Ausgabe Nr. 2797
,,Dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: … Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. … Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ (Offenbarung 3,14 – 22)
Liebe Leserinnen und Leser der Hermannstädter Zeitung!
Die obigen Verse entstammen dem letzten der sieben so genannten ,,Sendschreiben“ der Offenbarung. Ihr Autor, der ,,Seher“ Johannes schreibt an christliche Gemeinden in Kleinasien in der Zeit um die Wende vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Um zu verstehen, was er mit den obigen Ermahnungen beabsichtigt, muss man den historischen Kontext im Blick haben.
Die kleinasiatische Stadt Laodizea war für drei Dinge im Altertum berühmt: es gab blühende Textilmanufakturen, die Wohlstand generierten. Durch diesen blühenden Wirtschaftszweig entwickelte sich ein für jene Zeit solides Bankennetz, so dass sogar Cicero die Geldinstitute aus Laodizea empfiehlt. Schließlich war die medizinische Wissenschaft dort hoch entwickelt und damit im Zusammenhang gab es eine berühmte Medikamentenmanufaktur. Galenos aus Pergamon, neben Hippokrates einer der berühmtesten Ärzte des Altertums, empfiehlt die in Laodizea hergestellten Medikamente.
Nun kommt aber der Seher Johannes und stellt alles auf den Kopf. Er empfiehlt den Christen aus dieser Stadt drei Dinge zu kaufen, nämlich: wahrhaft wertvolles Gold, Kleider, die ernsthaft kleiden und Augensalbe, die wirklich hilft. Diese Empfehlungen sind nicht ohne Ironie abgegeben. Gerade an den Punkten, an denen man meinen sollte, dass die Stadt nicht zu überbieten sei – also Textilgewerbe, Geldwirtschaft und medizinische Versorgung – gerade dort ist offensichtlich nichts in Ordnung. Selbstverständlich nimmt diese Äußerung auf das geistliche und nicht auf das materielle Leben Bezug; aber die beiden hängen eng miteinander zusammen. Offenbar hatten die Leute aus Laodizea im materiellen Sinne, alles was sie brauchten. Doch gerade das scheint das Problem zu sein. Sie laufen Gefahr, dieses Motto „Ich habe genug, ich brauche nichts mehr“, auch auf ihr geistliches Leben zu beziehen.
Der Vorwurf an die christliche Gemeinde aus Laodizea ist jener, dass sie in einem Gefühl der selbstzufriedenen Sättigung lebt. Sie hat sich in dieser Welt gut eingerichtet und merkt gar nicht, wo ihre wahren Probleme liegen: sie ist arm, bloß und blind.
Zwischen Laodizea damals und uns heute liegen Welten. Und trotzdem hat die heutige Welt mit der damaligen frappierende Gemeinsamkeiten. Damals wie heute stand bzw. steht der Mensch arm, blind und bloß vor Gott. Immer neu müssen wir uns dessen bewusst werden, dass wir in einer direkten Abhängigkeit von unserm Schöpfer leben. Selbst dann, oder gerade dann, wenn es uns – äußerlich gesehen – besser geht, gilt es nicht der Gefahr zu erliegen, sich zurück zu lehnen und zu sagen: „Ich habe alles, ich brauche nichts mehr.“ Gottes Gnade brauchen wir jeden Tag aufs Neue. Aber das vergessen wir oft. Und es vergisst es gerade auch jener Mensch, der meint in einem sehr guten Verhältnis mit seinem Herrgott zu leben.
Die Zeit des Advents hat ihren Sinn darin, uns die tatsächliche Situation in der wir uns wieder finden, bewusst, sichtbar, eindeutig vor Augen zu führen. Wir sind arme, bloße und blinde Menschen. Wir sind an unserem Mitmenschen schuldig geworden und wir haben Gott zu wenig Platz in unserem Leben eingeräumt. Gott hat eine sehr elegante Weise, mit unserer Ignoranz umzugehen: er drängt sich uns nicht auf, geht aber auch nie weit weg: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ Advent heißt, dass das Kommen des Gottessohnes nahe bevorsteht. Die Vergebung der Schuld, aber noch viel mehr, nämlich unsere Erlösung geschah durch DEN, den wir im Advent erwarten: Jesus Christus, der Sohn Gottes der für uns Mensch geworden ist.
In unserer heutigen Zeit ist der abendländischen Welt das Bewusstsein größtenteils abhanden gekommen, dass – so ähnlich wie die Fastenzeit vor Ostern – auch Advent eine Zeit der seelischen Läuterung bzw. der inneren Vorbereitung ist bzw. sein sollte. In der Ostkirche ist es bis heute selbstverständlich, dass christliche Hochfeste mit einer Fastenzeit erwartet werden. Vor allem im Protestantismus hat man in Anlehnung an die Reformatoren, Fastenbräuche abgelehnt, weil ihr meritorischer Aspekt überbetont und daher abgelehnt wurde. Sicherlich hatten die Reformatoren recht damit, dass wir mit dem was wir tun und lassen, niemanden und am wenigsten den Herrgott beeindrucken könnten. Wohl aber kann man sich selber – und zwar nicht nur seinem Körper, sondern auch dem Geist und der Seele – etwas Gutes damit tun. Wenn wir Advent aus dieser Perspektive betrachten, dann ergibt der Aspekt der Zurückhaltung durchaus einen Sinn. Fasten kann z. B. auch bedeuten, dass man sich nicht in den Konsumrausch begibt, der uns in den letzten Jahren stark angepriesen bzw. anempfohlen wurde. Vielleicht ist gerade diese von Krieg und Krise geprägte Zeit dazu angetan, sich wieder mehr auf geistliche, denn auf materielle Dinge zu fokussieren.
Im Lichte des Bibelwortes aus der Offenbarung ergeht die Aufforderung, dass jeder Mensch in dieser Adventszeit sich selber aufs Neue prüfen sollte. Wenn man ehrlich mit sich selbst umgeht, dann kommt man garantiert darauf, wo einiges zurecht zu rücken wäre. Es muss nur die Bereitschaft da sein. Damit wir nicht im geistlichen Sinne „arm, bloß und blind“ da stehen, gilt es im Gebet auf Gott und im Gespräch auf seinen Nächsten zu zugehen. Dann kann diese Zeit – bei aller Dunkelheit und Perspektivlosigkeit – zu einer erwartungsfrohen und erfüllten Zeit werden.
Eine besinnliche Adventszeit und ein gesegnetes Christfest wünscht,
Hans Bruno FRÖHLICH