Katholische Heilige Messe zum Auftakt der 800-Jahr-Feier der Michelsberger Burg
Ausgabe Nr. 2824
Ins 13. Jahrhundert versetzt wurden die Pilgerinnen und Pilger, die am Samstagabend zur Michelsberger Burg aufgestiegen waren, um gemeinsam eine katholische Messe in lateinischer Sprache zu feiern, die ,,Heilige Messe zu Ehren der Heiligen Engel“. Die evangelische Kirchengemeinde A. B. Michelsberg hatte die römisch-katholische Kirchengemeinde Hermannstadt intra muros dazu eingeladen, um so den Auftakt zur 800-Jahr-Feier der Burg auf dem ,,mons sancti Michaelis“, dem Berg des Heiligen Erzengels Michael, gebührend zu gestalten. Auch am Tag darauf stand das 13. Jahrhundert im Mittelpunkt.
Bei der Anfahrt gut sichtbar ist die an der Ringmauer angebrachte Zahl 800 für alle, die durch den Kathreinenwald nach Michelsberg fahren. Bei dem Aufstieg erblickt man sie erst wenn man fast schon den Burghof betritt.
Die romanische Basilika auf dem Berg war bis auf den letzten Platz besetzt, alle Altersklassen und auch unterschiedliche Konfessionen waren vertreten. Alle hatten am Eingang durch das wunderschöne Hauptportal eine Broschüre mit dem Ablauf der Heiligen Messe in vier Sprachen – lateinisch, rumänisch, deutsch und ungarisch – gedruckt von der ,,Parœcia Catholica Romana Sanctissimæ Trinitatis Cibinii intra muros“ (die römisch-katholische Pfarrei Heilige Dreifaltigkeit Hermannstadt innerhalb der Stadtmauern) aus Anlass der 800 Jahre Michelsberg.
Die Pilgerinnen und Pilger begrüßte zunächst Ortspfarrer Zorán Kézdi in drei Sprachen, deutsch, rumänisch und ungarisch. Hier einige Auszüge aus der deutschen Begrüßung: ,,Es ist mir eine sehr große Freude euch alle, heute hier an diesem so besonderen Ort, auf der Michelsberger Burg, begrüßen zu dürfen. Was wir heute erleben dürfen, ist ein historisches Ereignis.
Denn in den letzten 500 Jahren hat an diesem Ort keine katholische, lateinische Messe stattgefunden. Nach der Auflösung der Zisterzienserabtei in Kerz, beziehungsweise nach der Einführung der Reformation unter den Siebenbürger Sachsen, war diese frühere dem Erzengel Michael geweihte Kirche eine Fluchtburg für die Michelsberger Bevölkerung. Erst in den letzten Jahren wurde sie gelegentlich auch als liturgischer Raum für evangelische Gottesdienste und Andachten genutzt. (…) Unsere Herkunft und persönlichen Prägungen, unsere Biografien und Traditionen, unsere Motivationen und Sehnsüchte, mögen wohl unterschiedlich sein. Aber unsere Richtung und Ausrichtung, unser Ziel ist gemeinsam. Viel entscheidender ist, dass wir auch gemeinsam unterwegs sind, zumindest auf einigen Wegstrecken. Jeder von uns hat sein eigenes Tempo, jeder hat sein eigenes Gepäck.
Unterwegs können wir so viel voneinander lernen und Gutes füreinander tun. Wir erfahren Gemeinschaft, wir können uns ermutigen und trösten, wir teilen miteinander ein Stück des Weges, das Mitgebrachte, die Freude über das erreichte Zwischenziel, aber auch die Erschöpfung und die Wunden, die uns der Weg zugefügt hat und können uns gegenseitig auch Gepäck und Lasten abnehmen, immer das gemeinsame Ziel vor Augen habend.
Wir danken euch, liebe katholische Geschwister, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid, und dass wir in der Vorbereitung dieses Gottesdienstes eine so gute Zusammenarbeit gehabt haben.
Wir respektieren zutiefst die Ordnungen der katholischen Kirche und wissen, dass zur heiligen Kommunion nur deren Mitglieder zugelassen werden. Zugleich danken wir für die Möglichkeit, mit auf der Brust gekreuzten Händen einen persönlichen Segen empfangen zu dürfen.
