Ankommen in Hermannstadt: Eine Tragödie?

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Ein Kommentar der HZ-Praktikantin Maja Hennemann

Ausgabe Nr. 2808

Szenenfoto mit Claire (rechts, gespielt von Benedikt Häfner) und  ihrer Schwester Solange (links, gespielt von Yannick Becker). Foto: TNRS

Neuankömmlinge in Hermannstadt sollten unbedingt die Chance nutzen, Vorstellungen der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters wahrzunehmen. Gerade das Stück „Die Zofen” überzeugt mit einer gelungenen Darstellung von modernem Spiel und bricht nebenbei Vorurteile auf. Was für einige Menschen klingt wie der größte Albtraum, hätte besser nicht laufen können: Direkt am ersten Abend in Hermannstadt verschlägt es mich ins Theater. Genauer gesagt zu einer Tragödie, die manchmal wie eine Komödie scheint: ,,Die Zofen“ von Jean Genet. Die Darbietung am 24. Februar zeigte, wie modernes Theater funktionieren kann – minimalistisch, aber mit hoher Aussagekraft.

Das liegt daran, dass das Bühnenbild im ersten Moment ausbaufähig erscheint. Lediglich eine drehbare Bühne ist vorhanden, der Boden dieser mit Wasser gefüllt. Claire (gespielt von Benedikt Häfner) eröffnet mit ihrer Schwester Solange (gespielt von Yannick Becker) das Spiel. Es dauert nicht lange, bis das Zuschauerauge auf Provokation trifft. Es folgen halbnackte Körper auf der Bühne, die Zofen ertränken sich fast gegenseitig im Wasser – ,,klassischer Freitag“ eben.

Ehe man sich versieht, dreht sich die Bühne und die Punkband RakLap wird zum Publikum gerichtet und spielt Stücke wie ,,Der Traum ist aus“ von ,,Ton Steine Scherben“. Eigentlich fehlt nur jemand in Lack und Leder, um das Bild komplett zu machen. Zum Glück gibt es Becker, der sich in einer Szene in eine Bondage-Uniform schmeißt.

Es mag einigen Menschen missfallen, mich hat es in den Bann gezogen. Als dann als Klimax die Madame (gespielt von Daniel Bucher) eine rotzige Variante von ,,Barbie Girl“ schmettert und dazu verführerisch die Hüfte schwingt, bin ich verzaubert.

Generell ist die Inszenierung von Regisseur Hunor Horváth packend gespielt. Leicht fängt man den Konflikt zwischen eigener Unterwerfung und Freiheit ein, gerade Claire scheint hier sinnbildlich nicht besser zu passen. Häfner spielt die Zofe großartig und fängt ihr eigenes Dilemma wunderbar ein. Allerdings darf man auch Becker und Bucher nicht vergessen. Becker verzaubert das Publikum als Solange mit einer fast schon naiven Art, man bekommt schnell das Gefühl, dass Solange eher mitgerissen wird, als dass sie aktiv den Verlauf der Geschichte mitbestimmt. Bucher auf der anderen Seite ist der heimliche Star des Stücks, die wenigen Auftritte der Madame mindern in keinster Weise Daniel Buchers Strahlkraft.

Sowohl Yannick Becker als auch Daniel Bucher und natürlich Benedikt Häfner fangen die Rollen ihrer Personen treffend ein, sodass man manchmal vergisst, dass hier keine weiblichen Schauspielerinnen am Werke sind. Dies ist eine riesige Ehrung an Jean Genet, der sein 3-Mann-Werk nun einmal für männliche Schauspieler, die Frauen spielen, konzipiert hat. Oftmals wird dieser Aspekt vergessen oder wegen Personalmangel liegen gelassen. Als begleitende Erzählerin und Inkarnation Jean Genets glänzt hingegen die einzige weibliche Schauspielerin, Ana Tiepac.

Schlussendlich ist zu sagen, dass die Erwartungshaltung des Publikums schnell aufgebrochen wird – wer dachte, sich in ein klassisches Theaterstück gesetzt zu haben, wird hier enttäuscht werden. Oder begeistert sein.

Was genau rechtfertigt nun schlussendlich eine neue Auseinandersetzung mit den ,,Zofen“ und somit diesen Kommentar?

Meines Erachtens nach hat das Theaterstück mir den Einstieg in die Wertevorstellungen Rumäniens einfacher gemacht. Dass Freizügigkeit und rotzige Musikpassagen mit Standing Ovations gekürt werden, hat mein Bild von Hermannstadt erstmalig geprägt. Gleichzeitig hat die moderne Inszenierung mein Klischee vom „alten und prüden” Rumänien schnell verfliegen lassen. Die Menschen im Theater trauen sich Dinge. Sei es in der Musik, im minimalistischen Bühnenbild oder in der Explizitheit des Stücks. Dieses Bild einer vielfältigen und offenen Stadt nehme ich bereits am Abend mit nach Hause. Besser hätte ein Start in Hermannstadt nicht laufen können.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.