Stadt dar – gerade außerhalb des Zentrums erlebt man sonst im städtischen Lärm eine unerwartete Ruhe mit einer entspannenden Atmosphäre. Ein guter Ausgleich zum sonst so präsenten Verkehrslärm. Bukarest liegt in Bezug auf das Verkehrsaufkommen weltweit auf Platz 7. Aus diesem Grund muss man sich auch auf den sehr ineffizienten öffentlichen Nahverkehr einstellen. Während die U-Bahn sehr verlässlich, aber nicht wirklich viele Stationen in der Stadt abdeckt, sind Bus und Straßenbahn hier eher nicht zu empfehlen. Also muss man sich auf viele längere Spaziergänge einstellen, um zu gewünschten Stellen in der Stadt zu kommen. Dort bekommt man auch die klaffende Schere zwischen Arm und Reich zu spüren. Auf der einen Seite ein Luxusgeschäft, auf der anderen Seite ein Straßenkind. In Bukarest leben schätzungsweise 1000 Straßenkinder – Armut ist an jeder Ecke sichtbar.

Wenn die Sonne untergeht, beginnt das sehr aktive Nachtleben in Bukarest (siehe auch HZ Nr. 2825/21. Juli 2023). Gerade die Innenstadt und die Sehenswürdigkeiten sind sehr schön beleuchtet und bieten sich für einen nächtlichen Spaziergang an. Aber auch für Partygänger gibt es etliche Alternativen. Hier ist die Musikrichtung Techno hoch im Kurs – der Kristal Glam Club gehört zu den bekanntesten Nachtclubs Europas.

Bukarest ist vielschichtig und spannend. Ein ewiger Widerspruch: arm und reich, ruhig und laut, neumodisch und altertümlich, glamourös und schlicht. Alleine dieser Facettenreichtum ist einen Besuch wert.

Robert MILITZ

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Tourismus.