Auf unserem Pilgerweg hierher lag viel Freude und Segen. So segne unser Herr auch diesen Gottesdienst und danach auch die Wege, die uns in den Alltag zurückführen. Er stärke unsere Beine für unseren weiteren Weg, er öffne uns die Augen für die Gnade, die wir täglich aus seiner Hand empfangen, er schärfe unseren Blick und unser Ziel und er weite unser Herz für unsere Mitmenschen.“
In der Homilie in deutscher Sprache richtete Kaplan Attila Bojtor folgende Worte an die Anwesenden: ,,Die Tatsache, dass unsere Vorfahren zahlreiche Berge nach dem Hl. Erzengel Michael benannt und auf diesen Bergen Michaelskirchen gebaut haben, sagt uns etwas über die Art und Weise, wie Gott mit dem Menschen in Beziehung tritt, und auch darüber, wie der Mensch mit Gott in Beziehung steht und lebt. Sie sagt uns, dass für unsere Gottesbeziehung, für unsere Gotteserfahrungen unsere physische Welt, unsere physische Umgebung durchaus wichtig ist. (…) Oft erfahren wir unsere Körper, die gesund oder krank sein können, unsere Umgebung, die bequem oder unbequem sein kann, unsere menschlichen Beziehungen, die gelungen oder schmerzhaft sein können, als Begrenztheit, als Schwäche; als ein Ausdruck davon, dass wir nicht sein können, wer, wie, und wo wir sein möchten: als ein Mangel an Freiheit.
Wenn wir aber auf einen Berg, auf einen Michaelsberg hinaufsteigen, dann bewältigen wir etwas, und auf dem Gipfel fühlen wir uns plötzlich frei: eine breite Landschaft öffnet sich vor unseren Augen, die wir überschauen können, die uns unterworfen ist: wir fühlen uns erleichtert, unsere großen und kleinen Leiden erscheinen in einem anderen Licht von hier oben. Das ist aber kein Gefühl von Selbstgenügsamkeit, Selbstzufriedenheit, oder besser gesagt, es ist nicht nur das: zugleich sehen wir ein wie unendlich klein wir eigentlich in dieser Welt sind, wie sehr wir dankbar sein können, dass wir es auf den Berg hinauf geschafft haben. Das alles weist auf etwas hin, was eigentlich kein etwas, sondern jemand ist; auf jemanden Allmächtigen. Es weist auf den Sieg des Erzengels Michael hin, durch den Gott die Welt und die Weise wie wir sie wahrnehmen ständig und immer wieder verwandelt.
Die Engel Gottes, denen wir hier auf dem Berg in unserem Gebet begegnen, umgeben den herrlichen Menschensohn (siehe: Joh 1,51), der zugleich Sohn Gottes und Sohn Mariens ist, der Gott in unser Leben leibhaft hineinbringt, und unser Leben mit all seiner Begrenztheit in Gott hineinbringt. Wenn wir nach dieser Begegnung wieder vom Berg hinabsteigen, dann haben wir eine Sendung: mitten in dem Raum und in der Zeit den Sieg Gottes über Raum und Zeit zu verkünden; mitten in der Begrenztheit die Präsenz des Unendlichen, die Allmächtigkeit der selbsthingebenden Liebe immer wieder zu erleben und durch dieses Erleben immer weiter zu verbreiten.“
Im Anschluss an die Messe lud die Michelsberger evangelische Kirchengemeinde zu Hanklich, Kaffee und Tee ein. So auch nach dem ersten der insgesamt acht (für jedes Jahrhundert ein Konzert) Konzerte der Reihe ,,Michelsberger Spaziergänge“ am Sonntag danach, bestritten von der Schola Gregoriana Siculeni (Madéfalvi Schola), die im gleichnamigen Dorf im Kreis Harghita – ungarisch Madéfalva – 2013 von András Ványolós gegründet wurde und von ihm geleitet wird. Ihr gehören heute bis zu 25 Personen an, die überwiegende Mehrzahl von ihnen Kinder. Aber auch drei Erwachsene, die der Schola Gregoriana zehn Jahre zuvor als Kinder beigetreten waren, sangen in Michelsberg mit.
