Heiter, sprühend, liebenswert

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Die Hermannstädter Schauspielerin Marietta Lissai wird am 4. April d. J. 85

Ausgabe Nr. 2811

Marietta Lissai-Erdös als Lady Milford (links) mit Heidrun Keintzel als Zofe in dem Stück „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, das in der Regie von Ion Deloreanu (Sathmar) am 19. Dezember 1973 an der deutschen Abteilung des Hermannstädter Staatstheaters Premiere hatte.

In diesem Jahr, am 4. April, feiert die in Hermannstadt geborene Schauspielerin Marietta Lissai ihren 85. Geburtstag in Bonn, wo sie seit ihrer Ausreise 1981 mit ihrem Gatten Stefan Erdös, dem ehemaligen Inspizienten des Hermannstädter Staatstheaters (heute: Radu Stanca-Nationaltheater), lebt.  Zuletzt konnten die Hermannstädter Marietta Lissai bei der Lesung aus dem von Dagmar Zink Dusil herausgegebenen Buch „Hermannstadt. Fakten Bilder Worte“ beim Sachsentreffen 2017 erleben.  Sie las damals „… hier stand ich vor dreißig jahren im erdrückenden schatten/der kirchmauern“, Franz Hodjaks Gedicht „Brukenthalschule. Im Hof“. Lesen Sie im Folgenden die unübertroffene Würdigung, die Regisseur Hanns Schuschnig (1927-2014), ein Weggefährte ihrer erfolgreichen Bühnenjahre in Hermannstadt, der Jubilarin zum 70. Geburtstag im Jahr 2008 in der Siebenbürgischen Zeitung gewidmet hat.

Manchmal fällt es schwer, sich mit der Unbarmherzigkeit nüchterner Zahlen abzufinden. Das gilt besonders dann, wenn die Intensität der Erinnerung viel tiefer sitzt als die flüchtigen Eindrücke aktueller, kurzer Begegnungen. Marietta war noch ein Kind, als sie mir zum ersten Mal auffiel. Es war in Hermannstadt. Der Krieg war kaum vorbei. Man sehnte sich nach Gemeinsamkeit, nach etwas, was das Dunkel der Gegenwart, die Ungewissheit der Zukunft verdrängen konnte. Man sehnte sich nach Kultur! An deutsches Wort auf der Bühne wagte noch niemand zu denken. Man traf sich zu inoffiziellen Hauskonzerten; Professoren hielten Vorträge über Literatur; es war die Zeit des Tanzes! Hier konnte man ohne Worte ausdrücken, was in der Luft schwebte: Hoffnung, Harmonie, Lebens-freude.

Unter all denen, die sich mit mehr oder weniger Talent in dieser Kunst versuchten, stach ein Mädchen hervor, das sich mit bezaubernder Naivität und liebreizendem Lächeln zu Paul Linkes „Glühwürmchen“ drehte, hüpfte und all das ausstrahlte, was die Zuschauer im täglichen Leben so bitter vermissten. An diesem Tag prägte sich mir der Name Marietta unauslöschlich ein.

Als wir viele Jahre später darum kämpften, das so traditionsreiche deutsche Theater in Hermannstadt wiederzubeleben, war es keine Überraschung, dass eines Tages der Name Marietta Lissai auf der Liste der Bewerber er-schien. Aus dem unfertigen Mädchen war eine bezaubernde junge Frau geworden. Das Strahlen hatte sie behalten. In der ersten Zeit, in den fünfziger Jahren, hatte sie mit nervositätsbedingten Schwierigkeiten auf der Bühne zu kämpfen, aber bald eroberte sie sich einen festen Platz im „jungen Kollektiv“. Zunächst in kleineren Rollen, übernahm sie bald das Fach der jugendlichen Salondame und zählte bald zum festen Stamm des Ensembles.

In über sechzig Rollen stand sie auf der Bühne, zu ihren bedeutendsten zählten: „Elisa“ in George Bernard Shaws „Pygmalion“, die „Lady Milford“ in Schillers „Kabale und Liebe“ oder die Heldin in Otto Fritz Jickelis „Gaan von Salzburg“.

Bei der rumänischen Abteilung des Hermannstädter Theaters hat sie mit Bravour einige Hauptrollen auch in rumänischer Sprache gespielt, z. B. „Irina“ in V. Korostiljovs „Blumenwalzer“ (1963) und in Victor Eftimius „Fetele Didinei“ (1976).

Marietta heiratete den Schauspieler Horst Strasser und brachte einen Sohn zur Welt. Doch die Ehe zerbrach. Für einige Jahre wechselte sie an das Deutsche Staatstheater nach Temeswar, wo sie hauptsächlich in zeitgenössischen Stücken besetzt wurde, darunter in der Uraufführung der „Husarenkammer“ von Ludwig Schwarz, aber sie spielte auch die Hauptrolle als „Zoițica“ in dem rumänischen Klassiker „Ein verlorener Brief“ von Caragiale. Nach Hermann-stadt zurückgekehrt, warteten neue Rollen: „Sittah“ in Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ oder „Alkmene“ in „Amphytrion“ von Peter Hacks, „Prinzessin Eboli“ in Friedrich Schillers „Don Carlos“ oder „Anna“, Königin von England in „Das Glas Wasser“ von Eugène Scribe seien beispielhaft erwähnt.

1981 erfolgte die Ausreise in die Bundesrepublik. Marietta Lissai und ihr Ehemann Stefan Erdös, der ehemalige Inspizient des Hermann-städter Theaters, ließen sich in Bonn nieder. Hier arbeitete Marietta auch als Souffleuse am Schauspielhaus und daneben am „Theater der Jugend“ in Bonn-Beuel als Schauspielerin. Später ist sie am Stadttheater Bielefeld tätig, bis 1991. Schwere Jahre folgten. Der zweite Sohn aus zweiter Ehe erkrankte. Dies war der Aus-löser für einen beruflichen Neuanfang. Sie besuchte eine Schwesternschule und arbeitete dann als Hilfsschwester im St. Josef-Hospital in Bonn-Beuel.

All die Widrigkeiten konnten Marietta nicht unterkriegen. Als ich sie im vergangenen Jahr anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums der deutschen Abteilung des Hermannstädter Theaters (Anm. der Redaktion: 2006) traf, war sie noch heiterer, noch sprühender, noch liebenswerter als ich sie in Erinne-rung hatte. Sicher eine gute Voraussetzung für noch viele Jahre intensiven, tätigen Lebens, das wir alle ihr von ganzem Herzen wünschen.

Hanns SCHUSCHNIG

Die HZ-Redaktion schließt sich mit dieser Würdigung gerne der Gratulantenschar an. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten, Theater.