700 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung von Kleinscheuern
Ausgabe Nr. 2818
Am 5. Mai waren es genau 700 Jahre her seit 1323 Gräf Michael von Salzburg einen Teil der untergegangenen Siedlung Ringelkirch seinem Bruder, dem Gräfen Alardus von Salzburg verkaufte. Pleban Johannes von „Parvo horreo“ (Kleine Scheuer) stimmte dem Kauf zu. Das ist die erste urkundliche Erwähnung von Kleinscheuern. Zu diesem Anlass wurde zwischen dem 4. und 7. Mai in Kleinscheuern gefeiert. Zwischen dem 12. und 15. August soll noch einmal gebührend gefeiert werden, so dass auch die ausgewanderten Sachsen mitfeiern können. Im Rahmen der Feier wurde u. a. auch die zweisprachige Ortsmonografie von Kleinscheuern vorgestellt, die von Martin Rill herausgegeben wurde. ,,Eine so lange Geschichte ist nicht selbstverständlich“, sagte Bischof Reinhart Guib in seiner Predigt.
Bischof Reinhart Guib wies in seiner Predigt darauf hin, dass die Spuren einer romanischen Basilika bereits aus dem 13. Jahrhundert stammen. So müsse es auch eine Gemeinde gegeben haben, die diese Kirche erbaut habe, und die Geschichte Kleinscheuerns dürfte noch ein Stück weiter zurückgehen. Wie es auch in der biblischen Geschichte heiße, so habe auch Kleinscheuern böse und gute Zeiten erlebt. Es habe Überfälle gegeben durch verschiedene feindliche Truppen, darunter jene von Szapolyai, Michaels des Tapferen oder der Kuruzen.
Auf eine Zeit des Aufblühens sei die große Auswanderungswelle gefolgt, so dass die evangelische Kirchengemeinde heute nur noch 13 Seelen zähle. Das solle allerdings kein Grund sein, den Kopf hängen zu lassen. Durch den Neppendorfer Gemeindeverband lasse sich dieser Verlust ertragen. Weiterhin sei das Rehabilitationszentrum vom Blauen Kreuz Teil des ehemaligen Pfarrhofes. So eine lange Geschichte sei allerdings nicht selbstverständlich: Es gebe viele Gemeinden, die längst eingegangen sind, sei es durch feindliche Überfälle oder Krankheiten.
Eine kleine Gemeinde, die Scheuern heißt, gibt es übrigens heute noch im Auswanderungsgebiet der Siebenbürger Sachsen, dem damaligen Bistum Trier und Köln. Etwa zwei Drittel der sächsischen Ortsbezeichnungen in Siebenbürgen sollen aus der alten Heimat mitgenommen worden sein.
Vor zwei Jahren machte Martin Rill den Bürgermeister Valentin Ristea auf die Gelegenheit aufmerksam, 700 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung von Kleinscheuern zu feiern und dieser fand es seinerseits gut, dass man auf ein Fest hinarbeitet. Das wurde dann konkreter im vorigen Jahr, als infolge einer Initiative von Rill ein Ausschuss gegründet wurde, in dem u. a. auch die Heimatortsgemeinschaft (HOG) Kleinscheuern vertreten ist, um ein Konzept aufzustellen, wobei man sich für die zwei Feiern entschied, so dass im Sommer auch die ausgewanderten Sachsen mitmachen können, die am 15. August ihr Gemeindefest feiern.
Eingeleitet wurden die Anfang Mai stattgefundenen Feierlichkeiten bereits am Donnerstag, dem 4. Mai mit der Veranstaltung in der Gymnasialschule zum Thema ,,Schule in Vergangenheit und Gegenwart“. Am Freitag, den 5. Mai, auf den Tag genau, an dem vor 700 Jahren Pleban Johannes von „Parvo horreo“ Zeuge war, fand eine außerordentliche Sitzung des Gemeinderates in der evangelischen Kirche statt, bei der es für die Anwesenden auch einen geschichtlichen Rückblick auf die Gemeinde gab. Am Samstag erfolgte die Vorstellung der zweisprachigen Ortsmonografie von Kleinscheuern. Ansprachen hielten Bürgermeister Valentin Ristea, Präfekt Mircea Crețu, Direktor der Kulturdirektion Dan Nanu, Historiker Ioan Opriș sowie der Historiker und Herausgeber der Monografie, der gebürtige Kleinscheuerner Martin Rill, der anschließend die Gäste durch die zweisprachige Open-air-Ausstellung ,,Reise durch die Vergangenheit der Gemeinde Kleinscheuern” führte. Es geht dabei um 24 Tafeln, auf denen die Geschichte, angefangen mit den archäologischen Funden und bis zur heutigen Entwicklung präsentiert wird. Die Ausstellung kann das ganze Jahr auf dem Marktplatz in Kleinscheuern besichtigt werden.