Die gediegene Eröffnungsveranstaltung wurde von Kulturministerin Raluca Turcan beehrt.
Zu Gehör gebracht wurde Musik aus dem 13. Jahrhundert und im Anschluss hielt der renommierte Mediävist Prof. Dr. Konrad G. Gündisch einen Vortrag zum Thema ,,Michelsberg im 13. Jahrhundert“ in rumänischer Sprache. Die deutsche Kurzfassung lesen Sie auf dieser Seite.
Beatrice UNGAR
Michelsberg im 13. Jahrhundert
Im Dezember 1223 begann für König Andreas II. von Ungarn das 20. Jahr seiner Regierung, das mit dem Tod von König Emmerich am 30. November 1204 begonnen hatte. Er stellte kurz danach eine Urkunde aus, die nur mit dem Geburtsjahr des Heilands und dem Herrschaftsjahr des Königs datiert war, ohne den genauen Monat und Tag der Veröffentlichung anzugeben. Dieses gegen Ende des Jahres 1223 ausgestellte Dokument ist sozusagen die Geburtsurkunde von Michelsberg, die erste urkundliche Erwähnung, die wir in diesem Jahr feiern. Wie jede andere Geburtsurkunde, zeugt auch sie von einem Ereignis, das nach der eigentlichen Geburt stattfand, in diesem Fall vor mehreren Jahren. Der Michaelsberg, die Kirche und die dazugehörigen Ländereien existierten bereits: zunächst gehörten sie der um 1190 gegründeten katholischen Propstei von Hermannstadt, dann König Andreas II. (der sie im Tausch gegen das Gut Probstdorf erhielt), und der sie dann dem Magister Gocelinus schenkte. Die eigentliche ,,Geburt“ von Michelsberg fand irgendwann nach 1190 statt, auch wenn das älteste Zeugnis, das bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt wurde, ein Denar ist, eine Münze, die während der Herrschaft von König Stephan III. (1162-1172) geprägt wurde.
Das Dokument erwähnt ausdrücklich nur die Kirche auf dem Michaelsberg und die dazugehörigen Ländereien, nicht das Dorf selbst. Aber können Sie sich eine Kirche ohne Gemeindemitglieder, Ländereien ohne Landwirte, folglich eine Kirche und eine Gemarkung ohne Dorf vorstellen? Selbst wenn es kein Dorf gäbe – was mir absolut unwahrscheinlich erscheint – wäre die Feier des 800. Jahrestages der ersten Erwähnung von Michelsberg völlig gerechtfertigt, da es sich um ein Gebäude und ein Grundstück auf dem Gebiet dieser Ortschaft handelt. Wir feiern also zu Recht den 800. Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung von Michelsberg!
Die Gemarkungsbegehung dieser Schenkung ist sehr genau und es würde sich lohnen, sie zu rekonstruieren, entweder während einer anstrengenderen Exkursion oder mit Hilfe von GoogleMaps. In der Hattertbeschreibung erkennt man einige heute noch bekannte Namen: Götzenberg, Bäresbach, „villa Ruetel“ (untergegangene Siedlung auf der Gemarkung von Heltau), die Weinberge der „villa Hermanni“ (Hermannstadt), die „insula Christiani“ (Großau).
Das Dokument lässt auch weitere Rückschlüsse auf die Geschichte von Michelsberg im 13. Jahrhundert zu, unter anderem auf die Geschichte der Architektur: Die Bergkirche – ein wunderbarer romanischer Bau mit Rundbögen – wurde wahrscheinlich Ende des 12. Anfang des 13. Jahrhunderts erbaut, ist also älter als die nach 1220 errichtete Abteikirche von Kerz – ein ebenso wunderbarer Bau im Zisterzienserstil, der in Siebenbürgen mit seinen erst angedeuteten Spitzbögen den Übergang von der Romanik zur Gotik markiert.
