,,Lebenswege in Siebenbürgen“ von Altbischof D. Dr. Christoph Klein
Ausgabe Nr. 2797
Im Jahr 2015 veröffentlichte Altbischof D. Dr. Christoph Klein den Band „Geistliche Leitbilder und Weggefährten. Betrachtungen“ (Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt), in dem er historische und zeitgenössische Personen und Persönlichkeiten würdigte, die für seinen Werdegang wichtig waren; ich hatte die Ehre, jenes Buch damals vorstellen zu dürfen. Die Herausgabe des zweiten Bandes „Siebenbürgische Erinnerungsorte in Lebensbildern“ (Schiller Verlag 2018) erwies sich aus seiner Sicht als nötig, damit auch die „Weltlichen“ gewürdigt werden sollten, da der erste Band sich ausschließlich auf Geistliche bzw. Theologen bezog. Nun kommt noch ein dritter Band dazu, der bereits 2020 erschien aber damals wegen den pandemiebedingten Einschränkungen nicht in einem solchen Rahmen präsentiert werden konnte: „Lebenswege in Siebenbürgen. Festreden und Nachrufe“ mit einem Geleitwort von Dr. Konrad Gündisch (das Geleitwort ist die Laudatio, die der Historiker Dr. Gündisch anlässlich der Verleihung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturpreises an Altbischof Klein 2019 gehalten hatte). Hier geht es wiederum um zeitgenössische Persönlichkeiten Siebenbürgens, wobei im letzten Teil auch persönliche Rückblicke des Altbischofs aufgezeichnet sind.
Die Frage, was den Verfasser dazu bewegte, gleich eine Trilogie herauszugeben, meine ich in einer seiner wegweisenden Predigten beantwortet zu finden, die er – wo denn sonst als in Schäßburg? – gehalten hat. Im Mai des Jahres 1998 gedachten wir dort der 700-jährigen Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnungen der Klosterkirche (dazu passt das von Musikwart Jürg Leutert vorbereitete Stück aus dem Schäßburger Antiphonar). In seiner damaligen Predigt – sie trägt die Überschrift „Erinnerung an die Zukunft“ (nachzulesen in seinem Predigtband „Kontrapunkt Freude“, hora Verlag Hermannstadt 2001, S. 156-161) – verwies der Bischof die Schäßburger Festgemeinde darauf, dass wenn Vergangenes in unsere Gegenwart hereingeholt wird „…dadurch unsere Gegenwart erhellt, unsere eigenen Probleme beleuchtet und unsere Träume und Wünsche genährt werden“. Aber Erinnerung hat bei weitem nicht nur den Sinn, Vergangenes wieder aufleben zu lassen. Erinnerungen sind vor allem darum wichtig, um für die Zukunft Ausrichtung zu finden. Erinnerung ist, so Bischof Klein folgendes: „Dann wäre Erinnerung … nicht nur ‘Gedenken‘ an frühere Zeiten, wie wir im Deutschen sagen, und auch nicht nur Vergegenwärtigung, Anamnese, wie es im Griechischen genannt wird, sondern es wäre ‚Erinnerung an die Zukunft‘, wie es das englische Wort re-member ausdrückt. Dann ‚er-innern‘, das heißt bewegen wir in unserem Inneren, dass bei einem solchen ‚Gedenken‘ die Glieder einer Gemeinschaft, die members, wieder zusammenkommen und dies somit eine Feier der ‚Wiedereingliederung‘ und Neukonstituierung der Gemeinschaft wäre.“
So haben Menschen aufgrund ihrer Begabung, ihres Einsatzes oder ihrer Fähigkeit des Mitreißens das Leben von Christoph Klein geprägt; das war wohl die Motivation zu diesen drei Publikationen. Und so werden aus „Bildern“ – „Leit-“ oder „Lebensbilder“, aus „Orten“ – „Erinnerungsorte“ oder „Orte zum Nachdenken“ und aus „Wegen“ – „Lebenswege“ oder „Weggefährten“. Wichtig und wesentlich ist, dass die Persönlichkeiten, die gewürdigt werden, nicht nur mit dem Autor freundschaftlich verbunden sind bzw. waren, sondern auch für die Gemeinschaft Bleibendes geleistet haben und deren Lebensweg somit vielen andern Menschen als Beispiel diente oder zur Inspirationsquelle wurde. Und so werden runde Geburtstage (insgesamt sind 10 Festreden abgedruckt), aber auch Nachrufe oder Gedenktage (ebenfalls 10 an der Zahl) zum Anlass genommen, der Jubilare oder der Verstorbenen dergestalt zu „er-innern“, dass aus solchem „‘Gedenken‘ die Glieder einer Gemeinschaft, die members, wieder zusammen kommen“. Um wen es sich dabei konkret handelt? Das verrate ich an dieser Stelle nicht, um Sie neugierig zu machen. Lesen Sie doch selbst!
