Mit der Dampflok zum Marienball

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Dankbarer Blick zurück nach dreißig Jahren / Von Joachim STÜBBEN

Ausgabe Nr. 2803

Auf dem Hermannstädter Depotgelände haben sich einige Mitglieder der von Christa Oberth geleiteten Volkstanzgruppe zu einem Gruppenfoto vor der Lok 230.224, die vor beiden Wintersonderzügen zum Einsatz kam, versammelt.                                        Foto: Joachim STÜBBEN

Nach dreißig Jahren ist es Zeit für einen dankbaren Blick zurück auf die Fahrten mit Dampfsonderzügen zu den Marienbällen in Kerz (1992) und Großpold (1993). Fast alle Menschen, die mir damals (ich durfte als DAAD-Gastlektor am Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur tätig sein) nahestanden, waren in irgendeiner Form an der Planung und Durchführung dieser beiden Veranstaltungen beteiligt. Das ist das, was mich – abgesehen von den damals zustandegekommenen Fotos – mit Dankbarkeit auf die beiden Ereignisse  zurückblicken lässt.

Zwei Lehrkräfte am Hermannstädter Germanistik-Lehrstuhl, Johanna Bottesch und Udo Peter Wagner, wussten von meiner Dampflokleidenschaft und als es mir darum ging, Fahrtziele und Anlässe für Sonderzugfahren zu finden, lieferten sie zwei Ideen: Man könne doch zu den Marienbällen in Kerz (am 1. Februar 1992) und Großpold (am 30. Januar 1993) fahren. Die Fahrt nach Großpold liegt nun genau 30 Jahre zurück.

Julia Wagner, Ehefrau meines Kollegen Udo-Peter Wagner, ließ sich von den Veranstaltungen zu einer reizenden Textilarbeit, einer Applikation aus Stoff- und Lederresten, inspirieren.

Künstlerisches Talent verrät diese 1992 angefertigte Textilarbeit von Julia Wagner.Foto: Joachim STÜBBEN

Christa Oberth, Englischlehrerin am Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium, sagte mir die Mitwirkung der von ihr mit großem Engagement geleiteten Volkstanzgruppe zu.

Dr. Mariana Grama von der Medizin-Fakultät der Lucian Blaga-Universität war so freundlich, mich auf teilweise schneebedeckten Straßen zu chauffieren, so dass ich auf den Streckenabschnitten, auf denen eine Straße parallel zur Eisenbahnstrecke verläuft (Orlat – Sibiel und Săcel – Săliște), aus dem fahrenden Auto heraus einige schöne Bilder machen konnte, die den Zug in rascher Fahrt durch die verschneite Landschaft zeigen.

Mein leider viel zu früh verstorbener Freund Reinhold Gutt (damals Fotoreporter der Hermannstädter Zeitung) fuhr im Zug nach Großpold mit und konnte den Zug bei einem Extrahalt am Tunnel bei Tilișca fotografieren. Mit ihm hatte ich auch vorher den Streckenverlauf erkundet und überlegt, wo man gut würde fotografieren können.

Der stehende Zug nach Großpold am Tunnel bei Tilica.                         Foto: Reinhold GUTT

Die Zusammenarbeit mit den zuständigen Beamten der Rumänischen Bahngesellschaft CFR gestaltete sich völlig unproblematisch. Es waren die Herren Mircea Șuteu und Radu Bellu von der Kronstädter Eisenbahndirektion. (Radu Bellu ist Autor mehrerer Eisenbahnbücher und war wesentlich am Aufbau des Hermannstädter Dampflokmuseums beteiligt.) Gemeinsam legten wir Abfahrts- und Ankunftszeiten fest und besprachen, wo der Zug auf freier Strecke halten und wieder anfahren sollte, um besondere Fotoaufnahmen zu ermöglichen.

In Kerz und Großpold fanden jeweils vor dem Ball bunte Programme mit Theaterspiel und Musik statt.

So wirkte am 1. Februar 1992 in Kerz der damalige Kerzer Pfarrer Wolfgang Rehner jun. in der Komödie ,,Hochzet met dem Hinkeldäppchen“ mit, die der Schauspieler Wolfgang Ernst bearbeitet hatte. Und die Schülerinnen der X. und XI. Klasse vom Pädagogischen Lyzeum (der Chor dieser Lehrerbildungsanstalt zählte damals 209 Mitglieder, doch in Kerz traten nur die beiden Klassen auf) unter der Leitung von Musiklehrerin Susanna Schlattner waren auch dabei. Allerdings hat nicht die Tatsache, dass ein Großpolder zum Tanz aufspielte, dazu geführt, dass im Jahr darauf der Sonderzug zum Marienball nach Großpold fuhr, sondern die Großpolder Germanistin Johanna Bottesch. Sie lieferte die Idee. Und sie und ihr Gatte Martin Bottesch spendierten mehrere Liter Wein für die Bewirtung der Gäste.

Der Sonderzug nach Großpold in flotter Fahrt zwischen Săcel und Săliște. Das Foto entstand aus dem fahrenden Auto heraus.                                                                           Foto: Joachim STÜBBEN

In Kerz zum Tanz aufgespielt hat übrigens der Bäcker Hans Wolf als Ein-Mann-Orchester.

Auch in Großpold gab es vor 30 Jahren ein abwechslungsreiches Kulturprogramm für die rund 500 Gäste im Gemeindesaal, geboten von der Tanzgruppe der Brukenthalschule, den ,,Zeidner Spatzen“ unter der Leitung von Gastlehrerin Heike Lawin, der damals auf sieben Mitglieder geschrumpfte Großpolder Männerchor, der Schäßburger Kammerchor unter der Leitung von Hermann Baier, die Volkstanzgruppe des Hermannstädter Jugendforums unter der Leitung von Hans-Bruno Fröhlich, die Blasia der Brukenthalschule unter der Leitung von Dietrich Galter. Diese spielte auch zum Tanz auf, so auch die U-Band der Brukenthalschule und die Neppendorfer Blaskapelle.

In der Hermannstädter Zeitung vom 7. Februar 1992 war u. a. zur Nostalgiefahrt nach Kerz zu lesen: ,,Als in Porumbacu neben dem Sonderzug ein Personenzug hielt, machten dessen Fahrgäste Augen – so groß wie die Laufräder der Dampflok.“

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Allgemein.