Zwei Dichterfreunde in Bukarest

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Petre Solomons ,,Paul Celan – die rumänische Dimension“ auf der Leipziger Buchmesse

Ausgabe Nr. 2816

Die Buchvorstellung auf der Leipziger Buchmesse war sehr gut besucht.

Im April 2023 kam ,,Paul Celan – Die rumänische Dimension“ im Berliner Verlag Edition Noack & Block heraus. Die rumänische Erstausgabe veröffentlichte 1987 der Kriterion-Verlag Bukarest. Von Petre Solomon geschrieben auf Anregung von Ovid S. Crohmălniceanu, nachdem Solomon 1984 die Teilnahme am Celan-Kolloquium in Cerisy-la-Salle auf Wunsch von Gisèle Lestrange, Celans Witwe, verweigert wurde. Solomon beleuchtet das aktive literarische Leben in Bukarest nach Ende des Zweiten Weltkriegs, eine bis dahin nie so detailliert beschriebene Station im östlichen Leben von Celan. Petre Solomon lebte von 1923 bis 1991 in Bukarest, mit einer kurzen Unterbrechung in Palästina von 1944 bis 1946. Solomon übersetzte u. a. Werke von Balzac, Shakespeare, Byron oder Twain ins Rumänische und veröffentlichte eigene Gedichtbände sowie Monographien, und er war einer der engsten Freunde von Celan in dessen Bukarester Zeit.

Zur Buchmesse gab es ein Gespräch mit Alexandru Solomon, Dokumentarfilmer und Sohn Petre Solomons, er hat, inspiriert von den Erinnerungen seines Vaters, den Dokumentarfilm „Duo für Paoloncel und Petronom“ gedreht. „Paul Celan – Die rumänische Dimension“ wurde von Maria Herlo übersetzt und herausgegeben. Ingrid Baltag hat diese Übersetzung intensiv überarbeitet und mit zahlreichen Fußnoten versehen.

An der Buchvorstellung und dem anschließenden Gespräch waren außer Alexandru Solomon auch die Schriftsteller Ernest Wichner und Jan Cornelius beteiligt. Schon im Vorfeld der Leipziger Buchmesse, hatte eine Buchvorstellung im Haus für Poesie in Berlin stattgefunden.

Während dieser Veranstaltung wurde der Film „Duo für Paoloncel und Petronom“ von Alexandru Solomon (1994, 28 Minuten) gezeigt, ein Essay über die Kraft der Poesie und Freundschaft zwischen Paul Celan und Petre Solomon.

Petre Solomon: Paul Celan – Die rumänische Dimension. Erinnerungen – Einflüsse – Prägungen. Übersetzt und herausgegeben von Maria Herlo, Edition Noack & Block Berlin, 314 Seiten, ISBN: 978-3-86813-155-0, 25 Euro.

„1947 tauchte in Wien ein junger Mann auf, der sich Paul Celan nannte. Er kam buchstäblich aus dem Nichts“, behauptete zum Beispiel Milo Dor, ein österreichischer Journalist, kurz nach dem Tode Celans“, schreibt Petre Solomon. Auch er kam aus diesem lapidar als Nichts bezeichneten geographischen Raum und hat mit Paul Celan als Übersetzer im Verlag Cartea Rusă gearbeitet, 1946/47.

Die Celanforschung im Westen hatte dieser Zeit kaum Beachtung geschenkt, Petre Solomon wollte eine Leerstelle füllen und schrieb über die rumänische Dimension im Leben und Werk des Dichters Paul Celan, geboren 1920 als Paul Pessach Antschel, der einmal gesagt hat: „Aber ich hatte, das war vor langer Zeit, Freunde, die Dichter waren: Das war zwischen 45 und 47 in Bukarest. Ich werde sie nie vergessen.“

Nina Cassian war damals eine junge Dichterin, die ihre Freunde nicht nur mit Bartok, Debussy oder Silvestri am Klavier unterhielt, in ihrem Salon wurde das bei Surrealisten beliebte Frage- und-Antwort-Spiel praktiziert.