Dann folgte ein Konzert von ,,Trei Parale“ und dann ein geselliges Beisammensein, musikalisch untermalt von Ileana Rotaru auf der Harfe.
Am Sonntag folgte ein Festgottesdienst des Gemeindeverbands Neppendorf, in dem Bischof Reinhart Guib predigte und der von Dechant Dietrich Galter und Diakon Heinrich Rosinger mitgestaltet wurde. Anschließend wurde eine Linde vor der Kirche gepflanzt. Besichtigt werden konnte in der Kirche auch eine Ausstellung mit Skulpturen von Ovidiu Topârcean und Malereien von Ioan Brădeanu. Für musikalische Untermalung sorgte am Sonntag nach dem Gottesdienst die Neppendörfer Blaskapelle.
Eine Monografie von Kleinscheuern wurde schon 2004 nach viel Recherche veröffentlicht, allerdings damals nur auf Deutsch, wobei der Schwerpunkt auf den deutschen Einwohnern lag.
,,Es war mir ganz wichtig, dass diese neue Monografie erstens einmal eine zweisprachige Monografie wird”, sagte Rill zur neuen Ortsmonografie von Kleinscheuern. Einerseits lebten zurzeit wenige deutschsprachige Ortsbewohner in Kleinscheuern und andererseits sei das Mitarbeiterteam erweitert worden. Ein Kleinscheuerner namens Gheorghe Șioneanu studierte Geschichte in Hermannstadt und war behilflich z. B. betreffend die rumänische Volkstracht oder die rumänischen Bräuche. Einiges wurde kürzer gefasst, anderes wiederum erweitert.
Auch die Recherche wurde etwas erweitert. Z. B. wurde im Staatsarchiv Hermannstadt inzwischen eine Urkunde gefunden, eine Konskription, also eine Steuererhebung von 1697, wo zum ersten Mal urkundlich sieben rumänische Familien erwähnt werden, die in Kleinscheuern ansässig sind. In der ersten Monografie war eine Urkunde von 1721 angegeben.
In der Monografie ist nun auch eine Abbildung der heute im Ungarischen Landesarchiv in Budapest befindlichen Originalurkunde des Weißenburger Kapitels zu sehen, in der Kleinscheuern als „Parvo horreo” zum ersten Mal erwähnt wird.
In der Ortsmonografie ist auch ein Foto von einem Ausgrabungsteam zu sehen, zu dem auch Rill gehört. Rill war schon immer von Geschichte passioniert. Im ersten Jahr als er Geschichte studierte, wurde damit begonnen, westlich vom evangelischen Friedhof einen Sportplatz anzulegen. Bei diesen Arbeiten kamen Funde, schöne Gefäße, Verzierungen zutage, eine bronzezeitliche Kultur, die in Siebenbürgen Wietenberg genannt wird. Er sammelte die Funde ein und gab sie beim Brukenthalmuseum ab.
So kam es, dass er dann im Brukenthalmuseum als junger Student einen Einblick in ein auf Deutsch verfasstes Inventar hatte, wo er einen römischen Goldring verzeichnet fand, der 1887 bei Kleinscheuern auf einem Acker zwischen Steinen gefunden wurde. Er fragte Vater und Großvater und andere und über viele Gespräche im Dorf erfuhr er, wo sich der Acker, auf dem dieser Goldring gefunden wurde, befand.
,,Im Frühjahr bin ich einmal diesen Weg abgegangen, es war frisch geackert und man sah auf diesem Ackerfeld eine breite Spur von Steinen anderer Farbe als die Schwarz Erde des Ackers. Und das war die Römerstraße, die von Cedonia in Richtung Apulum führte”, erinnerte Rill. Es ging um einen Acker im Reschgraben. Und im nächsten Jahr fand er in Maulwurfserde dakische Scherben. Mit den Archäologen vom Museum beziehungsweise von der Akademie, seinem ehemaligen Lehrer Dr. Thomas Nägler, wurde die Stelle begutachtet.
Grabungen wurden gestartet und festgestellt, dass der Reschgraben bereits in der Jungsteinzeit besiedelt war. Es gab Funde aus der Bronzezeit, aus der frühen Hallstattzeit. Die Hauptsiedlung ist aber eine dakische Siedlung, die aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. 600 Jahre lang erhalten bleibt.
Mittlerweile war Rill beim Museum als Archäologe und bei der Mittelalterabteilung tätig und stellte dann ein Team zusammen, bestehend aus Vertretern des Brukenthalmuseums, des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt, wo Dr. Thomas Nägler tätig war und der Akademie aus Klausenburg, um möglichst viele Mittel zu haben, um diese Siedlung zu erforschen. In den 1970er Jahren gab es noch wenig erforschte ländliche dakische Siedlungen. Und so wurde diese Siedlung dann von 1976 bis 1983 systematisch ausgegraben. Heute gehört die Stelle der Ausgrabungen zum Naturschutzgebiet ,,Natura 2000”.
