,,Seht, das ist Gottes Lamm“

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Broschüre zum Johannis-Altar von Radeln erschienen

Ausgabe Nr. 2805

Die Werktagsseite des Flügelaltars von Radeln zeigt die Passion Christi. Foto: Stefan Jammer

In seiner Reihe zu Siebenbürgischen Altären veröffentlichte Pfarrer im Ruhestand Dr. Rolf Binder kürzlich ein Heft über den 490 Jahre alten Johannis-Altar von Radeln. Das Anliegen des Autors ist es, dieses herausragende Werk der sakralen Kunst als Glaubenszeugnis und Meditationsobjekt zu deuten.

Radeln (rumänisch Roadeș, ungarisch Rádos) ist eine kleine siebenbürgisch-sächsische Gemeinde im Repser Ländchen, die 1356 erstmalig urkundlich Erwähnung fand. Die Kirchenburg von Radeln figuriert im Denkmalkatalog Rumäniens in der höchsten Kategorie. In den letzten Jahren wurde Radeln durch den Rockstar Peter Maffay, der 2009 im Radler Pfarrhof ein Kinderheim seiner Stiftung einrichten ließ, etwas bekannter. Aufsehen erregte der dramatische Schadensfall vom 14. Februar 2016, als der Glockenturm der Kirche teilweise einstürzte.

Für die aus dem 14. Jahrhundert stammende gotische Kirche mit dem Johannes-Patrozinium wurde um 1533 ein überaus wertvoller Flügelaltar gebaut. Das Werk wird Söhnen des Nürnberger Holzschnitzmeisters Veit Stoß zugeschrieben, die am Anfang des 16. Jahrhunderts in Kronstadt und Schäßburg tätig waren.

Pfarrer Dr. Rolf Binder beschreibt in seiner Einleitung den vorreformatorischen Flügelaltar aus Radeln als ein herausragendes sakrales Kunstwerk, das zum Staunen anregt: „Das Erstaunen gilt vielleicht zuerst den Künstlern des 16. Jahrhunderts, die schnitzten, malten und tischlerten, aber was wichtiger ist, muss beachtet sein, nämlich, dass sie mit ihrer Kunst theologischen Sinn zum Ausdruck bringen wollten, in welchem Sinne ihnen der Altarbau anvertraut worden war. Die Bilder predigen der betrachtenden Gemeinde und fordern auf, den biblischen und geschichtlichen Hintergrund zu erfragen.“ Ebenda ,,korrigiert“ Pfarrer Binder die Beschreibung des Altars durch Gisela und Otmar Richter (,,Siebenbürgische Flügelaltäre“, Wort und Welt Verlag, 1992): ,,Man kann sich in kunstgeschichtlicher Hinsicht über die Farben freuen und in hochtrabenden Formulierungen das Erstaunen kundtun, dass die Farben in ,strahlender Rücksichtslosigkeit‘ ,dominieren‘, um ihre ‚Kombination‘ zu beschreiben. Angemessener wäre die Formulierung ’strahlende Gleichgültigkeit‘.“

Rolf Binder: Der Flügelaltar von Radeln. Fotografien – soweit nicht benannt: Ingrid Schiel, Layout  Angelika Meltzer, 68 Seiten. Die Broschüre wurde gefördert von: Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales; Stadt Nürnberg Amt für Freizeit und Kultur über Haus der Heimat e. V. Nürnberg und Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen e. V.Den Umschlag schmückt ein Bild der Statuen von Johannes dem Täufer und des Evangelisten Johannes im Mittelschrein des Altars von Radeln, die zu den schönsten Altarfiguren Siebenbürgens gehören.

In seiner rund 70 Seiten umfassenden, reich bebilderten Publikation geht Dr. Binder auf die Ikonographie des Flügelaltars ein, beschreibt die einzelnen Bildtafeln und verweist auf die biblischen Perikopen und tradierten Heiligenlegenden, die den Darstellungen zugrunde liegen.

Die Passionsgeschichte auf der Werktagsseite lädt die Betrachter dazu ein, den Leidensweg Jesu meditierend zu betrachten. In der Gestaltung des Passionszyklus können Ähnlichkeiten zu Werken von Albrecht Dürer und Hans Sebald Beham sowie anderen großen Künstlern des frühen 16. Jahrhunderts festgestellt werden. Von den acht Tafeln des Passionszyklus fehlt die Darstellung der Dornenkrönung Jesu. Zwar konnten ein Jahr nach dem Diebstahl von 1998 fast alle Teile aufgefunden und gerettet werden, doch diese eine Tafel blieb verschollen.

Die Festtagsseite des Retabels zeigt auf dem linken Flügel Szenen aus dem Leben des Täufers Johannes (Taufe Jesu am Jordan, Enthauptung des Johannes) und auf dem rechten Flügel Szenen aus dem Leben des Evangelisten Johannes (Auf Patmos, Martyrium).

Im Mittelschrein des Altars stehen die Skulpturen von Johannes dem Täufer und des Evangelisten Johannes. Diese gehören nach Meinung vieler Kunsthistoriker zu den schönsten Altarfiguren Siebenbürgens.

Johannes der Täufer weist mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf das Lamm, das zu seinen Füßen kauert. Das nur scheinbar unscheinbare Lamm weist auf Christus, den Erlöser, hin, der als „Lamm Gottes“ (Agnus Dei) stellvertretend die Sünde der Welt auf sich nimmt (Johannesevangelium 1, 29).

Der spätgotische Flügelaltar wurde 1973-1974 von Gisela Richter und 2000-2002 von Ferenc Mihály restauriert. Aus Sicherheitsgründen fand der wertvolle Johannisaltar 2002 seinen Aufbewahrungsort in der Hermannstädter Johanniskirche.

Es ist ein Spezifikum der heutigen Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, dass Altarretabel und andere sakrale Kunstwerke aus katholischer Zeit auch nach der lutherischen Reformation im 16. Jahrhundert in den Kirchen erhalten und im liturgischen Gebrauch verblieben sind. Damit bilden sie gegenwärtig einen unermesslichen Schatz unserer Gemeinschaft, den es weiter zu bewahren und bekannt zu machen gilt.

Die mit Unterstützung des Kulturwerks der Siebenbürger Sachsen (München) und weiterer Förderer erschienene Broschüre „Der Flügelaltar von Radeln“ von Pfarrer i. R. Dr. Rolf Binder ist über das „Haus der Heimat“ in Nürnberg erhältlich. So lange der Vorrat reicht, kann das Heft auch im Hermannstädter Friedrich-Teutsch-Haus gegen eine Spende abgeholt werden.

Dr. Gerhild RUDOLF

 

Der spätgotische Flügelaltar aus Radeln steht (wie auch der ebenfalls berühmte Martins-Altar von Schweischer) in der Hermannstädter Johanniskirche und kann da im Rahmen eines Besuchs im Landeskirchlichen Museum im ,,Friedrich Teutsch-Begegnungs- und Kulturzentrum“ (Fleischergasse/Str. Mitropoliei 30-32) besichtigt werden. Kontakt: teutsch.museum@gmail.com oder direkt bei der Museumskasse im 1. Stock des Teutsch-Hauses. Die Öffnungszeiten des Landeskirchlichen Museums sind von November bis April jeweils montags bis freitags, und von Mai bis Oktober jeweils montags bis samstags zwischen 10 und 17 Uhr. (Information zu den Öffnungszeiten: https://www.teutsch.ro/museum-kulturgut/).

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.