Der Name des Bauherrn, des gelehrten Klerikers Magister Gocelinus/Josselin – der wahrscheinlich im Gefolge der Königin Jolanthe de Courtenay aus einer Nebenlinie des französischen Königsgeschlechts der Kapetinger nach Ungarn kam – weist auf die Gruppe der „Latini“ aus Nordfrankreich und Wallonien (heute Belgien) hin, die sich unter den Deutschen niederließen, die während der Herrschaft von König Géza II. (1141-1162) aus den Gebieten des Heiligen Römischen Reiches nach Siebenbürgen gerufen wurden. Repräsentative wallonische Persönlichkeiten sind u. a. der Ritter Johannes Latinus aus der benachbarten villa Ruetel oder der comes Nicolaus, Sohn des Conradus von Talmesch. Diese Gruppen deutscher, flämischer und wallonischer Siedler, die sich hinsichtlich ihrer geografischen Herkunft und ihres sozialen Status unterschieden, wuchsen im 13. und 14. Jahrhundert zur Gruppe der Siebenbürger Sachsen.
Der Schutzpatron der Bergkirche, der heilige Erzengel Michael, spielt eine besondere Rolle in der historischen und kirchlichen Entwicklung der siebenbürgischen Wojwodschaft. Er wird gleichermaßen in der christlichen, jüdischen und muslimischen Religion verehrt. In der Offenbarung des Johannes wird er als siegreicher Kämpfer gegen den Teufel dargestellt. In ganz Europa, dem östlichen wie dem westlichen, galt Michael als Beschützer der Kirchen, als Wundertäter und Friedensengel. Gestern wurde während der römisch-katholischen Messe – einer zutiefst bewegenden Feier und einem Zeichen gelebter Ökumene – zur Gabenbereitung folgender Vers gesungen: „Wir bitten Dich, Christus, den Engel des Friedens Michael an diesen Ort herabzusenden, damit durch sein häufiges Kommen alles für uns gedeihen möge.“ Wie aktuell ist doch die Anrufung eines Friedensengels in Zeiten des Krieges in unserer Nachbarschaft! Die Liturgie wurde in lateinischer Sprache gesungen, der Sprache, die in dieser Kirche auch vor 800 Jahren verwendet wurde.
1199 erwähnte Papst Innozenz III. die „flämischen Priester im Gebiet des heiligen Michael“, also in der Diözese Siebenbürgen, deren Patron der Erzengel bis heute ist. Mehrere Ortschaften Siebenbürgens tragen seinen Namen, zahlreiche Kirchen sind ihm geweiht. Der heilige Michael steht als Kirchenpatron an vierter Stelle unter den siebenbürgisch-sächsischen Kirchen, nach Maria, Nikolaus und Martin. Die Wahl Michaels als Patron des Doms zu Weißenburg/Alba Iulia weist auch auf den Einfluss der orthodoxen Kirche in der Frühzeit des mittelalterlichen Königreichs Ungarn hin.
Für das 13. Jahrhundert ist keine weitere Schriftquelle zur Geschichte von Michelsberg erhalten geblieben. Bekanntlich wurden Hermannstadt und die Kerzer Abtei während des Mongolensturms von 1241-42 verwüstet. Auf dem Michaelsberg wurde bei archäologischen Grabungen eine Brandschicht freigelegt, die auf diese Zeit datierbar ist.
Eine Urkunde aus dem Jahr 1264 gibt Aufschluss über den sozialen Status der Bewohner jener Dörfer, die der Kerzer Zisterzienserabtei gehört haben, demnach auch der Michelsberger: Sie wurden von der kostspieligen Pflicht befreit, den Wojwoden und Adlige zu beherbergen und fiskalisch den Einwohnern der Hermannstädter Grafschaft gleichgestellt, denen König Andreas II. im Jahr 1224 einen umfassenden Freibief ausgestellt hatte. Somit waren sie keine Hörigen, sondern weitgehend freie Menschen, die als „Leute des Klosters“ für die Zisterziensermönche arbeiteten. Allerdings waren sich nicht jenem Personenkreis gleichgestellt, für den alle Freiheiten des Andreanischen Privilegs galten.
Das 13. Jahrhundert markiert also nicht nur den Eintritt von Michelsberg in das Licht der historischen Quellen, sondern auch den rechtlichen und sozialen Status seiner Einwohner in den folgenden sechs Jahrhunderten. Es ist daher nur angemessen, dass wir es jetzt, nach nicht weniger als 800 Jahren, hier feiern.
Konrad GÜNDISCH