Kurze Grabungsberichte wurden zwar veröffentlicht, aber keine Systematik der Grabungen und keine vollständige Monografie. ,,Mittlerweile sind diese Kollegen alle verstorben, ich bin der Einzige aus dem damaligen Grabungsteam, der noch lebt und dann haben wir mit ihren Nachfolgern begonnen, diese Grabung aufzuarbeiten”, sagte Rill. ,,Wir sind jetzt gerade dabei und wollen eine komplette Monografie zu den Ausgrabungen im Reschgraben veröffentlichen, die dann bei dem großen Fest vorgestellt wird, und zwar am Montag, dem 14. August, um 17 Uhr, im Innenhof des Historischen Museums im Altembergerhaus”, sagte Rill.
Zusammen mit Dr. Thomas Nägler wurde dann eine ehemalige siebenbürgisch-sächsische Ortschaft, die im Laufe der Zeit verwüstet wurde, ausgegraben, und zwar bei Leschkirch. Sie hieß ,,Unterten” und ist im 15. Jahrhundert, möglicherweise im Zuge der Türkeneinfälle untergegangen. Etwa 50 solche untergegangene Gemeinden in Siebenbürgen sollen bekannt sein.
Martin Rill absolvierte 1976 in Hermannstadt das Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Deutsch und wurde zusammen mit anderen Kollegen zum Brukenthalmuseum zugeteilt, wo er vom 1. August 1976 bis zu seiner Auswanderung im Juli 1989 tätig war. In Deutschland befasste er sich erst mit Rumänien-Hilfe. Dann wurde ein Projekt gestartet, um den Denkmalbestand und das Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen zu sichern. ,,Wir haben gesammelt, wir haben die Archive zum Teil zusammengetragen, wir haben Kulturerbe gesammelt. Dann haben wir bei der Bundesregierung ein Projekt beantragt ‚Dokumentation. Siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe‘, das ich fünf Jahre lang leitete. Es wurde jede Ortschaft erfasst, die Kirchen beschrieben, Luftaufnahmen sind entstanden.“ Veröffentlicht wurden auch zehn Bände der Reihe ,,Denkmaltopographie Siebenbürgen”. Zehn weitere Bände sollen noch publiziert werden.
Martin Rill war auch im Bereich Wirtschaft aktiv. 1994 arbeitete er in Ulm am Donauschwäbischen Museum. Nach der Wende sah die Industrie aus Baden-Württemberg neue Möglichkeiten, sich zu entwickeln und in Rumänien gab es noch keine Handelskammern. ,,Wir haben dann erste Unternehmen auch begleitet in der Ansiedlung in Siebenbürgen”, sagte Rill. ,,Ich selbst habe in meinem Heimatort Kleinscheuern einige Unternehmen begleitet. Eines dieser Unternehmen ist Wittenstein.” Die Regierung von Baden-Württemberg holte ihn dann nach Stuttgart, wo er die Agentur ,,Rumänisches Verbindungsbüro” leitete. Über dieses Büro begleitete Rill dann von 2011 bis 2019 offiziell Unternehmen in ganz Rumänien.
Weiterhin koordinierte er ein Projekt, um Berufsschulen nach dualem Berufsausbildungsmodell in Rumänien aufzubauen. Allererst wurde 2012 in Temeswar am Colegiul Tehnic Ferdinand eine duale Berufsausbildung ins Leben gerufen, dann folgten auch andere Schulen. In insgesamt neun Städten wirkte er aus Baden-Württemberg mit am Aufbau von dualen Berufsschulen in Rumänien. Gleichzeitig leitete er das rumänische Honorarkonsulat.
Der Hauptfokus Rills liegt nun auf der Erfassung des Kulturerbes in allen sächsischen Ortschaften aus Siebenbürgen. Mittlerweile hat er sieben Bildbände herausgegeben beginnend mit ,,Siebenbürgen im Flug” und im vorigen Jahr hieß die letzte Publikation ,,Mediasch und das Siebenbürgische Weinland”. Fast fertig ist der nächste Bildband, und zwar ,,Das Kaltbachtal, das Harbachtal und der Krautwinkel”. Dann soll noch ,,Der Unterwald” folgen.
,,Die Hauptziele dieser Serie ist eine regionale Erfassung des Kulturerbes und auch, dass wir dieses abschließen. Ich hab mir vorgenommen, dass ich so lange ich noch gesund bin, diese Arbeit auch einem Nachfolger übergebe”, meinte Rill.
Werner FINK