Einige Beispiele: „Was ist die Einsamkeit des Dichters? – Eine im Programm nicht angekündigte Zirkusnummer“; „Was ist ein Duell?“ –  Ein tiefer Schlaf in einem verfaulten Buchenwald.“; „Was ist ein Zug, den du verpasst? – Ein Taschentuch, das immer noch winkt.“

Paul Celan hat dieses Frage-Antwort-Spiel notiert, Petre Solomon hat es aufbewahrt. Wie Celan wusste er genau, was Exil bedeutet, das Getrenntsein von der Sprache, in der er dichtete. Ausführlich schildert er die ausgelassene Sensibilität von Celan auch in der rumänischen Sprache. „Ich glaube Paul fand seinen eigenen spezifischen Rhythmus erst in Bukarest – vielleicht wäre er auch andernorts in Erscheinung getreten – Tatsache ist, dass er ihn hier entdeckt und sowohl auf Rumänisch, als auch auf Deutsch mit ihm experimentiert hat. Die Erklärung dafür, selbstverständlich ist es nicht die einzige, sehe ich im lebendigen Kontakt des Dichters mit den Praktiken des Surrealismus.“

Celan übernahm das Poetische, Traumhafte, die Nacht und das Mysteriöse, den verbalen Humor, die Freiheit der Phantasie von den rumänischen Surrealisten um Gellu Naum. Aber nicht ihre Bewegung, sondern die geistige Stimmung faszinierte ihn, schreibt Solomon und spricht von der Öffnung des entstehenden Werkes von Paul Celan in alle Himmelsrichtungen und viele Sprachen, denn er war „ein Dichter mit mehreren Wurzeln und ein großer Entwurzelter“.

Als Reaktion auf den Stalinisierungsprozess in Rumänien begann Celan im Frühjahr 1947 seine Flucht nach Wien vorzubereiten. Im Dezember überquerte er die rumänisch-ungarische Grenze. Einige Texte blieben bei Petre Solomon, dem Übersetzer der „Todesfuge“, veröffentlicht als ,,Tangoul Morții“ (Todestango) im Mai 1947 in der 1. Ausgabe der Zeitschrift Agora, die sofort verboten wurde. Eine Wiederbegegnung jenseits des im Buch zitierten Briefwechsels der Freunde ergibt sich erst 1966 und 1967 in Paris, wenige Jahre später begeht Paul Celan Selbstmord.

„Bevor sein Leben in der Seine mündete, hatte Celan die Geografie und die gegenwärtige Historie des europäischen Kontinents durchquert wie einen lyrischen Fluss, je nachdem mit gegensätzlicher oder komplementärer Elektrizität geladen. Vielleicht war diese elektrische Aufladung zu stark, als dass sie von einem einzigen Menschen getragen werden konnte. Vielleicht war seine letzte Geste von Beginn an in das Schicksal eines entwurzelten Dichterdaseins eingeschrieben.“

Nina Cassian und Petre Solomon haben 1973 Gedichte ihres Freundes ins Rumänische übersetzt für einen Band im Bukarester Univers-Verlag, sie wollten auch die wenigen auf Rumänisch verfassten Gedichte Celans einfügen, aber die Witwe gab nicht die Erlaubnis.

Nach ihrer Emigration in die USA, hat Nina Cassian Lyrik des wichtigsten Dichters deutscher Zunge des 20. Jahrhunderts ins Englische übersetzt. Derzeit entsteht eine Neuübersetzung des Gesamtwerkes von Celan ins Rumänische. Wer Celans Leben in Bukarest und dessen Nachwirkungen in seinem Werk entdecken möchte, dem sei das an Erinnerungen und Analysen reiche Buch von Petre Solomon dringend empfohlen, egal ob er sich für Poesie oder Zeitgeschichte erinnert.

Grit FRIEDRICH

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.