Über den Buchautor Christoph Klein bzw. über den Kontext in dem er schreibt möchte ich weiterhin ein paar Gedanken äußern. Die politische Wende des Jahres 1989 ist in diesen Würdigungen nicht nur als historisches Datum wichtig, sondern auch für den Lebensweg des Autors entscheidend, da er kurz danach zum Bischof gewählt wurde. Es gibt zwei Dinge, die den Unterschied zwischen aufrichtigen und unaufrichtigen Menschen ausmachen: wenn man unten ist, seine Würde zu bewahren, und wenn man oben ist, Mensch zu bleiben. Altbischof Klein ist beides gelungen. Herzlichen Dank!
Der Begriff „Gemeinschaft“ ist ein teures Wort und ein hoher Wert für die Siebenbürger Sachsen im Laufe der Geschichte gewesen, und das weiß niemand besser, als jemand der dieser Gemeinschaft 20 Jahre lang als Bischof vorstand. Der Begriff „Gemeinschaft“ wurde in den letzten 30 Jahren jedoch arg strapaziert und teilweise auch seines Sinnes entleert; wahrscheinlich geschah es bereits früher, aber das müsste soziologisch untersucht werden. Gerade durch die Ausdünnung unserer Gemeinschaft nach 1989 rückten Persönlichkeiten bzw. Einzelgestalten in den Vordergrund, die in die Bresche sprangen, die ein Amt annahmen und ausfüllten, oder die sich auf ihrem Betätigungsfeld einfach in die Arbeit hineinknieten. Die letzten 30 Jahre waren sehr stark eine Periode der Einzelkämpfer mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen. Das ist sicher keine Sondersituation der Siebenbürger Sachsen und liegt nicht an der Auswanderung, sondern eher am allgemeinen Individualismus und Egoismus dieser Zeit (welche die Auswanderung wahrscheinlich mitbedingt haben).
Der Autor hat aber natürlich auch die Zeit vor 1989 im Blick; der älteste Beitrag geht auf das Jahr 1974 zurück. Die Entbehrungen nach dem Krieg, die Einschränkungen des kommunistischen Regimes, ja die politisch motivierten Verfolgungen und unrechtmäßigen Einkerkerungen ziehen sich wie ein roter Faden nicht nur durch sein Leben bzw. jenes seiner Familie, sondern sind auch in den meisten anderen Lebenswegen Siebenbürgens vor 1989 präsent.
So wird ein buntes Mosaik von Persönlichkeiten präsentiert, die auf theologischem oder diakonischem, auf literarischem oder musikalischem, auf pädagogischem oder ökumenischem, auf gesellschaftlichem oder politischem Gebiet Wichtiges und Entscheidendes geleistet haben. Es sind zugleich aber auch Persönlichkeiten, die in Zeiten von Entbehrung oder Verfolgung ihr menschliches Angesicht bewahrt haben und – sofern dies möglich war – andern unter die Arme gegriffen haben. Trotzdem geht es dem Autor nicht um Verherrlichung von Lebensläufen, auch nicht posthum. Als einer, der seinerzeit über die Beichte seine Promotionsarbeit schrieb und immer wieder das Thema „Versöhnung“ vor Augen hatte und bis heute hat, weiß er nur zu gut auch um menschliche Schuldverfallenheit.
Der Band „Lebenswege in Siebenbürgen. Festreden und Nachrufe“ kann – so glaube ich – in der Matrix des von Martin Buber (einer der Lieblingsschriftsteller von Altbischof Klein) herausgearbeiteten „dialogischen Prinzips“ gelesen werden, demgemäß der Mensch sich selbst in der Beziehung zum Du definiert (Martin Buber, ,,Das dialogische Prinzip“, Gütersloher Verlagshaus 2014). Die Erinnerung an die gewürdigten Persönlichkeiten ist dazu angetan „unsere Gegenwart zu erhellen“, zugleich aber „unsere eigenen Probleme, Träume und Wünsche zu nähren“. In diesem Sinne wünsche ich dem vorgestellten Buch ein geneigtes Leserpublikum und dem Jubilar die besten Segenswünsche zum 85. Geburtstag, den er am 20. November d. J. feiern durfte.
Dr. Hans Bruno FRÖHLICH