Premiere mit ,,antigone. ein requiem“ von Thomas Köck
Ausgabe Nr. 2798
Lichtkegel, Nebelschwaden, ohrenbetäubendes Dröhnen gehören inzwischen zu der Appanage einer modernen oder sollte es heißen ,,zeitgenössischen“ Inszenierung… So geschehen auch bei der Premiere von ,,antigone.ein requiem“ von Thomas Köck am 1. Dezember auf der Bühne des Radu Stanca-Nationaltheaters. Und wenn es heißt ,,auf der Bühne“, dann ist das im eigentlichen Sinn des Wortes zu verstehen.
Eric Emmanuel-Schmitt sagte im Interview mit Christel Ungar-Topescu, das diese beim diesjährigen Internationalen Hermannstädter Theaterfestival geführt hat und das am Dienstag auf TVR Cultural ausgestrahlt worden ist, wir Menschen seien in Ignoranz vereint, wir seien Fragende. Solange wir nur Fragen stellen, sei alles in Ordnung. Die Probleme beginnen, wenn eine oder einer von uns meint, etwas zu wissen. Es sei nun dahingestellt, ob der bekannte französische Autor ,,Antigone“ von Sophokles gelesen hat und es ist wohl kaum anzunehmen, dass er die 2019 erfolgte Bearbeitung der Hölderlinschen deutschen Fassung durch den österreichischen Autor Thomas Köck kennt. Was aber die Aussagen von Schmitt und den Text von ,,antigone.ein requiem“ vereint, ist eben die Frage als Mittel der Bewusstmachung, des Aufrüttelns. In Köcks Fassung geht es um aktuelle Fragen, denen die Menschheit aus dem Weg geht. Die wohlhabende Stadt Theben, an deren Strand unzählige Tote angeschwemmt werden, kann jeder Ort auf dieser Erde sein, an dem die Menschlichkeit durch ,,das Gesetz“ verdrängt worden ist, an dem die Menschen verdrängen, um zu leben, an dem die Menschen keine Fragen mehr stellen, um nicht aufzufallen, wo sich ,,allwissende“ Machthaber im Namen der Demokratie die Verantwortung mit großen Gesten und Worten von sich weisen und die Fragenden an den Pranger stellen.
Es wird viel gefragt in der über eine Aktualisierung des antiken Textes hinausgehenden Bearbeitung durch Thomas Köck, die in der Regie von Florin Vidamski an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters am 1. und 2. Dezember Premiere feierte.
Wohin mit den vielen Toten? Was ist Gewalt? Wem gehören die Toten? Sind das unsere Tote? Was gehen uns diese Toten an?
Ausgezeichnete und die Aussage des Stücks brillant verstärkende Videoaufzeichnungen und Visuals nehmen das Publikum mit, das auf der Bühne sitzen muss und so eingebunden ist in das Geschehen, das von dem Chor kommentiert wird. Die Mitglieder des Chors laufen quasi aus dem Hintergrund in die Mitte des Kreises um den die wenigen Stühle aufgestellt sind, jeweils in Gruppen von vier Stühlen in zwei Reihen und Zwischenräumen, die diese Bewegung erlauben.
Das Publikum wird nicht überrumpelt oder künstlich eingebunden in die Inszenierung. Es ist auf diese Weise mittendrin, denn dem Chor kommt ähnlich wie in der antiken Tragödie eine wichtige Rolle zu. Ob sich die Katharsis, nach Aristoteles die seelische Reinigung als Wirkung einer Tragödie, eingestellt hat, besser gefragt: ob die Fragen auch bei dem Publikum Betroffenheit ausgelöst haben, ist für Köck nebensächlich. Er hat die wortgewaltige Hölderlinsche Übersetzung dergestalt bearbeitet und neu zusammengesetzt, wenn man das so ausdrücken darf, dass eigentlich niemand sich einfach zurücklehnen und das Schauspiel ungerührt über sich ergehen lassen kann. Zumindest eine Frage werden alle mitnehmen: Was ist Gewalt?
Eines sei trotzdem gesagt: Für Menschen, die Bombennächte erlebt haben, ist diese ausgezeichnete Inszenierung ungeeignet. Sie könnte bei diesen Menschen eine Retraumatisierung auslösen…
Beatrice UNGAR
Besetzung
Darsteller: Theodora Sandu, Fabiola Petri, Daniel Plier, Emőke Boldizsár, Johanna Adam, Yannick Becker, Benedikt Haefner, Gyan Ros Zimmermann, Anke Parusel, Ana Tiepac, Patrick Imbrescu, Yannick Sulger, Eva Frățilă
Regie: Florin Vidamski
Dramaturgie: Réka Dunkler
Choreografie: Edith Buttingsrud Pedersen
Kostüm: Cristina Milea
Video und Visuals: Zsolt Bordos Übersetzung:
Ioana-Maria Moldovan, Sarah Ioana Orlandea
Musik und Sounddesign:
Alex Halka.
Produktionsassistenz:
Luminița Bîrsan
Projektassistenz und Untertitel:
Antonia Mureșan
Projektmanager: Hunor Horváth